Löst Schokolade tatsächlich Migräne aus?
In Österreich leiden 10,2 Prozent der Bevölkerung an Migräne. Kopfschmerzen sind aktuellen Studien sogar noch weiter verbreitet. Eine Studie der Initiative Schmerzlos zeigt, dass ganze 75 Prozent der 14- bis 19-Jährigen regelmäßig Kopfweh haben.
So weitverbreit die Schmerzzustände im Kopf sind, so weitverbreitet sind auch die Mythen, die sich darum ranken. Doch was stimmt wirklich und was ist Irrglaube? Die Experten der Initiative Schmerzlos klären auf.
Bei Migräne handelt es sich um stärkere Kopfschmerzen
In Österreich leiden etwa 800.000 Menschen an Migräne. Dabei sind Frauen (je nach Alter 11–25 Prozent) deutlich häufiger betroffen als Männer (je nach Alter 4–8 Prozent). Der Altersgipfel liegt bei beiden Geschlechtern zwischen 25 und 55 Jahren. Bis zur Pubertät sind Knaben und Mädchen ungefähr gleich häufig betroffen, erst mit der Pubertät überwiegt bei der Migräne das weibliche Geschlecht. "Migräne ist eine komplexe, angeborene Erkrankung, mit spezifischer neurobiologischer Grundlage, bei der es zu Kopfschmerzen, aber auch zu anderen Symptomen kommt", so Dr. Gregor Brössner, Facharzt für Neurologie und neurologische Intensivmedizin und Leiter der Ambulanz für Kopf- und Gesichtsschmerzen an der Universitätsklinik für Neurologie in Innsbruck.
Neben dem anfallsartigen Kopfschmerz, der häufig pulsierenden Charakter aufweist und meist halbseitig begrenzt ist, ist Migräne zusätzlich durch Symptome wie Übelkeit, Erbrechen, Lichtempfindlichkeit, Geräusch- oder Geruchsempfindlichkeit charakterisiert. Bei zehn bis 30 Prozent der Patienten geht dem Migräneanfall eine Aura voraus. Auren äußern sich als Wahrnehmungsstörungen wie beispielsweise Gesichtsfeldausfälle oder seltener als vorübergehende Gefühls- und Sprachstörungen.
Schokolade kann Kopfweh auslösen
Süßes verursacht Kopfschmerzen – auch diese Annahme hält sich hartnäckig in den Köpfen. Tatsache ist, dass weder Schokolade noch andere Naschereien Migräne oder Kopfschmerz auslösen. Einen Zusammenhang zwischen Süßem und Kopfschmerzen gibt es aber tatsächlich: "Migränepatienten berichten, dass sie vor einer Attacke oft Heißhunger auf Süßes haben. Warum das so ist, weiß man allerdings bislang nicht", so Dr. Gernot Luthringshausen, Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und neurologische Intensivmedizin. Andere Genussmittel können unterdessen helfen: Das Koffein im Kaffee hilft beispielsweise gegen Kopfschmerzen und lindert auch bei Migräneattacken die Beschwerden.
Stress, unregelmäßiger Schlaf, Stimmungsschwankungen sind Auslöser für Migräne
Auch um mögliche Migränetrigger ranken sich einige Mythen. Da ist tatsächlich etwas dran, wie Dr. Christian Rauscher, Leiter der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde in Salzburg, erklärt: "Psychosoziale Stressoren wie Lärm, Reizüberflutung, Mobbing, Perfektionismus, Angst oder soziale Isolation, aber auch mangelnde Schlafhygiene können Migräneattacken auslösen“ Stimmungsschwankungen sind hingeben eher Folge als Auslöser einer Migräne."
Der Smartphone-Nacken bedingt Kopfschmerz
Haltungsschäden vom Smartphone-Dauergebrauch werden oft für Kopfschmerzen verantwortlich gemacht. Dazu kommt es jedoch nur in Ausnahmefällen. "Es gibt allerdings durch Überlastung der Halsmuskulatur bedingte Kopfschmerzen, wobei sich die Muskulatur dann hart anfühlt", so Dr. Ulrike Rossegg, Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde und Neurologie. Laut einer Studie kommt es aber bei übermäßigem Gebrauch von Tablets, Smartphones, Computern und Fernsehen häufiger zum Auftreten einer Migräne, nicht aber von anderen Kopfschmerzformen.
Die Ernährung ist schuld
Nicht nur der Schokolade, auch Käse, Nüssen und Zitrusfrüchten wird eine kopfschmerzfördernde Wirkung nachgesagt. Die Wissenschaft hat sich der Untersuchung dieser Nahrungsmittel bereits eingehend gewidmet. Das Ergebnis: Nur ganz wenige Stoffe lösen bei Betroffenen regelhaft Migräne aus. Schokolade, Käse, Nüsse und Zitrusfrüchte sind nicht darunter. "Etwa ein Viertel der Migränepatienten ist sensibel auf Alkohol. Darin enthaltene Stoffe, die noch nicht identifiziert sind, können Kopfschmerzen verursachen. Der Geschmacksverstärker Glutamat kann ebenfalls Kopfschmerzen bei Migränepatienten auslösen", so Brössner.
Ein kurzes Schläfchen wirkt Wunder
Migräne-Geplagte suchen bei einer akuten Attacke oft in abgedunkelten Räumen Linderung. Nach einem Nickerchen sind die Symptome oft geringer. Da die Anfälle meist mit Unwohlsein, mit Übelkeit, Lärm- und Lichtscheu sowie Müdigkeit einhergehen und durch Bewegung verstärkt werden, bleibt Betroffenen oft ohnehin nichts anders übrig, erklärt Luthringshausen. "Bei anderen Kopfschmerzarten ist dies jedoch selten in ähnlichem Ausmaß der Fall. Spannungskopfweh etwa bessert sich häufig weniger durch Ruhe, sondern vielmehr durch einen kleinen Spaziergang an der frischen Luft."
Kälte macht Kopfweh
Wissenschaftliche Vergleiche von Aufzeichnungen von Kopfschmerz- und Migränepatienten mit den jeweiligen Wetterdaten haben ergeben, dass keine Wetterlage besonders häufig die Schmerzen auslöst - also auch nicht Kälte, Wind oder Föhn. "Dennoch geben viele Patienten insbesondere diese drei Wettersituationen als Auslöser für ihre Schmerzen an. Warum das so ist, ist noch unklar – ein weiteres Rätsel, das die Forschung erst noch lösen muss", so Luthringshausen. Über den Mund zugeführt kann Kälte allerdings tatsächlich Kopfweh verursachen. Wenn man etwas Eiskaltes isst, kann man unmittelbar darauf einen kurzen, aber intensiven Schmerz im Kopf spüren. Dieser sogenannte Kältekopfschmerz, den manche auch Hirnfrost nennen, wird durch den Kältereiz am Gaumen ausgelöst. Er entsteht, weil sich durch die Kälte die Muskeln und vielleicht auch die Gefäße im Kopfbereich reflexartig verkrampfen und sich dadurch die Blutzirkulation verändert. Bei Migränepatienten kann dieses Schmerzempfinden tatsächlich eine Attacke auslösen.
Besondere Ernährungsformen können Migräne heilen
Bei Migräne steht ganz grundsätzlich ein breites Spektrum an Maßnahmen zur Verfügung, die auf die Erfordernisse der Betroffenen abgestimmt sein müssen. Die Empfehlungen reichen vom Erkennen möglicher Auslöser über Anpassung des Lebensstils (ausreichende Flüssigkeitszufuhr, regelmäßige Mahlzeiten, genug Schlaf, Ausdauersport), Akupunktur und Entspannungstechniken, bestimmte Nahrungsergänzungsmittel (hochdosiertes Vitamin B2, Coenzym Q10) und pflanzliche Arzneimittel (Mutterkraut) bis hin zu Medikamenten im engeren Sinn.
Anbieter bestimmter Diäten, die eine Heilung von Migräne versprechen, sind jedoch enorm kritisch zu sehen, wie Rossegg betont. "Hierfür gibt es keine Belege. Das gilt auch für die oft angebotene No-Carb-Diät, die im Gegenteil sogar bei Migräne problematisch ist, da Menschen mit Migräne regelmäßig Kohlenhydrate benötigen."