Vor H&M: Textilfamilie aus dem alten Österreich
Von Uwe Mauch
Sie hat das alte goldfarbene Fotoalbum mit dem Jugendstilmotiv auf dem äußeren Karton schon vor längerer Zeit restaurieren lassen. Und sie hat gute Gründe dafür, das Album weiterhin wie einen schönen Schatz zu hüten. "Das Album ist der Schlüssel zur Geschichte meiner Familie", erzählt Susanne Schober-Bendixen vor der Präsentation ihres Buchs über eine Textilfabrikanten-Familie, die heute in Brünn ebenso wie in Wien Ansehen genießt.
Nach intensiven Recherchen weiß die Wiener Top-Managerin im Ruhestand: Die "Tuch-Redlichs" haben den Aufstieg der Stadt Brünn in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum "Mährischen Manchester" ganz wesentlich mitgestaltet.
In ihrer Brünner Fabrik wurden unter anderem Rock- und Hosenstoffe für Reiter hergestellt, die in der Monarchie für Furore sorgten. Als Vorwegnahme von "Bio" war auch jenes Textilteil aus dem Hause Redlich angesagt, das die Großmutter der Buchautorin stets mit "die Unaussprechliche" umschrieb: die naturbraune Unterhose aus feiner, reiner Schafwolle.
Das Unaussprechliche
Das Foto-Familienalbum hat alle politischen Zäsuren des 20. Jahrhunderts überlebt. Es zeigt zunächst Emanuel Redlich, der in den 1820er-Jahren nach Brünn kommt, dort zuerst die Stadtwaage pachtet und später dann das Bräuhaus in Znaim.
Sein Sohn Friedrich I. ist zur Mitte des 19. Jahrhunderts einer der ersten Brünner Geschäftsleute, die das Potenzial der ersten industriellen Revolution zu nützen wissen. Er gründet eine Feintuchfabrik in Brünn und schafft dort Hunderte Arbeitsplätze. Kongenial ergänzt wird der Fabrikant von einer Prokuristin. Susanne Schober-Bendixen sagt stolz: "Von seiner Frau Rosa."
Die Redlichs erweisen sich in weiterer Folge wie die Zliner Schuhfabrikanten-Familie Bata als Patrone jener Zeit – mit weiteren starken Frauen in ihren Reihen. Man habe die eigenen Arbeiter fair bezahlt, sich offen gegenüber Neuem gezeigt und auch für moderne Kunst interessiert, so die Autorin. Auf der Wiener Straße fährt man von Brünn gen Süden, um kurzerhand die Verwandten oder die Oper in Wien zu besuchen. Auf der Brünner Straße geht es dann wieder von Wien hinauf nach Brünn.
Vom permanenten Austausch der Waren und Ideen profitieren beide Städte. Der jüdische Glauben ist zwar in der katholisch dominierten Monarchie kein Startvorteil, doch lassen die Habsburger nicht zuletzt wegen ihrer Geldnot Andersgläubige mehr oder weniger gewähren.
Susanne Schober-Bendixen geht in ihrem Buch auch auf das lange Zeit Unaussprechliche in ihrer Familie ein. Im Kapitel "Ein letztes Familienfest" erzählt sie von der Vernichtung der angesehenen Brünner Familie. Nach Hitlers Machtübernahme, 1939, ermorden seine Schergen mehrere Familienmitglieder. Die Nachfahrin findet im Arisierungsakt in Brünn Erschütterndes: "Ich wusste schon, dass mein Großonkel in Auschwitz umgebracht wurde, aber sonst haben wir in der Familie nur selten über den Holocaust gesprochen."
Das dunkle Kapitel der Familiengeschichte endet nicht mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Jene Redlichs, die in Brünn den NS-Terror überlebt haben, werden nun als Deutschsprachige von den tschechischen Kommunisten verfolgt. Auch die Tante der Autorin, Irma Österreicher, verarmt in Brünn. Das hindert sie nicht, das Fotoalbum und damit die Erinnerung vor dem Vergessen zu retten.
Susanne Schober-Bendixen, die als Veterinärmedizinerin eine schöne berufliche Karriere bei einer US-Pharmafirma gemacht hat, hat das Vermächtnis nach ihrer Pensionierung in ein Buch gegossen. Hoffnung macht ihr Blick in die Zukunft: "Ich bin heute oft in Brünn. Es wurde bei unseren Nachbarn und bei uns viel zerstört, doch ich habe das Gefühl, dass die jungen Leute wieder ein Naheverhältnis anstreben."
Die Familie
Die „Tuch-Redlichs“ waren nicht nur erfolgreiche Textil- Fabrikanten im alten Städte-Dreieck Wien –Brünn–Pressburg. Mitglieder der Familie konnten sich auch als Wissenschaftler und Kunstmäzene einen Namen machen. Bis die Nazis sie verfolgten.
Das Buch
Susanne Schober-Bendixen hat für „Die Tuch-Redlichs. Geschichte einer jüdischen Fabrikanten- familie“ ausführlich recherchiert, u. a. im Mährischen Landes- archiv. Ihr Buch ist ein berührendes Zeit- Dokument. Amalthea- Verlag, 25 Euro.