Wirtschaft

Ölrausch im eisigen Norden

Nirgendwo auf der Welt ist der Klimawandel deutlicher sichtbar als in der Arktis. Die Sommereisdecke um den Nordpol ist auf 3,4 Millionen Quadratkilometer geschmolzen. Sie ist nur noch halb so groß wie in den 1970er-Jahren. Was die Umwelt- und Klimaschützer mit Entsetzen beobachten, weckt bei den internationalen Ölmultis neue Begierden.

Im Eismeer lagern nämlich gewaltige Mengen an Öl und Gas. 30 Prozent der globalen Erdgasvorkommen und 13 Prozent der Ölreserven vermutet der Geologische Dienst der USA in dieser unwirtlichen Region. Die großen Ölkonzerne dieser Welt, die den politischen Unsicherheiten im nördlichen Afrika und im Nahen Osten entfliehen wollen, bringen sich bereits in Stellung.

Der britisch-niederländische Konzern Shell etwa hat seit 2006 fast vier Milliarden Euro in der Arktis investiert. Auf Gewinne aus diesem Investment aber muss der Multi wohl noch lange warten. Kein einziges Bohrloch konnte er bisher fertigstellen.

Eine Havarie an der Bohrplattform vor Alaska zwang Shell heuer sogar, eine verübergehende Pause seiner Öl- und Gas-Exploration in Alaska zu verkünden – nicht ohne fast zeitgleich einen neuen Anlauf in Richtung Eismeer zu machen: dieses Mal in Kooperation dem russischen Erdgasriesen Gazprom.

Der hat schon eine Bohrplattform im Eismeer errichtet, die Prirazlomnaya, 1000 Kilometer nördlich von Murmansk. Der US-Konkurrent von Shell, Exxon Mobil, versucht mit der russischen Rosneft den Ölreichtum der Arktis zu erobern.

"Wir sehen die Arktis als unser Haus und unsere Zukunft"


Russland, das in den Gewässern vor Sibirien über die größten arktischen Öl- und Gaslagerstätten verfügen soll, hält seine Hand fest über die Arktis – auch wenn deren Grenzen zu den andern Anrainerstaaten Kanada, Dänemark/Grönland, Norwegen und USA nicht endgültig geklärt sind. „Wir sehen die Arktis als unser Haus und unsere Zukunft. Die Hälfte der Arktis gehört uns“, behauptete Anton Wassilojew vom russischen Außenministerium.

Bedrohung der Umwelt

Für die Umweltschützer ist denn auch Russland die größte Gefahr für das sensible Ökosystem der Arktis. Mitte August erst protestierten Greenpeace-Aktivisten in der Barentsee gegen ein Explorationsschiff der russischen Rosneft. In dieser See, einem Randmeer des Eismeeres, fast vier Mal so groß wie Deutschland, werden riesige Öl- und Gaslager vermutet. Rosneft sucht mit Schallkanonen nach Ölfeldern. Der Lärm könne für Wale oder andere Meerestiere tödlich sein, behauptet Greenpeace.

„Die größte Gefahr für die Arktis aber ist derzeit die Kooperation von Shell mit Gazprom“, sagt Lukas Meus, Arktis-Kampagnenführer von Greenpeace. Die Gazprom-Plattform bedrohe ein riesiges Naturschutzgebiet in Sibirien. Denn Öl zersetze sich bei den tiefen Temperaturen nicht. Ein Leck an der Plattform könnte die Arktis daher für Jahrzehnte, wenn nicht für immer, zerstören.

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Der Zug der Öl- und Gaskonzerne nach Norden, wenn auch noch weitab von der Arktis, ist unübersehbar: Noch nie zuvor wurde so viel Geld in die Öl- und Gasförderung in der Nordsee investiert wie heuer. Allein im britischen Teil der Nordsee waren es umgerechnet fast 16 Milliarden Euro.

Beflügelt durch Steuererleichterungen der britischen und schottischen Regierung und auf der Suche nach politisch stabilen Produktionsgebieten sind die Ölmultis in die Nordsee zurückgekehrt. Eigentlich hat diese Förderregion ihren Zenit schon längst überschritten, die Produktionsmengen sinken seit Jahren. Doch die Branche hofft mit neuen Technologien auch aus den beinahe erschöpften Feldern noch Öl herauszupressen.

Dem Zug nach Norden ist auch die heimische OMV gefolgt. Mit einer Rekordinvestition von 2,65 Milliarden Euro hat sie ich an vier Öl- und Gasfeldern der norwegischen Statoil beteiligt.

OMV-Generaldirektor Gerhard Roiss hat die Nordsee zu den Kernregionen des Konzerns erwählt. Schon 2014 will die OMV die ersten Früchte aus den Nordsee-Beteiligungen ernten. 500 Millionen Euro sollen die Projekte in der Region zum Ergebnis beitragen. Gemeinsam mit Statoil wird der heimische Ölkonzern zudem neue Technologien zur Verbesserung der Ölausbeute erforschen.