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„Ich bin manchmal besessen“

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Nein, so cholerisch, wie er sich in manchen Interviews darstellt ist er ja gar nicht. Vielleicht am Anfang etwas distanziert, dann ein wenig sein Gegenüber einschätzend, später mild. „Ich bin schmeichelweich“, sagt Sven-Eric Bechtolf, zündet sich die erste Zigarette an und lächelt, bevor er beim Spaziergang von der Oper Richtung Naschmarkt seine Ruppigkeit erklärt. „Ich rege mich manchmal unnötig auf. Offensichtlich habe ich einen ausgeprägten Adrenalinausstoß, der mich ausreichend mit Drogen versorgt.“

Aufregen kann sich der Schauspieler und Regisseur besonders über Kleinigkeiten. Vor allem auf dem Flughafen. Reglementierungen sind ihm ein Gräuel. Zielstrebig, ausdauernd und „manchmal besessen“ ist der Schauspieldirektor der Salzburger Festspiele, wenn es um seine Arbeit geht. Zurzeit inszeniert er in der Wiener Staatsoper „La Cenerentola“ (Premiere: 26.1.).

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Wie laufen die Proben? „Zufrieden ist man nie. Rossini ist äußerst anspruchsvoll für Regisseure, Dirigenten und Sänger. La Cenerentola kommt zwar leicht daher, gehört aber zum Kompliziertesten, was man machen kann“, sagt der vor 55 Jahren in Darmstadt geborene Deutsche und zündet sich die nächste Zigarette an. „Man beackert jeden Quadratzentimeter, jede Wendung, jeden Blick, jede Drehung, jeden Schritt. Alles wird geplant und dann ausgeführt. Bei mir wird nicht viel improvisiert.“

Rastlos

Bei der Premiere ist er ein Getriebener – „vom zweiten Stock hinter die Bühne, dann in die Kantine, von dort in die Loge, dann wieder in die Kantine“ – rastlos eilt er dann durchs Haus am Ring. „Ich kann mir meine Vorstellungen im Repertoire nicht anschauen. Die letzte Vorstellung, die ich mit allem – Orchester, Kostüm, Licht, Maske usw. – sehe, ist die Generalprobe. Dann kann man ohnehin nichts mehr tun. Für mich ist es dann vorbei.“

„Bevor ich mit dem Rauchen aufhöre, müssen die Zigaretten verboten werden.“


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Wann kommt Sven-Eric Bechtolf zur Ruhe? „Indem ich ohnmächtig werde“, sagt er schmunzelnd. „Nein, nein, wenn ich nach Hause komme, wird der Stecker schon herausgezogen. Dann kann ich abschalten.“ Bechtolf kennt keine Ablenkungen, keinen Sport und kein Spazierengehen. „Da ich hobbyfrei bin, ist mit mir wenig anzufangen.“

Wann wird der leidenschaftliche Opernregisseur (zuletzt inszenierte er „Ariadne auf Naxos“ in Wien) wieder selbst auf der Bühne stehen? „Keine Ahnung. Wegen Umbaus geschlossen. Ich wüsste nicht, wann. Jetzt muss ich sowieso schleunigst wieder nach Salzburg“, sagt der Vater eines 23-jährigen Sohnes, der in Hamburg Jura studiert und „ein fleißiger Student ist. Ob er mir ähnlich ist? Ich fürchte, ja.“

Dialogpartner

Kritiken lese er – aber die Kritik habe an Qualität verloren. „Sie folgt nicht mehr halbwegs objektiven Kriterien, sondern sie verkommt zu apodiktischer Geschmacksveräußerung. Mich ärgert das.“ Fünf Kritiker gebe es, die er gut finde. Wer die sind, sagt er nicht. „Die Kritiker hätten im Prinzip ja eine ganz wesentliche Bedeutung für das Theater, weil sie Dialogpartner sein können. Dieser Verantwortung sollten sie Rechnung tragen“, sagt der Hesse, der in Wien – „ich liebe diese Stadt“ – seinen Hauptwohnsitz hat.

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In den 80er-Jahren kannte den Künstler ein breites Fernsehpublikum aus Krimiserien wie „Der Alte“, „Tatort“ oder „Derrick“. „Nach all den Jahren ist das kein breites Publikum, sondern ein totes.“ Ob er wieder einmal vor der Kamera stehen werde, könne er nicht ausschließen. „Aber mein Weg, meine Interessen haben mich ganz wo anders hin geführt“, sagt der viel beschäftigte Theatermensch. Er sei kein Schauspieler, der „auch“ Regie führt. „Ich bin ein Regisseur, der auch Theater spielt. Auf diesen feinen Unterschied muss ich bestehen.“ Ein Regisseur mit eigener Bühnenerfahrung arbeite anders als ein gewesener Regieassistent mit Universitätsabschluss, „weil er unabhängig von der Qualität der Konzeption, einfach mehr vom Handwerk versteht. Ein einigermaßen guter Schauspieler, der das Handwerk und das andere, das Namenlose, kennt, ist in der Vermittlung an den Schauspieler im Vorteil“.
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Zehn Jahre alt war Bechtolf, als er das erste Mal in der Oper in Hamburg – „Der Freischütz“ – war. Um selbst Sänger zu werden, fehle ihm das Talent. Dass er Schauspieler wird, „obwohl die ganze Familie aus Kauf- und Geschäftsleuten besteht“, wusste er schon, als er im Schultheater sein Talent bewies.

Ruhestand

Was wird der Ruhelose machen, wenn er einmal im Ruhestand ist? „Ich zeichne nicht gut, aber gerne. Ich würde Zeichenunterricht nehmen. Und ich würde schreiben – Essays, Beobachtungen, Tralala“, sagt Bechtolf, dämpft seine Zigarette aus und zieht sich am Ende des Fußmarsches – „sonst fahre ich mit der Vespa“ – den Kragen seines schwarzen Mantels fest um den Hals.info:„La Cenerentola“, Gioachina ­Rossini, Wiener Staatsoper, Premiere am 26.Jänner, Dirigent: Jesús López-Cobos, Regie: Sven-Eric Bechtolf