"Ich seh', ich seh', was du nicht siehst"
Von Maria Gurmann
Griaß di Sandra, Hallo Gudrun!“ Vor der Sonntagsmesse wird das Duo freundlich von den Kirchenbesuchern begrüßt. Sie alle haben bei der Puls4-Show „Ein Herz für Österreich“ fleißig für die Musikerinnen gevotet. Sandra, die wegen einer Erbkrankheit als Kind nur „wie durch ein ÖBB-Klofenster-Glas“ gesehen hat und seit zwölf Jahren „im Stockfinsteren“ lebt, erkennt jeden einzelnen an der Stimme, grüßt freundlich zurück und hat immer einen Scherz auf den Lippen. „Bei Konzerten ist es mir egal, ob da drei Leute oder 300 sitzen, ich sehe sie eh nicht.“ Der schwarze Humor ist ihr Markenzeichen, „weil das zu mir passt, ich sehe ja auch nur Schwarz.“
Fest verwurzelt sind die Musikerinnen „Seiwald & Topf“ im Grazer Pfarrzentrum St. Johannes. Herzergreifend schön singt Sandra „Wie im Himmel“ aus dem gleichnamigen Film, Gudrun begleitet sie auf dem E-Piano.
Die 25-jährige Tirolerin und die 47-jährige Grazerin sind unzertrennlich. Vor sechs Jahren begegneten sie einander im Odilieninstitut, das Grazer Zentrum für Sehbehinderte und Blinde. Sandra hörte die Lehrerin mit dem Kinderchor musizieren, Gudrun hörte die EDV-Studentin in ihrer Band singen. „Seither sind wir zusammengewachsen“, erzählt Sandra auf dem Weg zu ihrer Wohnung. Im Eiltempo ist sie ohne Blindenstock, die Hand nur leicht auf Gudruns Schulter gelegt, unterwegs. Es nieselt, sie zieht sich die Kapuze weit übers Gesicht und macht den nächsten Scherz: „Jetzt sehe ich nix.“
Zielstrebig
Fast jeden Tag treffen die Freundinnen einander. Entweder kommt Gudrun zu Sandra, die leidenschaftlich gerne kocht, alleine einkauft und sich bestens in ihrer Single-Wohnung selbst versorgt. „Meine Stromkosten sind niedrig, ich brauche ja kein Licht.“ Oder sie gehen ins
Kino, auf Reisen, fahren Tandem oder Ski. „Gudrun fährt entweder vor oder hinter mir und sagt immer rechts, links oder stopp“, erzählt Sandra. Mit vier Jahren haben sie und ihre Schwester – von den Einheimischen die Hirschbergdirndln genannt – „immer voll mit Risiko“ auf ihrem Hausberg, dem Kitzbüheler Horn, ihre Schwünge gezogen.
Traurig ist Sandra selten. „Ich sehe im Leben alles positiv, bin glücklich, dass es mir so gut geht.“ Sie prescht mit jugendlicher Energie voran, liebt es zu organisieren und scheut kein Risiko. Gudrun, Mutter zweier erwachsener Söhne, ist die Gelassenere, Vorausschauende.
Unterstützt von einer Assistentin, die sie zwanzig Stunden pro Woche auf die Uni begleitet, schreibt die 25-Jährige gerade an ihrer Jus-Magisterarbeit und der Abschlussarbeit für ihre Mediatorenausbildung. „Dann werde ich noch den Doktor machen.“ Sie will mit allen Mitteln dafür kämpfen, dass Blinde, so wie in Frankreich oder Deutschland, auch Rechtsanwälte oder Richter werden können. Von diesem Thema handelt auch ihre Diplomarbeit. „Die Justitia stellt sich hier auch blind.“
Ansuchen für Förderungen zu stellen seien mühsam. „Da muss man sich Sachen anhören, wie: ,Gehen Sie in Frühpension, da kommen Sie dem Staat billiger‘“, ärgert sich Sandra, die ihre Ziele unbeirrt verfolgt und „mit beiden Beinen im Leben steht“, wie Gudrun Topf sagt.
Ergänzung
Ein kongeniales Paar sind die Musikerinnen. Gudrun sieht die Welt mit anderen Augen, seitdem sie Sandra kennt. „Wenn ich ihr einen Sonnenuntergang beschreibe, dann kann ich ihn viel mehr verinnerlichen. Ich fasse meine Gefühle, das was ich sehe, in Worte. Dadurch wird das Gesehene bei mir emotionaler, bewusster abgespeichert. Sandra hat mir die Augen geöffnet.“
Die angehende Juristin, die ungebremst das Leben genießt, lernt von Gudrun, „die so viel Ruhe ausstrahlt“, vor allem Besonnenheit. Beide leben im Jetzt, gehen miteinander sehr liebevoll um und lieben es, unter Menschen zu sein. Mit Humor nimmt die blinde Studentin den Leuten, die anfangs Berührungsängste haben, den Wind aus den Segeln.
Auf ihrer ersten CD mit dem Titel „Leb’“ bringen Sandra Seiwald und Gudrun Topf ihre ganz persönliche Herzensmusik in ihren eigenen
Worten und Melodien zum Ausdruck. Die positive Einstellung zum Leben bleibt dem Zuhörer nicht verborgen.