Der Ex-TV-Star über Outing, Verzweiflung, Freiheit & Conchita.
Nur so zum besseren Verständnis: Zu Zeiten, als Günter Tolar (am Mittwoch 75) die Hauptabende im ORF bestritt, da gab es noch Einschaltziffern von bis zu 3,5 Millionen. Jeder zweite Mensch in diesem Land sah zu und an die 90 Prozent kannten den Showmaster, wie man damals sagte.
Wenn es bei Dauerbrennern wie "Wer dreimal lügt", "Rätselbox" oder "Made in Austria" (1973–1992) eine "Heimseherfrage" gab, für deren Beantwortung eine Waschmaschine (!) in Aussicht stand, dann trudelten am Küniglberg selten weniger als 600.000 Postkarten ein.
Doch der gebürtige Oberösterreicher mit den (früh) sehr markanten, beinahe "indianischen" Zügen steht für mehr als bloß Fernsehgeschichte. Seit Tolar vor 22 Jahren seine Homosexualität in NEWS "outete", genießt er den Rang eines Pioniers & Elder Statesman der schwulen Community. Heute eine leichte Übung, damals ein existenzielles Wagnis ... Als ihn der gefürchtete General Gerd Bacher (nun 88) in einem saugroben Brief ermahnte, "die widerliche Zurschaustellung" seines Intimlebens abzustellen, andernfalls das "unternehmsschädigende Verhalten" dienstrechtliche Konsequenzen zeitige, fiel der gelernte Kabarettist in eine veritable Depression. Just der als hemdsärmelig-polternder "Supermacho" verschriene Unterhaltungschef Dieter Böttger (heute 74) bot Tolar seine breiten Schultern zum Anlehnen: "Na, was is? Schwul bist? Na, und? Des steh ma locker miteinander durch!"
"Ich hatte schon drei Leben in 75 Jahren", bilanziert Tolar, "bis zu meinem ,Mir-klar-Werden’ als Bursch, dann als unbehelligter, aber doch im Halbdunkel der Camouflage balancierender Künstler und jetzt als glücklich verpartnerter älterer Herr." Mit dem IT-Spezialisten Gerald Rackl (52) lebt der Autor und Gelegenheits-Theaterschauspieler in Wien-Mariahilf in beschaulicher Idylle.
Als Schwulsein noch unter Strafe stand, wurde der junge Tolar einmal aus einem Lokal heraus verhaftet. Er hatte seinem (damaligen) Freund während einer Razzia übermütig "a Bussl geb’n". Darauf der Polizist: "Bürscherl, des hätt’st jetzt aber liaber net g’macht ...!" An die Nacht in der (sinniger- weise!) Doppelzelle erinnert sich Tolar gar nicht einmal ungern: "Wir hatten viel Spaß ..."
Als er – nach dem Outing – eine kritische ältere Dame fragte, wieso sie nun auf ihn böse wäre, da antwortete die entwurzelte Bewunderin: "Weil ma Ihna des do nie an- g’sehen hat, dass S’ schwul sind."
Und mit mehr negativen Erlebnissen kann er nicht dienen. Es hat sich doch was getan in diesem weiten Land der Seele! Apropos: "Mit ganzer Seele" zollt Tolar einer jungen Weltberühmtheit größten Respekt: Conchita Wurst (25). "Ich bin ihr unglaublich dankbar – irgendwie ist sie meine Nachfolgerin. Das Schwulsein ist durch sie fast kein Thema mehr."