Winterdepression: Halbe Million Menschen ohne Job
493.852 Personen haben im Jänner eine Arbeit gesucht, was nach einem Rückgang im November und Dezember des Vorjahres nun einem Anstieg von 0,7 Prozent entspricht. 422.262 waren arbeitslos gemeldet, ein Rückgang von 0,6 Prozent. 71.590 Jobsuchende waren in Schulungen des AMS, das ist ein Zuwachs von 9,7 Prozent.
Ein starkes Plus gab es bei Älteren (50+) mit 7,2 Prozent bzw. 121.184 Arbeitssuchenden, das ist ein Plus von 8.101 Personen. Gleichzeitig stieg im Vormonat die Zahl der unselbstständig Beschäftigten auf 3,54 Millionen, ein Zuwachs von 55.000 - und davon waren 46.000 Ältere, rechnete AMS-Chef Johannes Kopf im Gespräch mit der APA vor. 14,3 Prozent waren länger als ein Jahr arbeitslos, das ist ein Anstieg von 1,8 Prozent.
Ein beachtliches Plus gab es bei den offen gemeldeten Stellen - sie legten um 35,1 Prozent auf 45.165 zu. Auch bei den Lehrstellensuchenden gab es einen Lichtblick: Ihre Zahl ging um 2,5 Prozent auf 5.994 Personen zurück. Die Zahl der offenen Lehrstellen stieg um 16,8 Prozent auf 3.467.
Für Kopf liegt der Anstieg auch daran, dass es im Bereich Bau - nicht zuletzt wegen des kalten Jänners - nicht so gut läuft. Ab Ende Februar sollte es aber wieder rückläufige Zahlen geben, sagte Kopf im Ö1-Morgenjournal.
Die bisherige Förderungen in Form von Lohnnebenkosten-Entlastungen hätten sich bewährt, 60 Prozent der vermittelten Älteren würden in den Betrieben gehalten. Nach wie vor gebe es aber leider bei manchen Arbeitgebern "komische" Vorurteile gegen Ältere, so Kopf. Denn während ältere Mitarbeiter in den Unternehmen geschätzt würden, würde ihnen die Bereicherung abgesprochen, sobald sie auf Jobsuche sind.
Leistungsfähigkeit wird anders
"Die Leitungsfähigkeit nimmt nicht ab, sie wird anders", so Kopf. Darauf müssten auch die Betriebe reagieren und die Arbeitsabläufe entsprechend adaptieren. Firmen, die gezielt auch Ältere ansprechen, hätten steigende Produktivität, verweist der AMS-Chef auf entsprechende Studien. Das Ziel der Bundesregierung im neuen Arbeitsprogramm, 20.000 neue Jobs für Ältere zu schaffen, findet Kopf als eine "herausfordernde Zahl". Sie sei aber zu schaffen, wenn auf regionale Stärken gesetzt würde. Die Gemeinden müssten sich fragen: "Was gibt es, was gut wäre, aber nicht passiert?" Das reiche von der Beaufsichtigung von Kindern am Spielplatz bis zur gemeinsamen Betreuung älterer Menschen.
Regional unterschiedliche Entwicklungen
Die Zahl der Arbeitslosen hat sich im Jahresvergleich recht unterschiedlich entwickelt. In Niederösterreich gab es ein Plus von 2,4 Prozent, in Tirol einen Rückgang von 5,3 Prozent. In Wien sank die Zahl der Arbeitslosen um 0,8 Prozent. Führend bei den offenen Stellen war Vorarlberg mit einem Anstieg von 56,4 Prozent. Schlusslicht war Kärnten mit plus 11,8 Prozent.
Nach Branchen betrachtet gab es im Gesundheits- und Sozialwesen einen Anstieg von 1,5 Prozent, im Tourismus stieg die Zahl der Arbeitslosen um 0,4 Prozent. 42.025 waren in diesem Bereich auf Jobsuche, der zuletzt wegen angeblich fehlender Köche und Kellner für Aufsehen sorgte. Bei der Warenherstellung hingegen ging die Zahl der Arbeitslosen um 4,8 Prozent zurück.
Nach wie vor deutlich steigend ist die Zahl der arbeitslos gemeldeten Ausländer. Sie legte im Jahresvergleich um 4 Prozent auf 123.886 zu. Damit stieg ihre Zahl im Jänner um 4.778 Personen. Bei Inländern gab es hingegen ein Minus von 2,5 Prozent auf 298.396. Dies geht aus den Zahlen des Sozialministeriums hervor.
"Etwas eingefrorene Erholung"
Die Arbeitslosenquote auf Basis nationaler Berechnung beträgt 10,6 Prozent und liegt damit um 0,2 Prozentpunkte unter dem Vorjahreswert.
"Der eisige und zum Teil schneereiche Jänner hat die allmähliche Erholung am Arbeitsmarkt nunmehr etwas eingefroren", heißt es heute dazu in der Presseaussendung des Ministeriums. Im Jahresvergleich sei die Zahl der unselbstständig Erwerbstätigen dafür um 58.000 Personen auf 3.543.000 gestiegen.
Fazit von Sozialminister Alois Stöger (SPÖ): "Die derzeit schwankende Entwicklung am Arbeitsmarkt mit Rückgängen und auch Monaten mit Anstiegen zeigt, das zwar Anzeichen einer Stabilität erreicht werden konnten, die Situation aber immer noch sehr angespannt ist." Er erinnerte daran, dass die Bundesregierung 70.000 neue Jobs schaffen will und das Thema Arbeitsmarkt im Zentrum der Regierungsarbeit steht.
Armut und Armutsgefährdung sind in den Jahren seit Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 2008 gesunken. Zugleich hat sich in Österreich zuletzt auch die Ungleichheit bei den Einkommen im Gegensatz zum internationalen Trend leicht verringert, Einkommen und Vermögen sind aber weiter „extrem ungleich“ verteilt. Das geht aus dem vom Sozialministerium veröffentlichten Sozialbericht 2015/2016 hervor.
Eine staatliche Umverteilungspolitik sei vor diesem Hintergrund unverzichtbar. Die Sozialausgaben betrugen 2015 insgesamt 102,5 Milliarden Euro, 30,2 Prozent der Wirtschaftsleistung flossen in Sozialmaßnahmen. „Österreich ist ein reiches Land. Das darf jedoch nicht den Blick darauf verstellen, dass die Einkommen und Einkommenschancen sehr ungleich und die Vermögen extrem ungleich verteilt sind“, heißt es im Sozialbericht.
Reichstes Prozent besitzt 34 Prozent des Nettovermögens
Schätzungen zufolge besitzt das reichste Prozent etwa 34 Prozent des gesamten Nettovermögens in Österreich. Dieser Wert ist laut einer Studie der europäischen Zentralbank höher als in allen anderen untersuchten EU-Ländern. Das vermögendste Prozent der Haushalte verfügt demnach über nahezu gleich viel Nettovermögen wie die unteren 80 Prozent der Bevölkerung. Kritisch merkt der Bericht des von Alois Stöger (SPÖ) geführten Sozialministeriums auch an, dass es in Österreich eine hohe Besteuerung von Arbeit, aber eine vergleichsweise geringe Vermögensbesteuerung gibt. 1,4 Prozent des Abgabenaufkommens stammten 2014 aus vermögensbezogenen Steuern, im Durchschnitt der EU-15 lag dieser Wert bei 6, im OECD-Schnitt bei 5,5 Prozent.
Erbschaftssteuer gefordert
Die Autoren des Sozialberichts schlagen deshalb eine Erbschaftssteuer beziehungsweise eine Steuer bei Vermögensübertragung vor. Erbschaften hätten nämlich eine große Bedeutung für die ungleiche Verteilung von Vermögen in Österreich. Daten der Nationalbank lassen laut Sozialbericht erwarten, dass der Vermögenstransfer über Erbschaften in den nächsten zwei Jahrzehnten von jährlich 12 Mrd. Euro (2015) auf über 20 Mrd. Euro (2035) ansteigen wird. „Die Wiedereinführung einer Erbschaftssteuer ist daher dringlicher denn je.“ Steuerliche Maßnahmen müssten aber auch bei den Kapitaleinkommen ansetzen, wo die anonyme Flat Tax der Kapitalertragssteuer überdacht werden sollte. Zusätzlich sei eine Reform der Grundsteuer denkbar.
Knapp 300.000 "Working Poor"
297.000 Menschen gelten in Österreich trotz Arbeit als arm und als sogenannte „Working Poor“. Ihr Einkommen reicht nicht aus, um für sich und ihre Familie ein Einkommen über der Armutsgefährdungsschwelle zu erzielen. Besonders betroffen sind dabei alleinerziehende Frauen, Menschen mit geringer Bildung sowie Ausländer. Mindestens 400.000 Menschen in der Privatwirtschaft erzielen auf Basis von Vollzeitbeschäftigung einen Bruttolohn von weniger als 1.500 Euro. Zwei Drittel davon sind Frauen.
Zahl der Langzeitbeschäftigungslosen verdreifacht
Weitere Erkenntnisse aus dem Sozialbericht: Eine stark zunehmende Zahl von Menschen findet gar keinen Arbeitsplatz mehr. Die Zahl der Langzeitbeschäftigungslosen hat sich seit 2008 mehr als verdreifacht. 23 Prozent aller Menschen in Österreich leben in Haushalten, die keine unerwarteten Ausgaben in Höhe von 1.100 Euro finanzieren können. Einkommensunterschiede prägen auch Bildungsverläufe. Arme Kinder gehen etwa seltener in Kindergärten. Bildung beziehungsweise der Besuch von Kindergärten und Ganztagsschulen gilt denn auch als einer der Schlüssel, um Armut zu bekämpfen. Zur Bekämpfung von Ungleichheit müssten die entsprechenden Einrichtungen deshalb ausgebaut werden.
Frauen systematisch benachteiligt
Am Arbeitsmarkt gibt es weiterhin eine „systematische Benachteiligung“ von Frauen. Österreich hat einen der höchsten Unterschiede der Stundenlöhne zwischen Männern und Frauen in Europa, Frauen verdienen bei gleicher Arbeit im Schnitt um 22,9 Prozent weniger als Männer. 75 Prozent der Männereinkommen liegen über dem Median der Fraueneinkommen. Fast 50 Prozent der Frauen, aber nur 10 Prozent der Männer arbeiten Teilzeit. Hier zeige sich der „lange Atem traditioneller Geschlechterrollen“, heißt es im Sozialbericht. Diese Situation habe Auswirkungen bis ans Lebensende: Alterspensionen von Männern sind um fast zwei Drittel höher als jene der Frauen.
Vor allem wichtige Ausgabenkategorien wie Wohnungsmieten würden Bezieher geringer Einkommen zunehmend belasten. Seit 2008 sind die Wohnkosten pro Quadratmeter für Niedrigeinkommensbezieher um 31 Prozent bzw. fast dreimal so stark wie für Haushalte mit hohen Einkommen gestiegen. Gerade wegen der Wohnungssituation und der Frage, kann man sich eine Eigentumswohnung leisten oder wohnt man auf Miete, würden den Sozialstaat laut Sozialbericht in Zukunft nicht nur Arme, sondern zunehmend auch Menschen aus der Mittelschicht brauchen.
Alterung der Gesellschaft
Bis 2030 dürfte die aktuelle Sozialquote von 30,2 Prozent vor allem wegen der Alterung der Gesellschaft weiter steigen. Die Sozialausgaben steigen - zusätzlich zum demografiebedingten Mehraufwand - durchschnittlich um real 0,5 Prozent pro Jahr. Bei einem langfristigen jährlichen Wirtschaftswachstum von 1,2 Prozent ergäbe dies laut Szenario-Berechnungen im Sozialbericht 2030 eine Staatsquote von 33,4 Prozent, bei einem BIP-Wachstum von 1,8 Prozent würde die Staatsquote demnach bei 30,5 Prozent liegen.
Die stagnierenden Arbeitslosenzahlen bei einer gleichzeitig stark steigenden Zahl von offenen Stellen hat heute zahlreiche Reaktionen hervorgerufen. Der Glaube an die neuen Maßnahmen der Bundesregierung für den Arbeitsmarkt hielt sich teilweise in Grenzen.
Für die Regierung warfen sich dafür (eingeschränkt) die Sozialpartner in die Bresche. "Es ist erfreulich, dass sich die Regierung nun einhellig zum Ziel gesetzt hat, hier eine Trendwende zu erreichen und sowohl direkt als auch indirekt für neue Arbeitsplätze zu sorgen", so Bernhard Achitz, Leitender Sekretär des ÖGB. AK-Präsident Rudolf Kaske ist hingegen nicht ganz so erfreut: "Ich habe schon umfangreichere Vorhaben und weitreichendere Ankündigungen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gehört als diejenigen, die im neuen Arbeitsprogramm der Regierung beinhaltet sind. Da hätte ich mir mehr erwartet."
Die Industriellenvereinigung (IV) wiederum sieht Licht und Schatten. "Das neue Arbeitsprogramm der Bundesregierung enthält eine Reihe von positiven Schritten in diese Richtung, etwa in den Bereichen Forschung und Bildung, so . Gleichzeitig meinte IV-Generalsekretär Christoph Neumayer: "Weitere Verzögerungen wie bei der Modernisierung der Arbeitszeitgrenzen wären gefährlich für den Standort."
Die Wirtschaftskammer sieht auch "erste richtige Weichen". WKÖ-Experte Martin Gleitsmann schränkt aber ein: "Der Beschäftigungsbonus ist ein richtiger Schritt, darüber hinaus wird eine nachhaltige Entlastung des Arbeitsmarktes aber nicht ohne generelle Senkung der im internationalen Vergleich exorbitant hohen Lohnnebenkosten gehen." FPÖ-Sozialsprecher Herbert Kickl sprach sich für einen "Schutzschirm" für den heimischen Arbeitsmarkt aus. Die steigende Arbeitslosigkeit unter Ausländern sei "wieder einmal der Urkundsbeweis dafür, dass eine sektorale Schließung des Arbeitsmarktes ein Gebot der Stunde ist".
Die NEOs wiederum wollen die Rahmenbedingungen verschärfen. "Nur eine Änderung der Zumutbarkeitsbestimmungen und Umschichtungen beim Arbeitslosengeld können Lösungen bringen", erklärte Sozialsprecher Gerald Loacker. Team-Stronach-Sozialsprecherin Waltraud Dietrich wiederum meinte: "Angesichts von fast einer halben Million Arbeitsloser, ist es höchste Zeit, dass die Koalition die Schaffung von Arbeitsplätzen nicht nur ankündigt, sondern endlich umsetzt."
Der ÖVP-Seniorenbund zeigte sich "bestürzt" über die Zunahme der Arbeitslosigkeit bei Personen über 50 Jahren. "Ich verlange eine professionelle Ausarbeitung der Punkte 'Beschäftigungsaktion 20.000' und 'Lockerung Kündigungsschutz 50+' im Sinne der arbeitsuchenden Älteren", so Präsidentin Ingrid Korosec.