Wellness

Kann ein Sport-BH die Haltung korrigieren?

Intelligente Funktionskleidung, das ist nichts Neues. Neu ist aber der Sport-BH eines deutschen Unternehmens, der nicht nur die Brust stützen, sondern zugleich auch den Oberkörper aufrecht halten und damit die Haltung beim Sport oder im Alltag verbessern, Schmerzen im Rücken-, Schulter- und Nackenbereich lindern und Verspannungen entgegenwirken soll. Das anfängliche Kompressionsgefühl verschwindet offenbar, sobald man sich bewegt. Damit gehört der InterActive Bra ebenfalls zur Generation der intelligenten Funktionskleidung. Vor allem Frauen mit großer Oberweite sollen davon profitieren.

Technologie à la Kinesiotape

Beim InterActive Bra wird eine Neuro-Band-Technologie eingesetzt, die wie ein Kinesiotape wirkt und die Muskulatur am oberen Rücken aktiviert. Beim Stichwort Kinesiotape wird Dr. Josef Niebauer, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention, hellhörig. "Es wird beworben, dass der BH beziehungsweise die Band-Technologie im BH wie ein Kinesiotape wirkt. Die Wirkung von Kinesiotape ist aber noch immer nicht hinreichend bewiesen. Da fehlen Studien, auch was das Farbsystem mit seinen unterschiedlichen Wirkungen betrifft", so der Mediziner.

"Im Prinzip ist das sicher ein interessanter Anwendungsbereich", findet hingegen Dr. Karl-Heinz Kristen, Facharzt für Sportorthopädie. Womit in diesem konkreten Fall geworben werde, sei aber nicht belegt. "In den Presseunterlagen heißt es zum Beispiel, dass die Muskulatur im oberen Rücken und Nacken aktiviert wird. Da sollte man zunächst hinterfragen, welche Muskeln da genau aktiviert werden und wie Spannung aufgebaut wird", so Kristen. Die meisten Menschen hätten ohnehin ein Problem mit zu viel Spannung im Nackenbereich. Ein Kleidungsstück, das zusätzlich Spannung aufbaut, sei da möglicherweise kontraproduktiv.

Kritisch sieht Josef Niebauer vor allem die Behauptung, der BH würde Schmerzen im Rückenbereich lindern oder gar nicht erst entstehen lassen. Sport-BHs seien grundsätzlich jedoch sinnvoll. "Ich sage es mal so, eine sporttreibende Frau sollte natürlich zu einem Sport-BH greifen. Das macht Sinn. Warnen sollte man jedoch vor Produkten, die Versprechungen zum Beispiel im Hinblick auf das Stützen des Rückens machen, ohne dass jemals glaubwürdig in unabhängigen Studien dies auch überzeugend nachgewiesen wurde." Viel besser wäre es seiner Meinung nach, wenn man die Muskeln im betroffenen Bereich trainiert und stärkt.

Seitens des Herstellers betont man jedoch, dass es bereits US-Studien gebe, die die Wirkung von haltungskorrigierender Kleidung bei Versuchspersonen getestet hat. "In diesen wurde eine deutlich verbesserte Position von Schulter, Kopf und Oberkörper bestätigt. Gleichzeitig konnte das Energieniveau und die Produktivität gesteigert, sowie die Ermüdung der Muskulatur reduziert werden", heißt es in der Presseaussendung zum Produkt.

Pauschal abraten würde Karl-Heinz Kristen von dem Produkt unterdessen nicht: "Um das Produkt individuell beurteilen zu können, kann man es natürlich mal ausprobieren und die Wirkung selbst testen."

Nicht zwingend notwendig

Spezielle Produkte, die zusätzlich stützen, sind Niebauer zufolge jedoch nur für Menschen interessant, die bestimmte körperliche Defizite nicht über Muskeltraining ausgleichen können. "Bei einer Knieverletzung kann man beispielsweise das Knie durch einen speziellen Strumpf stützen. Dann sprechen wir aber nicht mehr wirklich von intelligenter Funktionskleidung. Wenn man eine Rückenverletzung hat, die der Schienung bedarf, dann hilft ein Sport-BH sicher nicht", so Niebauer.

Haltungsschäden könne man Kristen zufolge vor allem durch entsprechende Ausgleichsprogramme in der Freizeit vorbeugen. "Wir entwickeln uns immer mehr zu einer sitzenden Gesellschaft. Regelmäßige Bewegung und sportliche Betätigung sind daher unabdingbar", so Kristen. Auch ein Personal-Training bei dem man maßgeschneiderte Tipps bekommt, sei ratsam.

Funktionswäsche auf dem Vormarsch

Derzeit gibt es bereits einige Produkte am Markt, die das Konzept intelligenten Funktionskleidung realisieren. Beispielsweise Einlagen für Schuhe, Laufsocken die das Laufen erleichtern sowie Funktionswäsche, die Spannung aufbaut und die Haltung optimiert. Die niederländische Designerin Pauline van Dongen entwickelte vergangenes Jahr zudem ein Shirt entwickelt, das mittel Vibrationsfunktion die Haltung verbessern soll.

Kristen zeigte sich vor einigen Monaten im Gespräch im kurier.at interessiert an FysioPal, so der Name des Prototyps. Da man den eigenen Rücken beim Stehen, Gehen oder Sitzen ohnehin nicht beobachten könne, sei es "eine tolle Art des Feedbacks" auf die individuelle Haltung. Bei der entsprechenden individuellen Normierung des Produkts sieht der Mediziner hingegen Probleme. "Die Frage ist, was die genauen Normwerte sind, anhand derer das Gerät an die Haltungsänderung erinnert." Bei einem angeborenen Rundrücken oder einer Skoliose müsste man die Einstellungen entsprechend anpassen.