Wirtschaft

Brezinschek: "Börse ist doch kein Teufelswerk"

Der Chef-Volkswirt der Raiffeisen Bank International, Peter Brezinschek – er ist auch Mitglied im Staatsschuldenausschuss – spricht im KURIER-Interview die Schwachpunkte der österreichischen Wirtschaftspolitik an: die Kapitalmarktfeindlichkeit und den Unwillen zum Sparen im öffentlichen Sektor.

KURIER: Herr Brezinschek, der Wirtschaftsstandort Österreich ist ins Gerede gekommen. Er fällt ins Mittelmaß zurück. Was läuft schief?

Peter Brezinschek: Die Politik hat in den vergangenen vier, fünf Jahren ein kapitalmarktfeindliches Klima aufgebaut. Die Börse wird als Teufelswerk hingestellt. Die Unternehmen aber brauchen einen funktionierenden Kapitalmarkt, um ihr Wachstum finanzieren zu können. Das Ignorieren der Börse durch die Politik schwächt daher die Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Wirtschaft.

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Wo würden Sie ansetzen, um die Börse beliebter zu machen?

Zum einen bei der Bildung. Das Wirtschaftswissen der Österreicher wird nur durch die Griechen unterboten. In Österreich muss sich keiner genieren, wenn er über Börsen oder wirtschaftliche Zusammenhänge nichts weiß. Ich glaube, den Politikern gefällt das sogar. Sie spielen mit dieser Unkenntnis der Bevölkerung und verteilen Wahlzuckerln, die die Leute dann am Ende über höhere Steuern selbst bezahlen müssen.

Zu Beginn dieses Jahrtausends haben allerdings viele Österreicher Aktien gekauft und viel Geld damit verloren. Glauben Sie tatsächlich, dass man Kleinanleger wieder zu Aktienkäufen animieren könnte?

Wir haben an der Wiener Börse praktisch keine Privatanleger mehr. Es wäre aber schön, wenn wir viele hätten – nicht nur vier oder fünf Prozent der Bevölkerung, sondern 50 Prozent. Ein funktionierender Kapitalmarkt schafft Wachstum und Beschäftigung. Das muss man der Bevölkerung erklären. Und die Privatanleger könnten davon profitieren. Aber jetzt wird nur gejammert, dass wir ein Prozent Super-Reiche haben. Wenn aber sonst niemand Aktien kauft, ist er selber schuld, wenn er nicht zu Vermögen kommt.

Glauben Sie, dass diese Überzeugungsarbeit ausreicht?

Wir brauchen natürlich auch neues Angebot an der Börse. Eine Privatisierungswelle wäre nötig. Da könnten drei bis vier Milliarden Euro an Volumen an die Börse gebracht werden. Zum Beispiel an den Energieversorgern könnte man eine breite Bevölkerungsschicht beteiligen und gleichzeitig das Staatsbudget entlasten. Das wünsche ich mir von der nächsten Regierung. Und dass sie die Wertpapier-Kest abschafft. Denn diese hat den Wiener Kapitalmarkt vollends abgetötet. Zumindest all jene, die privat für ihre Pension vorsorgen oder ihr Geld auf ein eigenes Pensionskonto legen, sollten von dieser Steuer befreit werden.

Steuern senken dürfte angesichts des Budgetdefizits nicht so bald möglich sein. Vielmehr wird über neue Vermögenssteuern diskutiert ...

Eine Vermögenssteuer brauchen wir nicht, die haben wir nämlich schon – in Form der Inflation. Diese frisst jenen, die Geld auf die Seite legen, einen Teil davon weg. Seit der Finanzkrise finanzieren die Sparer die Gläubiger. Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Da wäre eine Erbschaftssteuer oder eine höhere Grundsteuer noch sinnvoller. Das Budget sanieren kann man aber ohne neue Steuern. Das ist gar nicht so schwierig.

Was schlagen Sie denn vor?

Wir haben 7,7 Milliarden Euro Budgetdefizit. Allein die Sozialversicherungszuschüsse belaufen sich auf zehn Milliarden Euro. Mehr als ein Viertel der ASVG-Pensionen muss der Staat zahlen. Und im Gesundheitssystem haben wir jährliche Kostensteigerungen von 5,5 Prozent. Da sind Leute am Werk, die sagen, Geld spielt keine Rolle. Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Mit Einsparungen in diesen Bereichen bringen wir das Budgetdefizit leicht weg. Und das ist sogar ohne Leistungskürzungen möglich. Und die Länder und Gemeinden sollen ihre Ausgaben über eigene Steuern oder -zuschläge finanzieren, statt am Finanzausgleich zu hängen.

Und wie soll das im Detail funktionieren?

Wenn wir das Pensionsantrittsalter um ein Jahr anheben, sparen wir 1,3 Milliarden Euro ein. Das sagt sogar Sozialminister Rudolf Hundstorfer. Machen wir das drei Jahre hintereinander, kommen wir auf fast vier Milliarden Euro. Das ist schon ein Gutteil des Budgetdefizits. Einen weiteren Teil könnten wir über eine verpflichtende Pflegeversicherung auf privater Basis zusammenbringen und einen Teil über eine Staatsreform. Zehn Prozent Kosten einsparen geht immer, heißt es in der Privatwirtschaft. Das muss auch für die öffentliche Verwaltung gelten.

Privat für Pflege oder Pension vorsorgen, kann sich nur ein Teil der Bevölkerung leisten. Die Ärmeren stünden dann ohne Leistungen da ...

Ich glaube, da muss sich im Denken der Österreicher einiges ändern. Denn die Themen müssen dort hin, wo die Leistungen anfallen. In Österreich herrscht ein Alltagsdenken vor, das die sozialen Kosten auf die Gesellschaft abwälzt nach dem Motto: Das Gute ist meine Leistung und das schlechte zahlen die anderen.

Dennoch: Alle werden sich eine private Vorsorge nicht leisten können ...

Ja, das stimmt. Aber 90 Prozent der Bevölkerung können sich das schon leisten. Und die zehn Prozent, die nicht genug Geld für Vorsorgen haben, für die soll es eine staatliche Unterstützung geben.

Alle Interviews zur Serie "Was braucht Österreich? Aufträge an die Politik" finden Sie HIER.