20.000-Dollar-Marke ist für Bitcoin nur Zwischenstation
Keine Expertenprognose für den Anstieg des Bitcoin-Kurses scheint derzeit abwegig. Brian Estes, Chef-Anleger des Hedgefonds Off the Chain Capital, sieht die Cyberwährung Ende 2021 bei 288.000 Dollar. Das ist in etwa das 15-Fache des aktuellen Kurses von rund 18.500 Dollar (15.442,40 Euro).
"Ich habe schon gesehen, wie sich Bitcoin binnen eines Jahres verzehn-, verzwanzig- und verdreißigfacht hat." Die Vervierfachung des Kurses im Vergleich zum Tief vom März sei daher keine große Sache.
Ähnlich argumentierte auch Naeem Aslam, Chef-Marktanalyst des Brokerhauses AvaTrade, der ein vergleichsweise niedriges Kursziel von 100.000 Dollar ausrief. "Beim Gedanken daran möchte man vielleicht lachen, aber man darf nicht vergessen, wo der Kurs vor sechs Jahren stand." Ende November 2014 kostete ein Bitcoin etwa 375 Dollar. Seither hat sich der Kurs mehr als verfünfzigfacht.
Citigroup-Analyst Tom Fitzpatrick traut Bitcoin im kommenden Jahr sogar einen Anstieg auf bis zu 318.000 Dollar zu. Er begründet dies unter anderem mit einem begrenzten Angebot. Off-the-Chain-Experte Estes stützt seine Vorhersage auf ein Modell zur Berechnung der Knappheit von Gütern wie beispielsweise Gold.
Von Kevin Muir, einem unabhängigen Kryptowährungshändler, ernten diese Herangehensweisen nur Kopfschütteln. "Keine der Bitcoin-Vorhersagen von Hedgefonds taugt etwas. Man kann eine Manie nicht in ein Modell gießen." Es sei zwar durchaus denkbar, dass Bitcoin auf 200.000 oder 300.000 Dollar steige. "Aber hat irgendjemand wirklich Ahnung? Nie im Leben!"
Auch Devisenhändler Juan Perez vom Finanzdienstleister Tempus äußerte sich skeptisch. Ein Bitcoin-Kurs von 100.000 Dollar wäre eine Wette auf den Kollaps des Weltfinanzsystems. "Die Regierungen der Welt werden das nicht zulassen."
Bitcoin ist eine Internetwährung, deren Kurs allein von Angebot und Nachfrage bestimmt wird. Neue digitale Münzen werden dadurch geschaffen, dass Nutzer Rechenkapazitäten für die Verschlüsselung von Transaktionen zur Verfügung stellen und dafür in Bitcoin entlohnt werden. Dabei wird in regelmäßigen Abständen die Menge der in einem bestimmten Zeitraum ausgegebenen Bitcoin automatisch halbiert, um Inflation zu verhindern. Das bisher letzte "Halving" war im Mai 2020. Maximal können 21 Millionen Bitcoin geschaffen werden, derzeit gibt es 18,5 Millionen.
Verstärkt werde die Angebotsknappheit durch den Einstieg von Zahlungsdienstleistern wie PayPal oder Square in das Kryptowährungsgeschäft, schrieben die Experten des Hedgefonds Pantera in einem Aktionärsbrief. Sie saugten Cyber-Devisen auf wie ein Schwamm.
Parallel dazu habe der "Whale-Index", der Kryptowährungskonten mit Guthaben von mindestens 1.000 Bitcoin zählt, ein Rekordhoch erreicht, sagte Phil Bonello, Chef-Analyst des auf Cyber-Devisen spezialisierten Vermögensverwalters Grayscale. Inzwischen gebe es mehr als 2.200 solcher Großdepots. Das sei ein Plus von 37 Prozent im Vergleich zu 2018. Ein weiterer Hinweis auf das wachsende Interesse institutioneller Anleger sei der Anstieg beim Handelsvolumen mit Bitcoin-Terminkontrakten an der US-Börse CME, so Analyst Salah-Eddine Bouhmidi vom Brokerhaus IG. Dem Datenanbieter Skew zufolge wurden Mitte November dort erstmals binnen einer Woche seit Einführung der Titel Ende 2017 Futures im Volumen von mehr als 1 Mrd. Dollar gehandelt.
Zusätzliche Aufmerksamkeit erhielten Cyber-Devisen durch den offenbar nahenden Marktstart von "Libra", sagte Analyst Timo Emden von Emden Research. Der "Financial Times" zufolge soll die Internetwährung des Online-Netzwerks Facebook im Jänner 2021 starten, wegen des Widerstandes von Notenbanken und Regulierungsbehörden allerdings in einer abgespeckten Version. Ob "Libra" diesmal grünes Licht erhalten werde, sei aber fraglich, warnt Emden.
Parallel dazu basteln Notenbanken bereits an eigenen Kryptowährungen. "Auch wenn am Ende der Bitcoin dabei keine Rolle spielen muss, steht die Kryptowährung bei Anlegern derzeit als heißes Spekulationsobjekt ganz oben auf der Liste", sagte Analyst Jochen Stanzl vom Online-Broker CMC Markets. Bitcoin-Experte Emden äußerte sich ähnlich. "Das 'Fear of missing out'-Phänomen beherrscht das Kursgeschehen. Ein nicht unbedeutender Teil der Anleger hat schlichtweg Angst, etwas zu verpassen."