Wirtschaft

Arbeitsmarkt: Warum uns Deutschland abhängt

Österreich meldet Monat für Monat neue Arbeitslosenrekorde. Im November gab es ein Plus von 5,6 Prozent auf 430.000 Betroffene. Deutschland hingegen glänzt mit der niedrigsten Arbeitslosenrate seit 24 Jahren und ist mit einer Quote von 4,5 Prozent seit Monaten Spitzenreiter in der EU. Österreich ist mit 5,6 Prozent auf Rang 5 abgerutscht. Jobmisere in Österreich, Jobwunder in Deutschland – wie passt das zusammen? Der KURIER fasste die wichtigsten Faktoren für das Auseinanderdriften der beiden Volkswirtschaften auf dem Arbeitsmarkt zusammen:

Wirtschaftswachstum Österreichs Wirtschaft fährt noch immer im Kriechgang (1,0 Prozent), während Deutschland zumindest den ersten Gang eingelegt hat. Im dritten Quartal fiel das BIP-Wachstum mit 1,8 Prozent fast doppelt so hoch aus, 2016 soll die Wirtschaft um zwei Prozent wachsen. Getrieben wird das Wachstum von einer starken Binnennachfrage, besonders vom privaten Konsum. Auch eine Stimmungssache, meinen Experten. Der deutsche Mittelstand blickt optimistischer in die Zukunft als der heimische und stellt Personal ein.

Wettbewerbsfähigkeit Deutschland ist Österreichs wichtigster Wirtschaftspartner. Neu ist: Heimische Firmen können vom Zugpferd Deutschland aktuell nur bedingt profitieren. Das hängt laut Wirtschaftsforschern auch mit der steigenden Wettbewerbsfähigkeit osteuropäischer Betrieben zusammen. Als Zulieferer für die deutsche Industrie gewinnen sie Marktanteile zu Lasten heimischer Betriebe. "Das Problem ist, dass die Löhne zuletzt stärker gestiegen sind als die Produktivität", analysiert IHS-Arbeitsmarktexperte Helmut Hofer.

Demografie Die Deutschen sind statistisch betrachtet etwas älter als die Österreicher, die Erwerbsbevölkerung schrumpft. Schon jetzt gehen mehr Arbeitskräfte in Rente als Junge nachkommen, was sich positiv auf den Stellenmarkt auswirkt. In einigen Regionen Deutschlands herrscht akuter Fachkräftemangel. Arbeitsmarktforscher schlagen Alarm: Bis 2050 könnte die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter um ein Drittel von 43 auf 29 Millionen sinken. Nicht zuletzt deshalb forciert Deutschland auch die Zuwanderung.

Zuwanderung Im Gegensatz zu Deutschland drängen in Österreich weit mehr Menschen auf den Arbeitsmarkt als dieser derzeit aufnehmen kann. Inländer wie Ausländer. Der Zustrom aus anderen EU-Ländern (v.a. Ungarn, Polen, Rumänien) ist in Österreich fast doppelt so hoch wie in Deutschland. Die aktuelle Flüchtlingskrise verschärft die Lage derzeit vor allem in Wien, wohin es zwei Drittel der Zuwanderer zieht. Hofer spricht vom "Hauptstadt-Phänomen", das sich in Deutschland nicht so stark auswirkt. Hier verteilt sich Migration besser. "Der deutsche Arbeitsmarkt kann Flüchtlinge besser aufnehmen", meint Hofer. Der enorme Flüchtlingsstrom wird laut der deutschen Bundesagentur für Arbeit die Arbeitslosenquote 2016 aber leicht ansteigen lassen.

Niedriglöhne Der so genannte Niedriglohnsektor, in dem auch weniger Qualifizierte Beschäftigung finden, ist in Deutschland doppelt so groß wie in Österreich. Jeder fünfte Beschäftigte ist Niedrigverdiener, erhält also maximal den gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro/Stunde. Das hat Vor- und Nachteile: Nicht jeder Arbeitslose mit niedriger Produktivität könne höherqualifiziert werden, meint Hofer und verweist auf die aktuelle Diskussion über eine Herabsetzung des Mindestlohns für Flüchtlinge. Andererseits schrumpft der Niedriglohnsektor, etwa durch die Digitalisierung, weshalb es mehr Arbeitslose geben wird.

Minjobs Die hohen Beschäftigungszahlen sind zum Teil auch auf eine Ausweitung der atypischen Beschäftigung (Minijobs, Leiharbeit) durch die Hartz-IV-Reformen zurückzuführen. Arbeitslose müssen hier so gut wie jeden Job annehmen, der angeboten wird. Das ist positiv für die Statistik, erhöht aber die Armutsgefährdung, die bei Arbeitslosen höher ist als in Österreich.

Die aktuellen Prognosen für den deutschen Arbeitsmarkt erwarten ein Ende des Jobwunders. Wie stark die Arbeitslosigkeit steigen wird, hängt neben dem Flüchtlingsstrom auch von den Auswirkungen der Diesel-Affäre bei Volkswagen ab.