Zu "kalt" für softe Familienshows
Von Katharina Baier
Lange hat man es schon vermutet, am späten Samstagabend wurde es letztendlich doch noch überraschend zur Gewissheit. Das einstige Zugpferd des ZDF, die Familienshow "Wetten, dass ..?" wird am 13. Dezember endgültig eingestellt.
Live auf Sendung hat Gastgeber Markus Lanz mit knappen Worten den Anfang vom Ende des 1981 gestarteten Unterhaltungsklassikers verkündet. "Das war ‚Wetten, dass ..?‘ aus Offenburg", sagte der 45-Jährige mitten in den Abschiedsapplaus hinein. "Wir gehen jetzt in die Sommerpause und sehen uns am 4. Oktober wieder mit den letzten drei Ausgaben von ‚Wetten, dass ..?‘ ".
Das abrupte Ende kam nicht nur für so manchen Zuseher gänzlich unerwartet, sondern auch für Lanz’ Vorgänger Thomas Gottschalk.
"Dann hätte ich das Ding auch gleich selbst an die Wand fahren können", sagte der Entertainer am Samstagabend lapidar in einem Telefongespräch mit Spiegel Online. Später ließ er noch einen etwas milderen Kommentar verlautbaren: "Weder Häme noch Besserwisserei sind jetzt gefragt. Ich trauere, wie man so schön sagt, still. Und das will bei mir was heißen." Der blonde Hüne mit den abenteuerlich, gemusterten Hosenanzügen moderierte zwischen 1987 und 2011 insgesamt 151 Ausgaben.
Hoffen auf Neustart
Auch Sendungs-Erfinder Frank Elstner erfuhr erst live von dem Aus. Auf seinem Twitter-Account schrieb er, die Entscheidung gehe "an die Nieren". "Ich sehe die Entscheidung mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Natürlich ist es immer traurig, wenn etwas zu Ende geht, aber lachend, weil ich an eine Wiederbelebung glaube."
Anhaltend schlechter werdende Quoten und durchwegs desaströse Kritiken, vor allem im Umgang mit internationalen Stars, hatten Markus Lanz seit seinem Amtsantritt im Oktober 2012 begleitet. In einem nach der Show veröffentlichten Interview bedauerte er, dass "Wetten, dass ..?" mit der Entwicklung der TV-Landschaft nicht mehr habe Schritt halten können. Die Show sei etwas, "was das deutsche Fernsehen eigentlich dringend braucht. Aber offenbar passt es im Moment wahrscheinlich nicht mehr so richtig in die Zeit." Diese sei doch ein "bisschen kalt" geworden. ZDF-Programmdirektor Norbert Himmler begründet den radikalen Schritt seines Senders mit dem stetigen "Rückgang der Zuschauerzahlen", die gezeigt haben, "dass sich die Sehgewohnheiten verändert haben und das Format an Anziehungskraft verloren hat". "Es ist uns nicht leicht gefallen, einen Klassiker wie ‚Wetten, dass ..?‘ vom Schirm zu nehmen. Der Aufwand einer so großen Show steht aber nicht mehr im Verhältnis zur Zuschauer-Resonanz."
"Wirtschaftlich und programmstrategisch können wir als Co-Partner diese Entscheidung nachvollziehen", kommentierte auch ORF-Fernsehdirektorin Kathrin Zechner das Aus. Die vergangene Ausgabe – unter anderem mit Cameron Diaz, Veronica Ferres und Hape Kerkeling – hatte auf ORFeins mit durchschnittlich 495.000 Zusehern und 21 Prozent Marktanteil das drittschlechteste Sendungs-Ergebnis seit Anfang 2013.
Das war die Show, in der "Wetten, dass..?" zu Grabe getragen wurde
Der Erfolg einer Samstagabendshow wird daran gemessen, ob die Leute am Montag im Büro darüber reden. Auf "Wetten, dass ..?" traf das wohl schon länger nicht mehr zu. "Du, Müller, hast du gesehen, wie der Typ mit Pfeil und Bogen einen Toast abgeschossen hat?" "Ja, klasse Nummer, und wie die Veronica Ferres mit dem Hape Kerkeling Linkswalzer getanzt hat, meine Frau hat gequietscht vor Vergnügen."
Bürogespräche im Jahr 2014 drehen sich eher um: steigende Miet- und Lebenserhaltungskosten, Jobangst, Hypo-Desaster. Den Nerv, den "Wetten, dass ..?" einst traf, gibt es nicht mehr. Die Zeiten, in denen ganze Familien, wohlig erschöpft von einer harten, aber befriedigenden Woche im Wirtschaftswachstum gemeinsam vor dem Fernseher saßen und sich ein bisschen zerstreuen ließen, sind vorbei. Um die Fernsehsendung "Wetten, dass ..?" an sich ist es nicht schade – aber ihre Einstellung hat symbolhafte Bedeutung. Die goldenen 80er sind endgültig vorbei. Zeit erwachsen zu werden, Kinder.
Arno Frank bei Spiegel online: "Deutschland 2015 wird dann erstmals nach 215 Abenden in 33 Jahren eines ohne sein televisionäres ‘Lagerfeuer’ sein. Es können nun die Nachrufe auf eine Ära geschrieben werden. Sehr, sehr, sehr entspannt."
Michael Hanfeld bei FAZ.net: "Gottschalk ging, Lanz kam, und mit ihm war die Sache gelaufen. Ihm fehlt die Lockerheit, die es braucht, einen dreistündigen Kindergeburtstag für Erwachsene zu veranstalten."
Jan Freitag bei Zeit Online: "Genau diese stahlbetonlockere Lässigkeit kennzeichnet seit Lanz’ Antritt vor 18 Monaten den traurigsten Abgang der Fernsehgeschichte seit dem Tod von Winnetou: Europas einst größte Unterhaltungssendung ist tot und schlimmer noch: Keiner scheint darüber zu trauern."
Matthias Kohlmair bei Süddeutsche.de: Die vorangegangene Show aus Offenburg beweist jedoch eindrücklich, dass niemand traurig sein muss über das baldige Verschwinden des Formates.
Frank Elstner kam die Idee zu "Wetten, dass..?", als er sich schlaflos im Bett wälzte. Sein Ziel: eine Samstagabendshow, über die die Leute noch am Montag sprechen. Zuletzt war es gefühlt so, dass die Show für viele bloß noch eine Sendung war, über die man direkt parallel zur Ausstrahlung live in sozialen Netzwerken lästern konnte. Was für eine Entwicklung.
Nach 215 Ausgaben innerhalb von 33 Jahren soll im Dezember Schluss sein mit dem ZDF-Klassiker "Wetten, dass..?".
In den vergangenen drei Jahrzehnten, vor allem in den 80er und 90er Jahren, war es lange Zeit so, dass die Menschen tatsächlich nach dem Wochenende in Büros oder auf Schulhöfen über die Wetten sprachen, die vom Brustmuskelzucken bis zum Buntstifteschmecken reichten - bei letzterem gab es 1988 einen legendären Betrugs-Skandal.
Gesprächsthema waren auch einige Gäste: Schauspieler Götz George flippte zum Beispiel 1998 aus, weil Moderator Thomas Gottschalk angeblich so schlecht über dessen neuen Film informiert gewesen sei. Als Höhepunkte galten dagegen Auftritte von Weltstars wie Michael Jackson (erstmals 1995 spektakulär mit dem "Earth Song" über der Bühne hängend). Selbst Friedensnobelpreisträger Michail Gorbatschow nahm 1996 auf der Show-Couch Platz.
Und immer und immer wieder, jetzt am Samstag auch Hollywood-Star Cameron Diaz in Offenburg, verabschiedete sich ein ausländischer Gast frühzeitig von der Bühne, um noch angeblich den Flieger zu erwischen.
Nur nicht die Couch
Popstar Robbie Williams erklärte dazu vergangenen Oktober in einem Welt am Sonntag-Interview, er sei stets gerne in die ZDF-Show gegangen - solange er nicht auf die Couch müsse: "Ich will nur nicht drei Stunden auf diesem Sofa sitzen. Ich habe das nie mitgemacht. Meine Ausrede war immer: Mein Flugzeug wartet draußen auf mich."
Der britische Sänger war auch im November 2012 in jener Sendung zu Gast, in der sich US-Filmstar Tom Hanks eine Katzenmütze aufsetzen musste. Oft wurde über diese Ausgabe gespottet; Williams und Hanks sprachen auch selber darüber in einer Radio-Sendung der BBC.
In der Zeit vor Facebook, Twitter, YouTube und so weiter war der Respekt vor dem Fernsehen oft groß, manchmal übertrieben groß. In seinem Bestseller "Generation Golf" beschrieb Florian Illies vor 14 Jahren nostalgisch die heile Kinderwelt der 80er Jahre, in denen er im Kapuzenbademantel "Wetten, dass..?" habe gucken dürfen: "Niemals wieder hatte man in späteren Jahren solch ein sicheres Gefühl, zu einem bestimmten Zeitpunkt genau das Richtige zu tun."
Diese Emotion kennen Kinder des Jahres 2014 - wenn überhaupt - wohl eher mit anderen und je nach Elternhaus wohl auch mit ganz unterschiedlichen Sendungen.
Zeit abgelaufen?
Die Zeit der Unterhaltungsformate mit Riesen-Einschaltquote, Familienzusammenführungs-Charakter und allseits beliebten Showmastern (wie einst eben Thomas Gottschalk, Rudi Carrell, Peter Frankenfeld oder Hans-Joachim Kulenkampff) scheint bereits lange vorbei zu sein. TV-Figuren wie Dieter Bohlen, Florian Silbereisen, Stefan Raab, Joko & Klaas und selbst Günther Jauch spalten mehr, als dass sie am Abend vor dem Fernseher versöhnen.
Und der Südtiroler Markus Lanz vermochte in den letzten Jahren eben nicht einmal mehr, mit dem scheinbar gegen einen Untergang gewappneten TV-Flaggschiff "Wetten, dass..?" die Zehn-Millionen-Marke zu knacken. In den ersten Jahrzehnten war dies (wahrscheinlich auch mangels Alternativen) geradezu eine Selbstverständlichkeit - allein in Deutschland lockte die Show regelmäßig um die 20 Millionen Zuschauer vor die Bildschirme.
So kommt es also, dass in Deutschland zurzeit die zweistellige Millionenzahl nur noch ein gänzlich anderes Fernsehformat (abgesehen vom großen Sport) regelmäßig schafft. Statt um Wetten und Witzchen geht's dabei um Mord und Totschlag und soziale Konflikte: am Sonntagabend im ARD-"Tatort".