Leben/Mode & Beauty

Markus Freitag: "Ich habe schon einige Jeans kompostiert"

Ein Blick aus dem Fenster seines Studentenzimmers veränderte das Leben von Markus Freitag – im doppelten Sinne – nachhaltig: Die vorbeifahrenden Lkws brachten den Zürcher auf die Idee, aus alten Planen und Gurten Taschen herzustellen, die Öko-Bewusstsein und gutes Design vereinen. "Ich bin immer noch überwältigt", sagt Freitag, wenn man ihn auf seinen Erfolg anspricht. Den sieht man ihm nicht an: Ruhig und bescheiden erzählt der 45-Jährige von der neuen Modelinie, seiner Firmenphilosophie und seinen sechs Komposthaufen.

KURIER: Für die neue Modekollektion haben Sie ein spezielles Material, F-abric, entwickelt. Was war Ihnen dabei wichtig?

Markus Freitag: Das Material sollte eine andere Geschichte haben als die Lkw-Plane: Es sollte nicht nur aus Europa kommen, sondern auch biologisch abbaubar und nachwachsend sein, nicht endlich wie der Kunststoff. Das war gar nicht so einfach, weil sich die Industrie in den vergangenen zehn bis zwanzig Jahren nicht unbedingt zum Guten gewandelt hat. In einer normalen Jeans stecken 40.000 bis 100.000 Transport-Kilometer. Wir ließen alles im Umkreis von 2500 Kilometern produzieren.

Der Stoff ist zu 100 Prozent biologisch abbaubar. Warum lässt sich die normale Jeans nicht kompostieren?

Die ist zwar aus Baumwolle, wird aber mit einem Polyester-Faden zusammengenäht. Das heißt, Naturfaser wird mit Plastik vermischt und ich kann die Jeans weder recyceln noch in meinem Garten vergraben. Darum mussten wir einen Nähfaden entwickeln, der auch kompostierbar ist. Das war die schwierigste Aufgabe. Ich selber habe auch schon einige Hosen kompostiert. (lacht) Mittlerweile habe ich sechs Komposttonnen, weil ich einfach neugierig war, was passiert. Das ist meine Feierabendbeschäftigung.

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Saisonale Trends wurden, wie bei den Taschen, vernachlässigt.

Auf die sehr kurzen, ein bisschen überhitzten Modezyklen wollten wir nicht eingehen. Wir designen unsere Produkte auf die Materialien, die wir im Moment zur Verfügung haben – normalerweise funktioniert das umgekehrt.

Ein Langarm-Shirt aus Ihrer Kollektion kostet ca. 100 Euro. Wie erklären Sie Ihren Kunden die hohen Preise?

Wir haben immer die Philosophie vertreten, dass der Kunde für die Herstellung eines Produkts bezahlt – also für das Material, für die Arbeitszeiten – und nicht für eine Werbekampagne. Die Herstellung in Zürich ist nicht günstig – eigentlich gibt es keinen teureren Ort für eine Taschenproduktion. (lacht) Wenn der Kunde das versteht und mitträgt, ist er auch bereit, diesen Preis zu bezahlen.

Das Schlagwort "Green Fashion" hört man immer öfter. Wie beurteilen Sie diesen Trend?

Natürlich ist es gut, dass Nachhaltigkeit ein Thema ist. Aber manchmal hat man das Gefühl, dass plötzlich alles als Grün verkauft wird. Etwa Organic Cotton: Cotton ist immer Organic, denn Baumwolle ist eine organische Faser. Das ändert sich auch nicht, wenn nachher eine Menge Chemie dazukommt. Für den Normalverbraucher ist es fast nicht möglich, zu abstrahieren.

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Sie haben sich schon früh mit Nachhaltigkeit beschäftigt. War das Teil Ihrer Erziehung?

Umweltbewusstsein war immer ein Thema, aber es wurde uns nie aufgezwungen. Dass die Bananenschale auf den Komposthaufen gehört, haben wir schon im Kindergarten gewusst. Da haben wir gestaunt: In einem normalen Garten wachsen die Zuchettis (Zucchini, Anm.) nicht so gut wie dort, wo wir den Küchenabfall hinschmeißen. Und irgendwann haben wir in der Familie beschlossen, dass es auch ohne Auto geht – deswegen habe ich bis heute keinen Führerschein.

Was macht gutes Design aus?

Das hat viel mit Zeitlosigkeit zu tun – dass man nicht die Form sucht, die gerade total angesagt ist, aber nächstes Jahr niemand mehr sehen möchte. So wie bei diesem Telefon (zeigt auf das iPhone der Redakteurin, Anm.): Die runden Ecken waren schon vor 50 Jahren die richtige Form – und sind es heute noch. Gutes Design ist schlicht, funktionell, langlebig. Dazu gehört auch, dass man sich fragt: Was passiert mit dem Produkt, wenn es ausgedient hat?

Sie sprechen das Kreislauf-Denken an, ein wichtiger Teil Ihrer Firmenphilosophie.

Das Denken in Kreisläufen hilft uns extrem. Du musst immer jeden Schritt durchdenken – sonst besteht die Gefahr, dass sich Probleme verlagern. Sprich: Ich designe ein Produkt, habe aber keine Ahnung, was damit passiert, wenn es ausgedient hat. So kam uns zum Beispiel die Idee vom Drehknopf: Wenn die Hose nicht mehr geflickt werden kann, schraubst du den Knopf ab, kommst zu uns ins Geschäft und sagst, du hättest gerne die nächste Hose. Man könnte ihn personalisieren lassen und irgendwann weitervererben.

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In Ihrer Firma in Zürich gibt es einen eigenen Radiosender. Was hat es damit auf sich?

Bei uns durfte immer schon Musik gehört werden. Irgendwann ließ jeder seinen eigenen Sound laufen – das war wie auf dem Jahrmarkt. Ein Mitarbeiter hatte dann die Idee, dass wir einen Radiosender machen. Jeder ist für einen Tag DJ, am Donnerstag ist immer Album-Tag, da lassen wir die ganze LP durchlaufen. Wem das Programm nicht passt, der muss es ändern. Das ist auch ein bisschen unsere Philosophie: Unsere Mitarbeiter sollen sich wohlfühlen, aber sie sollen sich auch engagieren.

Erfolgsbrüder

1993 gründete der gelernte Dekorationsgestalter Markus mit seinem Bruder Daniel, Grafiker, die Taschenmanufaktur Freitag. Heute haben sie ca. 150 Mitarbeiter. Die Taschen werden in 460 Filialen verkauft, unter anderem in Tokio und Shanghai. Infos: www.freitag.ch

Radfahrer & Vater

Markus Freitag, 45, lebt mit seiner Frau und seinen zwei Töchtern in Zürich. Er besitzt kein Auto, ist leidenschaftlicher Snowboarder sowie Bahn- bzw. Velofahrer – so heißt das Fahrrad in der Schweiz.