"Kann mir Amerikaner nicht mehr leisten"
Von Anita Staudacher
Der deutsche Pharmakonzern Boehringer Ingelheim gilt als wichtige Säule der heimischen Forschungslandschaft. Von den 1400 Mitarbeitern im Regional Center Vienna (RCV) sind 250 in der Forschung & Entwicklung tätig. Österreich verliere als Standort für einen forschenden Konzern aber zunehmend an Attraktivität, meint Philipp von Lattorff, Generaldirektor von Boehringer Ingelheim Österreich, Mittel- und Osteuropa.
KURIER: Boehringer kündigte vor Kurzem ein Sparprogramm an. Müssen erstmals auch in Wien Jobs abgebaut werden?
Philipp von Lattorff: Der Konzern wird heuer erstmals nicht wachsen, das sind wir nicht gewohnt, da ist ein kulturelles Umdenken nötig. In Wien haben wir aber schon früher mit Kosteneinsparungen begonnen, sodass wir jetzt nicht so betroffen sind. Es gibt die Vorgabe, die Mitarbeiterzahl nicht weiter aufzubauen, wir werden sie aber auch nicht reduzieren. Mein Ziel ist es, mit natürlicher Fluktuation innerhalb des Kostenbudgets zu bleiben.
Sie erweitern gerade erst das Forschungszentrum hier in Wien. Sind auch diese Investitionen gefährdet?
Nein, die geplanten Erweiterungen sind nicht betroffen. In der Biopharmazie haben wir erst kürzlich 100 Leute eingestellt, weil die Auftragslage so gut ist.
CEO Andreas Barner kündigte an, sich voll auf die Entwicklung neuer Medikamente konzentrierten zu wollen. Was bedeutet das für Österreich?
Das ist positiv, weil wir hier die weltweite Forschung für Krebsmedikamente haben und Wien daher ein sehr wichtiger Standort für Boehringer ist. In zwei Wochen bringen wir auch in Österreich unser erstes Krebs-Medikament Giotrif (ein Lungenkrebs-Mittel, Anm.) auf den Markt und zwei weitere sind schon in der Pipeline. Insgesamt forschen wir an acht neuen Medikamenten. Die Krebsforschung bleibt weiterhin in Wien konzentriert.
Wie lange dauert die Entwicklung eines Krebsmedikaments?
Die Krebsforschung ist komplex und mit vielen Risken verbunden. Im Schnitt dauert es zwölf Jahre bis zur Produktreife und wir investieren dafür rund eine Milliarde Euro. Es wird immer kostspieliger, weil die Auflagen größer werden. Stabile Rahmenbedingungen sind für uns daher sehr wichtig.
Warum baut Boehringer die Krebsforschung in Wien aus und nicht etwa in Deutschland, China oder Singapur?
Erstens, weil die Krebsforschung schon hier ist, zweitens, weil die Resultate, die wir liefern, gut sind und drittens, weil wir auch von der Forschungsförderung profitieren. Da haben wir hier noch gute Rahmenbedingungen, aber nicht mehr die besten. Der Standortwettbewerb wird größer, die USA und China, aber auch die Schweiz locken mit pharmafreundlichen Rahmenbedingungen. Wir überprüfen daher regelmäßig, ob es noch Sinn macht, hier zu investieren oder nicht.
Und wie lange macht es noch Sinn?
Die Schmerzgrenze ist noch nicht erreicht. Wenn nichts getan wird, könnte es aber in drei bis fünf Jahren eng werden. Als internationaler Standort brauchen wir auch internationale Experten hier am Standort, aber das wird einem wahnsinnig schwer gemacht.
Warum?
Die Lohnnebenkosten sind unglaublich. Wenn ich Forscher aus dem Ausland hierher holen möchte, muss ich viel Geld drauflegen, nur um ihr Gehaltsniveau netto halten zu können. Bei Deutschen und Franzosen geht es ja noch gerade, aber Amerikaner bringe ich schon gar nicht mehr hierher, weil ich es finanziell gar nicht mehr stemmen kann.
Was muss verbessert werden?
Die Lohnnebenkosten müssen wieder leistbar sein, und auch für die Beschäftigung Älterer braucht es bessere Rahmenbedingungen.
Wie zufrieden sind Sie mit der Forschungsförderung?
Positiv ist, dass das aktuelle Forschungsbudget bestätigt worden ist. Negativ ist, dass es nicht erhöht wurde. Wir hätten uns zumindest eine zehnprozentige Erhöhung für die nächsten zwei bis drei Jahre erwartet. Die Forschungsförderung ist ein wichtiger Standortfaktor, da herrscht in Europa ein regelrechter Förderwettbewerb.
Boehringer lenkt nach wie vor das Zentral- und Osteuropa-Geschäft von Wien aus. Macht das in einer zunehmend vernetzten Welt eigentlich noch Sinn?
Das wird auch bei uns regelmäßig hinterfragt, und erst vor Kurzem wurde der Status quo wieder bestätigt. Das CEE-Center in Wien ist sicher historisch gewachsen, aber wir sind in der Region auch sehr erfolgreich unterwegs.
Boehringer Ingelheim
Boehringer Ingelheim (gegr. 1885) ist hinter Bayer Deutschlands zweitgrößter Arzneimittelhersteller und der weltweit größte Pharmakonzern in vollständigem Familienbesitz. Das Unternehmen beschäftigt 47.000 Mitarbeiter und setzte zuletzt 14 Mrd. Euro um. Vertrieben werden hauptsächlich selbst erforschte und entwickelte Medikamente, vor allem im Bereich Lungenkrankheiten, Asthma, Parkinson, Schlaganfall, Bluthochdruck und Diabetes.
Umsatzstärkste Produkt ist das Atemwegsmedikament Spiriva. Bekannte rezeptfreie Produkte sind Thomapyrin, Dulcolax, Pharmaton oder Mucosolvan.
Philipp von Lattorff
Der 46-Jährige gebürtige Grazer begann 1993 bei Boehringer Ingelheim und leitet seit Juni 2013 das Regional Center Vienna (RCV). Er trägt damit die Verantwortung für 33 Länder Mittel- und Osteuropas. Im Vorjahr setzte das RCV 914,5 Mio. Euro um (+7,5 %) und beschäftigte 3273 Mitarbeiter, davon 1400 in Österreich.
Die in Österreich tätigen internationalen Pharmakonzerne, die einen Schwerpunkt auf Forschung und Entwicklung legen, bedauern, dass der Anteil der Forschung an der Wirtschaftsleistung heuer sinkt. Ein innovationsfreundliches Klima sei für die Branche ein wichtiger Standortfaktor, hieß es beim Forum Alpbach.
Dabei dürfe es nicht nur um staatlich unterstützte Grundlagenforschung gehen, sondern auch um die klinische Forschung der Unternehmen. Österreich sei bei der Zulassung klinischer Studien derzeit sehr schnell, was ein wesentlicher Vorteil gegenüber anderen EU-Ländern sei, betont man beim Pharmakonzern Novartis (4600 Mitarbeiter in Österreich). Dieser Vorteil drohe durch eine EU-weite Harmonisierung der Zulassung solcher Studien allerdings verloren zu gehen. Daher müsse an anderen Schrauben gedreht werden, um den Standort Österreich attraktiv zu halten. Novartis-Österreich-Chef Ernst Meijnders betont, dass es „keine Verschlechterung im Bereich Steuern oder Anlagengenehmigung geben darf“. Der Präsident des Forums der forschenden pharmazeutischen Industrie, Ingo Raimon, schlägt vor, die Summe, die Sozialversicherungen durch verstärkte Verschreibung von Generika einsparten, für Innovation zu verwenden. Der Sparkurs der Krankenkassen belaste jene Pharma-Unternehmen, die Originalpräparate herstellten. Das Forum vertritt Konzerne wie Baxter, Bayer, Sanofi, Merck oder Pfizer.
Die Konsolidierung in der Pharma-Branche wirkt sich auch auf Österreich aus. So verkaufte Baxter das Impfstoffgeschäft an Pfizer. Ob Pfizer die Österreich-Sparte lange behält, ist offen. Während Konzerne kaufen und verkaufen, schaffen Kleinbetriebe Innovation: Die Wiener Biotechfirma S-Target therapeutics gab am Dienstag sein Verfahren zur Herstellung von Allergiemitteln gegen Lizenz an Merck ab.