Gertraude Portisch: "Die Enkelkinder sind ein großer Trost"
Von Maria Gurmann
Eine elegante Frau mit freundlichem, liebevollem Lächeln öffnet uns die Tür. Die Bücherregale im Salon ihrer Wohnung im 3. Bezirk sind bis zur Decke gefüllt. Auf dem Tisch liegen die Kinderbücher, die Gertraude Portisch unter ihrem Mädchennamen Traudi Reich geschrieben hat, einige ihrer Lyrikbände und die beiden Bücher – über die Toskana und über Pilze –, die sie mit ihrem Ehemann Hugo Portisch schrieb. Der ist heute nicht da. Bevor sie sich wieder in ihr Haus mit den Olivenhainen nach Italien zurückziehen, gibt der großartige Historiker, Journalist und Kommentator der Neuauflage der ORF-Dokureihe „Österreich II“ noch den letzten Schliff.
Traudi Portisch’ neues Buch „Zwei weiße Schmetterlinge“, Gedichte und Gedanken, ist ein Spiegel ihrer optimistischen, positiven Lebenseinstellung. „Gedanken, die man nur haben kann, wenn man ein gewisses Alter erreicht hat“, sagt sie und faltet ihre zierlichen Hände im Schoß.
KURIER: Auf dem Cover Ihres Gedichtbandes sind zwei ineinander verschmelzende Wolken. Symbolisieren die Sie und Ihren Mann?
Gertraude Portisch: Nein, das habe ich gar nicht bemerkt. Das ist eine lustige Idee. Es ist dieser Weg auf dem Cover, der Weg, den wir alle gehen.
Sie sind seit 64 Jahren verheiratet. Was ist das Geheimnis dieser harmonischen Ehe?
Da gibt es kein Geheimnis. Entweder man findet den richtigen Menschen oder nicht. Das ist ein Vabanquespiel. Es gibt so wenige Möglichkeiten und Zufälle.
Gibt es Zufälle im Leben?
Nur. Alleine wie wir das Haus in Italien gefunden haben. Das war nur Zufall, es war nichts geplant.
Wir sind schon lange eins. Das geht so weit, dass ich weiß, was er sagen wird und umgekehrt. Wir können unsere Gedanken und Gesichtsausdrücke lesen.
Hugo Portisch sagte einmal, das schönste Frühstück sei mit Ihnen. Er wolle die Gespräche mit Ihnen nicht missen ...
Man kann nicht 64 Jahre miteinander leben, wenn das Reden nicht funktioniert.
In einem Ihrer Gedichte schreiben Sie über den Tod, die Asche die verstreut wird und daraus wieder eine Pflanze wächst. Sprechen Sie auch über den Tod mit Ihrem Mann?
Wir sprechen relativ wenig darüber. Es reicht, wenn ich darüber schreibe. Da bin ich diejenige, die das mehr ausspricht. Wir wollen eingeäschert werden, die Asche soll in der Toskana verstreut werden.
Haben Sie Angst vor dem Tod?
Nein, überhaupt nicht.
Ihr Sohn ist vor einem Jahr an einer Tropenkrankheit in Madagaskar, wo er lebte, gestorben. Was tröstet Sie?
(Sie atmet tief ein und seufzt) Das beschreibe ich in meinem Gedicht „Die Bühne“. Ohne uns wäre dieses Leben gar nicht gewesen. Es war aber trotzdem ein schönes Leben. Das tröstet.
Das Gedicht „Das Licht“ bezieht sich auch auf Ihren Sohn?
Ja, solange er gelebt hat, hat er Licht in unser Leben gebracht und in das Leben anderer. Das ist alles ein Teil des Trostes. Es ist ein schrecklicher Verlust. Wir können auch noch nicht sehr gut darüber reden.
Haben Sie Enkelkinder?
Wir haben auch ein Urenkelkind. Die leben in Deutschland. Die Enkelkinder sind ein großer Trost.
Sie schreiben in Ihrem Buch, dass wir in den Gedanken und Erinnerungen derer, die wir gekannt haben, weiterleben ...
Nicht nur das. Wir verändern die Welt, indem wir tun oder sprechen. Unser Gespräch jetzt ist ewig.Man hat etwas getan, was nicht mehr zurückgenommen werden kann.
Sie sagen, man solle immer so leben als gäbe es keinen Tot. Gelingt Ihnen das immer?
Nein. Aber es ist nicht etwas, was mich beunruhigt. Planen tun wir gar nichts. Es bricht ja alles über uns herein. Überhaupt über meinen Mann mit dem „Österreich II“.
Was ist Ihr Lebenselixier?
Humor, das ist eines der wichtigsten Sachen. Das hab ich von meinem Vater geerbt. Der war ein Witzbold. Bei uns sind immer Witze erzählt worden.
Ihr Vater war Jude, kam ins KZ und überlebte, Ihre Mutter war Katholikin. Wann flüchteten Sie nach England?
Meine Mutter ist mit meinem Vater während des Krieges nach England und wir Kinder, meine neun Jahre jüngere Schwester und ich, hatten keine Erlaubnis. Es war eine furchtbare Geschichte, meine Eltern waren verzweifelt. Aber mein Vater war nach dem KZ in einem so labilen Zustand, dass sie ihn nicht allein lassen konnte. Drei Monate später bekamen wir die Erlaubnis. Erst 1947 kamen wir nach Wien zurück.
Himmel und Hölle ist hier und jetzt, schreiben Sie ...
Das ist etwas, was meine Mutter mir gesagt hat, als ich noch ziemlich klein war. Ich kam vom Religionsunterricht, der Lehrer hat uns von der Hölle und den schrecklichen Dingen erzählt, die passieren würden, wenn wir sündigen. Ich war sehr deprimiert und da hat mir meine Mutter gesagt, das ist alles ein Blödsinn, es gibt keinen Himmel und es gibt keine Hölle. Das ist alles, was du aus deinem Leben machst. Du machst dir deinen eigenen Himmel und die eigene Hölle.
Waren Sie in Ihrem Leben mehr im Himmel oder mehr in der Hölle?
Die Zeit in England war die reine Hölle. Zwei von vier Jahren im Kloster – und das ist sehr lange – waren die reinste Hölle. (Portisch arbeitete als Hilfslehrerin für Sport als einzige Laiin unter Nonnen.) Dann hab ich mich herausgerafft. Seither ist die Hölle nie mehr wieder gewesen.
Wurden Sie katholisch erzogen?
Meine Großmutter war eine überzeugte Katholikin, ist jeden Sonntag in die Kirche gegangen und hat mir die katholische Religion wie ein Märchen erklärt. Keine grauslichen Geschichten. Ich wurde getauft, weil meine Mutter nur mit Dispens meinen jüdischen Vater heiraten durfte und sie musste zustimmen, dass meine Schwester und ich katholisch erzogen werden. Mein Vater hatte keine Einwände, weil er nicht orthodox war. Er war abtrünnig, sein Vater war Rabbiner, hatte vier Mädchen und einen Buben und der ist nicht Rabbiner geworden.
Woran glauben Sie?
Ich habe gestern in der Herald Tribune gelesen, da schreibt einer: „Man muss doch nicht an Gott glauben, um gläubig zu sein.“ Das ist meine Linie. Ich glaube an sehr viele Sachen. Das klingt vielleicht jetzt banal: Ich glaube an das Gute. Ich glaube nicht an das Gute im Menschen. Ich glaube wir sind gut und böse, mehr oder weniger.
Was ist Liebe?
Das kann man nicht so allgemein sagen. Aber Dinge zu tun für den anderen, ohne dafür etwas zu verlangen und ohne zu sagen, es ist ein Opfer. Liebe ist, wenn man etwas für den anderen tut, nicht als Opfer, sondern was man gerne tut, aus innerem Wollen. Ich komme immer wieder gegen Leute an, die sagen, was hab ich alles für den oder jenen gemacht. Alles was ich je für meinen Mann getan habe, war bei Gott kein Opfer.
Können Sie mit Ihrem Mann auch streiten?
Wir streiten überhaupt nicht. Man hat hie und da andere Ansichten über etwas Aktuelles, über Politik sehr selten, da sind wir einer Meinung. Aber meine Mutter hat immer gesagt, du darfst keine Nacht verstreichen lassen, wenn du gestritten hast. Am Abend vor dem Schlafengehen muss der Streit bereinigt sein.
Wo haben Sie Ihren Mann kennengelernt?
In der Redaktion Der Montag bei meinem Vater in Wien, nach dem Krieg. In England habe ich mit dem Geografie- und Geologiestudium begonnen. In Wien habe ich Englisch und Alt-Englisch studiert und dann noch mit Geschichte begonnen. Mein Mann hat ja auch Geschichte studiert. Er hat es fertig gemacht, ich habe ein Kind bekommen und da war die Sache erledigt.
Ist Hugo Portisch der Lektor Ihrer Bücher?
Ja, er liest als erster meine Gedichte und Bücher.
Gertraude Portisch ist in Wien als Tochter eines Juden und einer Katholikin geboren. Nachdem ihr Vater das KZ überlebte, flüchtete die Familie nach England. Nach dem Krieg kehrte sie nach Wien zurück.
Familie Die Autorin ist seit 64 Jahren mit dem Historiker und Journalisten Hugo Portisch verheiratet. Ihr gemeinsamer Sohn, der als Maler in Madagaskar lebte und eine Landwirtschaft betrieb, starb vor einem Jahr an einer Tropenkrankheit. Das Ehepaar Portisch wohnt in Wien und in der Toskana.
Kinderbücher Unter ihrem Mädchennamen Traudi Reich schrieb sie viele Kinderbücher. Gemeinsam mit Hugo Portisch schrieb sie ein Buch über Pilze und eines über die Toskana.
EP-Verlag, 19,90 Euro.