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Gerechtes Internet, freier Journalismus

Der Chefredakteur des KURIER, Helmut Brandstätter, hat kürzlich tief in das Grab der Zeitungslandschaft geblickt. Am Ende hat er beschlossen, den totgesagten Journalismus wiederzubeleben. Sein Letzte-Hilfe-Konzept klang plausibel: Mehr Förderung für den österreichischen Qualitätsjournalismus, Expansion der Print-Inhalte ins Internet und leidenschaftliche Ausbildung des schreibenden und lesenden Nachwuchses. Die Frage ist, ob diese Lösungen reichen, um über das Grab zu springen, oder ob man mit ihnen nicht in der Gruft landet.

Dass ich Helmut Brandstätters Auferstehungsrede überhaupt gelesen habe, verdanke ich einem europaweit einmaligen Umstand der österreichischen Presselandschaft. Ich habe den KURIER auf dem Weg zum Bäcker aus einer Zeitungstasche gezogen und weil ich kein Kleingeld dabei hatte, war die Lektüre für mich ein kleines Verbrechen. Und letztlich beginnt genau hier die Frage um das Selbstbild des Journalismus: Was ist dem Leser das gedruckte Wort noch wert?

Wöchentlicher Luxus

Zeitungen, deren Chefredakteure die Österreicher jeden Sonntag zum kleinen Diebstahl animieren, folgen nämlich längst dem Mechanismus des Internets. Auch hier kann jeder zu jeder Zeit Informationen kostenlos abrufen und bleibt sogar straffrei. KURIER, Krone und Presse (Erstere bekommen staatliche Vertriebsförderung, Presse Subventionen in Millionenhöhe) leisten sich diesen Luxus einmal die Woche, für Heute und Österreich ist die Gratis-Zeitung zum Geschäftsmodell geworden. Und für alle gilt: Nicht der Leser zahlt den Hauptteil der Information, sondern der Werbekunde.

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Die Freiheit, in die Österreichs Presse 1967 entlassen wurde, ist einer neuen Form der Unfreiheit gewichen. Dass Krone, Österreich und Heute unter anderem auch von Parteienwerbung abhängen und in der Gefahr schweben, auch Inhalte zu verkaufen, ist in den letzten Monaten erschreckend offensichtlich geworden. Und auch an die mehr oder weniger subversive politische Einflussnahme beim ORF haben sich die Österreicher weitgehend gewöhnt.

Ebenso schlimm: der ORF investiert seine 600 Millionen Gebühren-Euro nicht allein in journalistische Qualität, sondern auch in Unterhaltungssendungen wie „Dancing Stars“ und „Die große Chance“. Sie sind die Cash-Cows des öffentlichen österreichischen Fernsehens. In Deutschland übrigens eine klare Angelegenheit für Privatsender wie RTL, die diesen Trash ohne Subventionen senden.

Vorteile für den ORF

KURIER-Chefredakteur Brandstätter hält sich mit all dem nicht auf. Er sieht die Zukunft des Journalismus in der Qualität sowohl im gedruckten Blatt als auch im Internet. Die Frage ist, ob seine Strategie weit genug führt. Denn das Internet ist nicht die logische Verlängerung des Zeitungsjournalismus, sondern ein vollkommen neues Multimedium, in dem Journalisten aus unterschiedlichen Genres mit unterschiedlichen Qualitäten um Deutungshoheit kämpfen. Zeitungen haben hier eine denkbar schlechte Voraussetzung. Sie müssen aus ihren klassischen Redaktionen heraus neue journalistische Formen wie das Bewegtbild, Blogs oder die multimediale Animation entwickeln. Fernsehsender wie der ORF haben da einen eindeutigen Wettbewerbsvorteil. Sie können bei der Ausweitung der Nachrichtenzone ins Netz auf ihre subventionierte TV-Thek und ihren existierenden Online-Auftritt zurückgreifen und müssen nicht einmal Gewinn machen. Das Netz ist also alles andere als ein freier Markt um die besten Nachrichten. Hier werden unterschiedliche Medien aufgrund politischer Interessen bevorzugt oder benachteiligt.

Das ist um so dramatischer, da im Internet alle derzeit existierenden Medien miteinander verschmelzen und die Nutzer nicht mehr nach Tradition und Herkunft ihrer Nachrichtenlieferanten fragen werden: Zeitungshäuser, Fernsehanstalten und Internet-Portale, etablierte Medien und Bürger-Journalisten werden miteinander konkurrieren. Kein User wird fragen, ob das Silvesterkonzert nun vom ORF auf seinen Bildschirm kommt, von den Wiener Philharmonikern mithilfe von Rolex selbst gestreamt wird, oder ob der KURIER dieses Event als Leserservice bereitstellt. Schon heute werden Fernseher mit einer App der Berliner Philharmoniker ausgeliefert, die ihre Konzerte ohne Sender in die Wohnzimmer ausstrahlen, und in Deutschland ist auf vielen Geräten bereits die App der Bild installiert, die kostenlose Videos bereitstellt.

Modell Paywall

Wann wird die österreichische Fußball-Liga ihre eigene Sportsendung starten? Wann der Nationalrat seine eigenen Live-Streams? Wann wird der ORF eine iPad-Zeitung herausbringen? Und wann der KURIER eine Fernsehsendung? Werden wir in Zukunft überhaupt noch Verlage brauchen? Und was wird ihre Aufgabe sein? So oder so werden die Zeitungen, ob sie wollen oder nicht, zwar immer schön, aber eben auch immer alt aussehen. Ihre Inhalte sind wertig, aber sie werden, gerade in Zeiten, in der nichts so verfügbar ist wie Nachrichten, immer weniger Publikum erreichen.

In Deutschland gibt es zwei Zeitungen, die als Print-Titel erfolgreich sind: Die Zeit und die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Beides sind Wochenzeitungen, die auf Tiefe statt auf Alltäglichkeit setzen. Und es gibt durchaus rentable Online-Zeitungen wie Spiegel-online und Bild-online. Spiegel hat seine Online-Redaktion von der Print-Redaktion abgekoppelt. Bei Bild.de sind Inhalte der gedruckten Zeitung ebenfalls auf der Internetseite zu lesen, gleichzeitig betreut eine eigene Online-Redaktion Live-Ticker, Community und aktuelle Nachrichten. Zur US-Wahl wurde acht Stunden lang aus einem Online-Wahlstudio moderiert – ein bewusster Angriff auf das öffentlich-rechtliche Fernsehen. Für derzeitige Angebote plant Bild in Zukunft den Aufbau einer Paywall. User sollen für besondere Angebote zahlen. Dafür hat Bild unter anderem die Rechte der Fußball-Bundesliga erworben. In Zukunft will die Zeitung die kostenlose ARD-Sportschau angreifen. Bild hat begriffen, dass sie nicht nur Zeitung ist, sondern Multimedium. Vor derartigen Geschäftsmodellen sind österreichische Print-Publikationen Lichtjahre entfernt.

Gerechtes Internet

Der KURIER hat seinen Internetauftritt gerade neu gestaltet, ist dabei aber so konservativ geblieben wie Presse und Standard. Mittelfristig werden sie als Online-Konkurrenten des mit Staats-Millionen geförderten ORF wohl kaum überleben.

Wer keine Grabrede auf den Journalismus halten will, muss in erster Linie über die staatlich subventionierte Gleichberechtigung aller Spieler aus Print, Fernsehen und Radio, aus den privaten- und öffentlichen Medien im Netz nachdenken. Die österreichischen Nachrichtenkonsumenten würden erst dann profitieren, wenn in einem politischen Prozess neue Grundlagen für ein gerechtes Internet geschaffen würden. Freier Journalismus muss wieder als eigener Wert erkannt, die Einflussnahme der Politik durch die finanzielle Misere der Blätter vermieden und eine Gleichberechtigung aller Medienschaffenden erreicht werden. Denn letztlich ist die freie Information eine der größten Grundkonstanten eines freien Landes.

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AXEL BRÜGGEMANN lebt in Bremen und Wien. Er war Textchef bei der Welt am Sonntag, arbeitet heute als Moderator für das ZDF und arte und als Publizist für die Frankfurter Allgemeine Sonntags­zeitung, den Cicero und das Datum. Von ihm sind zahlreiche Bücher erschienen, zuletzt Landfrust bei Rowohlt/Kindler.