Warum es manche schwerer am Arbeitsmarkt haben
Monat für Monat neue Rekordzahlen. Ende Mai gab es inklusive Schulungsteilnehmer 405.470 Arbeitslose in Österreich. Eine leichte Besserung gibt es nur in Westösterreich, während Wien zum Brennpunkt wird. Es sind vor allem drei Gruppen, die es heute besonders schwer am Arbeitsmarkt haben:
Ältere sind überdurchschnittlich stark betroffen
Pensionsreform und Alterspyramide zeigen Wirkung. Ende April waren beim AMS schon mehr über 60-Jährige arbeitslos vorgemerkt als unter 20-Jährige. Allein in den vergangenen fünf Jahren hat sich damit die Zahl der Job-Suchenden 50 plus auf rund 100.000 verdoppelt. Zwar wächst demografiebedingt auch die Beschäftigung, aber nicht so stark wie die Arbeitslosigkeit. Wer den Job verliert, braucht länger, um sich neu zu orientieren. Und: Weil Ältere in einem hoch kompetitiven Arbeitsmarkt schlechtere Karten haben, steigt die Langzeitarbeitslosigkeit bedrohlich. Schon fast jeder fünfte Job-Suchende ist länger als ein Jahr vorgemerkt.
Ausblick: Keine Entspannung in Sicht, da die geburtenstärksten Jahrgänge gerade erst in die Gruppe 50 plus nachgerückt sind.
Rezepte: Wiedereingliederungsbeihilfe, mehr Transitarbeitsplätze bis zur Pension, wirksames Bonus-Malus-System, Bewusstsein schärfen.
Jugendliche haben häufig schlechte Qualifikation
Der Geburtenrückgang hat die Situation generell etwas entspannt, das Problem der oft schlechten Qualifikation hat sich besonders in Wien aber noch vergrößert. Zwei Drittel der arbeitslos gemeldeten Jugendlichen in Wien haben Migrationshintergrund. Ohne guter Ausbildung ist ein Jobeinstieg kaum noch möglich, Hilfsjobs sind rar, die Konkurrenz ist groß.
Ausblick: Leichte Besserung ist bei wieder anziehender Konjunktur möglich.
Rezepte: Ausbildungspflicht bis 18 (kommt im Herbst), Reform der Mindestsicherung, Attraktivierung der Lehre, Verschränkung betriebliche und überbetriebliche Lehre.
Unter Migranten sorgt Zuwanderung für Verdrängung
Der Migrantenanteil an der Gesamtarbeitslosigkeit betrug zuletzt 41 Prozent. Ihr Anteil an der Beschäftigung ist nur halb so hoch. Die starke Zuwanderung sorgt vor allem auf dem (ost)österreichischen Arbeitsmarkt für einen Verdrängungskampf innerhalb der Migrantengruppen. Jüngere, besser qualifizierte verdrängen länger in Österreich ansässige Ausländer.
Ausblick: Der Migrationsdruck – vor allem die EU-Binnenmigration aus Ungarn, Rumänien, Slowakei und Polen – lässt vorerst nicht nach. Dazu kommen heuer zusätzlich rund 30.000 Asylberechtigte auf Jobsuche.
Rezepte: Deutsch-Kurse so früh wie möglich, sektorale Einschränkung des freien Arbeitsmarktzugangs bei hoher Arbeitslosigkeit. Letzteres ist umstritten und wäre nur auf EU-Ebene umsetzbar.
"Das war ein böses Erwachen"
18, Lehrling: "Das war ein böses Erwachen. Meine Freunde fanden nach der Schule sofort Arbeit, ich nicht. Ich gebe zu, dass ich zu lange zu faul zum Lernen war. Ich dachte, dass ich keine Noten brauche, weil ich ja eh Automechaniker werde. Heute weiß ich, dass das ein Fehler war. Ich bin bei allen Aufnahmetests durchgefallen, weil mir das Allgemeinwissen fehlte. Seit einem Jahr mache ich bei Jugend am Werk eine Lehre zum Kfz-Techniker. Das Blatt hat sich gewendet. Ich bin voll motiviert, ich will den Lehrabschluss schaffen. Und hoffe natürlich, dass mich eine Werkstatt nimmt."
"Und ich darf beweisen, was ich kann"
20, Lehrling: "Meine Eltern waren erpicht, dass ich die Matura mache. Aber ich bin über die siebente Klasse nicht hinausgekommen. Mir war das zu schwer. Alle anderen begannen dann mit einem Studium, und ich habe jeden Tag bis zehn Uhr geschlafen. Meine beste Freundin meinte, dass ich die Sandlerin in unserer Gruppe bin. Das war echt frustrierend. Seitdem ich hier in die Lehre gehe, habe ich eine 180-Grad-Wende vollzogen. Das Selbstbewusstsein ist wieder da, und ich darf beweisen, was ich kann. Mir ist klar, dass es für Frauen in technischen Berufen noch immer schwierig ist."
"Da gab es keine Wertschätzung"
34, Kursteilnehmerin: "Ich habe eine schlimme Kindheit hinter mir. Ich bin daher früh von zu Hause ausgezogen. Um mir die Wohnung leisten zu können, machte ich drei Jobs gleichzeitig. Nach Abschluss der Friseurlehre habe ich 18 Jahre lang im Gastgewerbe gejobbt. Bei Heurigen, in Diskotheken, Restaurants. Immer Vollzeit beschäftigt, aber nur Teilzeit oder als Geringfügige verdient. Da gab es keine Wertschätzung. Vor vier Jahren habe ich erfahren, dass ich den Lehrabschluss nachmachen kann. Aber ich musste sehr hartnäckig sein, bis mir das AMS dazu die Chance geboten hat."
"Immer habe ich mich dafür geniert"
28, Kursteilnehmer: "Auch ich hatte eine schwere Kindheit und Jugend. Gewalt war immer ein Thema. Ich habe dann sieben Jahre lang im Gastgewerbe gearbeitet, ohne Ausbildung, 80 Stunden pro Woche, aber geringfügig beschäftigt. Viel zu spät habe ich verstanden, dass ich ausgebeutet werde. Immer habe ich mich dafür geniert. Meine Cousins sind jünger als ich, und jeder hat bereits eine Ausbildung. Jetzt will ich noch einmal durchstarten. Schritt für Schritt. Erst möchte ich mithilfe von Jugend am Werk die Lehre als Koch abschließen. Und vielleicht nimmt mich dann jemand. Ich kann anpacken."
"Traurig, ich habe immer gearbeitet"
46, Apotheker: "Traurig, ich habe immer gearbeitet. Sieben Jahre lang habe ich in Istanbul eine eigene Apotheke geführt. Zwanzig Jahre war ich für Firmen im Gesundheitsbereich tätig. Nach meiner Übersiedlung nach Österreich habe ich vier Jahre lang in einem Hotel in Vösendorf gearbeitet. Eine Hautkrankheit zwang mich in den Krankenstand. Dann hat man mich gekündigt. Vom Herzen gerne würde ich wieder in meinem Beruf als Apotheker arbeiten. Doch jetzt mache ich eine Lehre zum Koch-Kellner, nur deshalb, weil ich mich nicht traute, dem Berater beim AMS zu widersprechen."
"Ich habe das Gefühl, dass ich stagniere"
35, Lehrerin, Maklerin: "Ich stamme aus einer Familie, in der alle arbeiten. Auch ich habe immer gearbeitet: Nach dem Studium für englische Literatur in Teheran als Sprachlehrerin; auch in Dubai fand ich sofort Arbeit. Hier in Wien habe ich hingegen das Gefühl, dass ich stagniere. Mit meiner Betreuerin im abz* austria habe ich jetzt einen Karriereplan erstellt: Zuerst muss ich mein Deutsch verbessern, dann bin ich vielleicht auch wieder für internationale Firmen interessant. In der Zwischenzeit könnte ich mich als Sozialpädagogin im Flüchtlingsbereich beruflich engagieren."
"Bis jetzt gab es leider nur Absagen"
43, Technikerin: "Ich habe im Februar das fünfsemestrige Programm ,FIT – Frauen in die Technik‘ erfolgreich abgeschlossen. Doch bis jetzt ist der ursprüngliche Plan, als ausgebildete Wirtschaftsingenieurin leichter einen Arbeitgeber zu finden, nicht aufgegangen. Bis jetzt gab es leider nur Absagen. Gut, die Anforderungen sind hoch. Aber ich habe für diese Zusatz-Ausbildung viel Zeit investiert, hatte dadurch weniger Zeit für meine Kinder. Und am Ende stehe ich noch immer ohne Job da. Man wird ja auch nicht jünger. Experten sprechen heute davon, dass du es mit 40 plus schwer hast."
"Das ist halt kein schönes Gefühl"
35, Managerin: "Ich habe immer gearbeitet. Schon während des Studiums in Lemberg als Aerobic-Trainerin, und nach dem Studium sieben Jahre lang in führenden Positionen im Marketing. Nach der Geburt meiner Tochter und der Übersiedlung nach Wien suche ich seit Längerem Arbeit. Doch das ist schwer. Das ist halt kein schönes Gefühl, zu anderen Menschen und zur eigenen Tochter zu sagen, dass ich arbeitslos bin. Ich habe mich überall beworben, sogar als Sachbearbeiterin und Lagerarbeiterin. Aber auch da komme ich nicht weiter. Sie sagen, dass ich dafür überqualifiziert bin."
"Für mich ist das AMS mehr ein Kabarett"
73, Maschinenbau-Ingenieur im Ruhestand, Obmann beim Verein Zum Alten Eisen?: "Ich war dreißig Jahre im Export tätig und bin dann arbeitslos geworden. Ich habe AMS-Kurse in diversen Instituten besucht, alle waren sinnlos. Da ist eine eigene Industrie entstanden, die kaum was weiterbringt. Ärgerlich sind auch die AMS-Betreuer. Einer hat Freude strahlend gemeint, dass er einen Job für mich hat: Als Expeditleiter. Er hat Expedit mit Export verwechselt. Das kommt raus, wenn die Betreuer keine Zeit mehr haben, um mit Jobsuchenden zu reden. Für mich ist das AMS mehr ein Kabarett."