Wirtschaft

Blüm: "Hab’ Geld noch nie arbeiten g’sehn"

Arbeit ist das Lebensthema des „rotierenden Rentners“, wie Norbert Blüm in Deutschland liebevoll genannt wird. Der frühere Arbeits- und Sozialminister (CDU) hat dazu ein neues Buch geschrieben und beeindruckt als ebenso wortgewaltiger wie streitbarer Verfechter der Realwirtschaft. Der KURIER traf ihn am Rande einer Enquete der Arbeiterkammer Niederösterreich in St. Pölten.

 

KURIER: Gerade wurde in Brüssel ein milliardenschweres Jobpaket geschnürt. Können EU-Milliarden tatsächlich Arbeitsplätze schaffen?

Norbert Blüm: Nein, sie können Hebammen spielen, aber Jobs können sie nicht schaffen, das wäre dann ja Staatswirtschaft. Es muss uns klar sein: Diese Krise wird nur durch die Realwirtschaft, durch ehrliche Arbeit, überwunden. Das Desaster, in das wir reingeschlittert sind, hat die ehrliche Arbeit abgewertet und die Geldwirtschaft aufgewertet. Das muss wieder ins Gleichgewicht kommen.

Was genau ist für Sie denn ehrliche Arbeit?

Arbeit, die Werte schafft. Die Akteure in der Finanzwirtschaft spielen mit dem Geld und glauben, dass Geld arbeitet. Aber ich hab Geld noch nie arbeiten g’sehn. Jene, die mit dem Geld spielen, sind Hochstapler. Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Firmen zu kaufen und dann wieder zu verkaufen ist keine Wertschöpfung. Es bringt aber mehr Geld als die Arbeit, die in diesen Firmen geleistet wird. Da stimmt doch was nicht. . .

Sie sagen, ehrliche Arbeit ist mit Anstrengung verbunden. Sollen wir wieder zurück an die Werkbank, wie im Industriezeitalter?

Nein, es geht nicht nur um die Produktion. Den größten Zuwachs an Arbeit wird es bei den Dienstleistungen geben, etwa im Bereich Gesundheit. Dort entstehen mehr Jobs als in der hochgelobten Informatik. Die Frage wird sein, ob wir den Menschen dort wieder mehr Chancen geben und nicht alles weiter automatisieren.

In ganz Europa steigt die Jugendarbeitslosigkeit, warum trifft es jetzt die Jungen?

Weil die Betriebe nicht mehr ausreichend für Nachwuchs sorgen und selbst ausbilden. Nur mit Hilfsarbeitern werden wir aber keine intelligenten Produkte herstellen und unsere Weltwirtschaft lebt von intelligenten Produkten. Die Massenfertigung mit niedrigerer Qualifikation wird in der dritten Welt billiger hergestellt.

Die Klage über den Fachkräftemangel wird zum Dauerzustand. Eine Lösung?

Ganz einfach. Wer Fachkräfte nicht selbst ausbildet, wird keine mehr haben. Ja, sollen wir sie denn aus Afrika holen? Arbeitsplätze sollen doch vor allem dort sein, wo die Menschen ihre Heimat haben. Wenn wir Qualifikation aus der Dritten Welt importieren ist das auch nichts anderes als Kolonialismus. Früher haben wir die Rohstoffe ausgebeutet, heute holen wir uns ihre Fachkräfte, die ja auch zu Hause gebraucht werden.

Ist Höherqualifizierung ein Ausweg aus der Arbeitslosigkeit?

Bildung ist unser größtes Kapital. Sie fängt aber für mich nicht erst an der Universität an, ich glaube an das gesamte Spektrum an Begabungen. Wer sagt denn, dass Bildung immer theoretische Fähigkeiten voraussetzen muss? Es geht sehr oft auch um soziale Kompetenz. Wir benötigen nicht alle die Relativitätstheorie, aber wir benötigen alle Menschen, die sich uns zuwenden.

Wieso hat die Lehre so ein Imageproblem?

Das hängt sicher mit dem Image des Handwerklichen zusammen. Grundschulen fördern vielleicht auch theoretische Begabungen viel mehr als praktische. Und natürlich geht es auch um Lohn und Ansehen. Wenn die Dienstleistungsgesellschaft, etwa im Sozialbereich, mit Vergelt’s-Gott-Tarifen arbeitet, wird da nix daraus. In jedem Lohn ist auch Anerkennung enthalten.

Aber wer soll den Gesundheits- und Sozialberufen höhere Löhne bezahlen, wenn der Staat kein Geld mehr hat?

Die Frage lautet nicht, ob es genug Geld gibt, sondern wofür es der Staat ausgibt. Arbeitslose finanzieren oder Arbeit? Und es scheint ja genug Geld vorhanden zu sein. Wenn ich sehe, was die Banken so alles vom Staat abstauben. . . Also am Geld kann es nicht liegen.

Um den Sozialstaat zu retten sollen wir alle länger arbeiten. Geht die Formel auf?

Ich halte von diesen kollektiven Pensionsantrittsalter, wie jetzt mit 67 bei uns in Deutschland, nicht viel. In manchen Berufen ist man mit 60 schon viel zu erschöpft. Wie wollen Sie denn einen Maurer mit 67 noch auf ein Gerüst schicken? Da müssen Sie ihm noch ein Seil dazu geben, damit er sich anhängt. Wer länger arbeiten will, soll es ruhig machen, aber im Prinzip ist es eine Rentenkürzung.

Zur Person: Norbert Blüm

Lehre und Uni Der 76-jährige CDU-Politiker ist gelernter Werkzeugmacher, holte die Matura nach und studierte Philosophie, Germanistik, Geschichte und Theologie. Blüm war von 1982 bis 1998 Minister für Arbeit und Soziales.

Autor "Ehrliche Arbeit“ ist im Gütersloher Verlagshaus erschienen, 319 S., 19,90 Euro.