Blogger und Touristen sollen in Wien weniger Selfies machen
Von Simone Hoepke
KURIER: Wien fährt einen Nächtigungsrekord nach dem anderen ein. Auch dank günstiger Airbnb-Unterkünfte?
Norbert Kettner: Seit Ende 2017 steigen die Umsätze stärker als die Nächtigungszahlen, das heißt, trotz Airbnb haben wir im Durchschnitt höhere Ausgaben für Nächtigungen.
Woran liegt’s?
Sicher auch an der EU-Ratspräsidentschaft und den vielen Kongressen, die die Preise nach oben ziehen. Und an den neuen Flugverbindungen. Unter dem Strich war Wien im Dezember 2018 im Ranking aller europäischen Städte der Auslastungskaiser. Das kann sich aber schnell ändern.
Woran denken Sie?
Wien hat den schärfsten Wettbewerb der Airlines in Europa, weil es zentral liegt und als Hub dient, weshalb auch Frankfurt am Zubringer Wien Interesse hat. Derzeit profitieren wir nicht nur von neuen Langstreckenflügen, sondern stark von den Billigairlines, die hier neu am Start sind. Wie die irische Ryanair, die nach der AirBerlin-Pleite nach Wien gekommen ist. Langfristig werden aber nicht alle Billigairlines den aktuellen Preiskampf überstehen.
Sie haben am Flughafen Wien eine Tourist-Info eröffnet. Ist das noch zeitgemäß?
Die Tourist-Info war als Registrierstelle für Kongressteilnehmer geplant, aber wir haben auch abseits dieser Gruppe einen hohen Zulauf. Speziell bei Passagieren von Billigfliegern. Wir sehen, dass viele sehr spontan einen Flug buchen und kein Zimmer reserviert haben. Sie informieren sich bei der Tourist-Info – der Zulauf hat uns selbst überrascht. Wir hätten gedacht, diese Kundengruppe bucht lieber online über ein Buchungsportal.
Wien ruft Touristen auf, mehr auf die Stadt zu schauen, statt aufs Smartphone zu starren und Selfies zu machen. Werben Sie jetzt für Digital Detox?
Ich würd eher von digitalem Bewusstsein sprechen. Wir wollen die Leute auffordern, die Stadt mit den eigenen Augen zu sehen – und nicht durch die Smartphone-Kamera. Das heißt aber nicht, dass wir Technik-Feinde sind, im Gegenteil. Ohne Social Media geht in der Tourismuswerbung gar nichts mehr. Das muss man ehrlich sagen.
Kommt die Kampagne bei Bloggern an, die ständig Fotomotive zum posten suchen?
Ja, sie haben die Stadt – ausgerüstet mit einer Sofortbildkamera – ganz neu erlebt, den ganzen Tag über nichts gepostet. Für sie eine neue Lebenserfahrung. Wir haben für unsere Unhashtag-Kampagne in Großbritannien und Deutschland Preise bekommen, in 15 Ländern wurde darüber berichtet.
Wie wird sich das Bettenangebot in Wien weiterentwickeln?
Wir haben aktuell rund 68.000 Gästebetten in der Stadt, Ende des Jahres werden es 70.000 sein, Ende 2020 bereits 74.000. Wir sehen eine Strukturveränderung. Es gibt weniger Betriebe am Markt, aber diese sind größer und wirtschaftlicher aufgestellt. An sich eine gesunde Entwicklung.
Bereits jetzt sind mehr als die Hälfte der Gästebetten im 4- und 5-Sternbereich angesiedelt. Wo sehen Sie noch Potenzial für weiteres Wachstum?
Bei den Angeboten für Familien. Immer mehr Jungfamilien machen Urlaub in der Stadt, weil es hier ein wetterunabhängiges Programm auch für die Kinder gibt, dazu Gastronomie und funktionierende öffentliche Verkehrsmittel. Davon profitieren Ferienwohnungen und Plattformen, das birgt aber Potenzial für spezialisierte Angebote der Hotellerie.
Wie viel Prozent der Nächtigungen entfallen aktuell auf sogenannte Privatquartiere?
1990 war ihr Anteil in der Stadt bei null Prozent, 2013 bei 0,8 Prozent, heute liegt er bei 7,5 Prozent. Das heißt, ihr Anteil ist fast so hoch wie jener der 5-Stern-Hotels (9,6 Prozent).
Glauben Sie, dass die zentrale Airbnb-Registrierungsstelle nach den Wahlen komm?
Das hoffen wir. Portugal hat so ein Stelle im Juli 2017 mit viel Erfolg eingeführt. Meines Erachtens müsste es zudem eine Restriktion bei der Vermietungsdauer auf 60 oder maximal 90 Tage im Jahr geben, um den Markt zu regulieren. Am Ende wird freilich entscheidend sein, wie die Kontrolle der Vermieter funktioniert. Es gibt noch andere Themen, die eine Regierung angehen müsste.
Für die Fahrt zwischen Wien und dem Flughafen Schwechat gibt es auch noch kein integriertes Angebot ...
Mit der Vienna City Card haben wir es geschafft, dass auch der Flughafentransfer mit sämtlichen Öffis inkludiert ist. Aber noch heute dürfen Schwechater Taxifahrer niemanden in Wien abholen und Wiener Taxifahrer keine Fahrgäste am Flughafen auflesen. Das ist auch ein ökologischer Wahnsinn. Dadurch entstehen mehr als neun Millionen Leerkilometer mit Taxis im Jahr.