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„Der vortrefflichste Entdecker“

„Dr. Livingstone, I presume.“ (Dr. Livingstone, wie ich vermute): Ein Satz, so britisch wie er sich nur denken lässt, ausgesprochen 1871 in der Handelsstadt Udschidschi (Ujiji, Tansania). Diese rhetorische Frage, verbunden mit einem höflichen Lüpfen seines Tropenhelms, machte den amerikanischen Reporter und Abenteurer Henry Morton Stanley weltberühmt. Ein Abenteurer-Gentleman, der selbst in der afrikanischen Wildnis die Formen wahrt, dachten die Zeitgenossen im viktorianischen England.

Stanleys Popularität wurde nur durch den Ruhm jenes bis aufs Skelett abgemagerten Mannes übertroffen, den er in der Wildnis so förmlich begrüßt hatte: David Livingstone, Forschungsreisender, auf der Suche nach den Quellen des Nils. Daheim für tot gehalten. Livingstone sei von Einheimischen ermordet worden, reportierte die Londoner Times 1867 in einem – verfrühten – Nachruf auf den „furchtlosesten und vortrefflichsten Entdecker“ aller Zeiten.

Erfolgloser Missionar

David Livingstone wurde heute vor 200 Jahren in Schottland geboren und kam ursprünglich als Missionar und Arzt nach Südafrika. Er half, wo er konnte, säuberte Wunden und beschützte Menschen, die vor Sklavenhändlern fliehen mussten. Der zierliche Mann mit dem leichten Sprachfehler erlernte die Landessprache und freundete sich mit dem Volk der Makolo an. Dennoch bekehrte er keinen einzigen Afrikaner zum Christentum.

Livingstones wahre Berufung lag woanders: Im Sammeln von geografischen und geologischen Wissen und in seinem unbändigen Forscherdrang. „Der Gedanke, unerforschtes Land zu bereisen, bereitet mir größtes Vergnügen“, vertraute der Mann aus den schottischen Highlands seinem Tagebuch an. 18 Jahre lang war er insgesamt unterwegs, zog durch Urwälder, Wüsten und Sümpfe und legte dabei Zehntausende Kilometer zurück. Als erster Weißer gelang ihm die Durchquerung Zentralafrikas von Ost nach West – eine mehr als 6500 km lange Tortur. Er entdeckte mit Hilfe der Makolo den Sambesi und erblickte als erster Europäer die Victoria-Fälle, vom örtlichen Mukuni-Stamm „Mosi-oa-tunya“ („Der Rauch, der donnert“) genannt. Für Livingstone „der herrlichste Anblick“, den er je gesehen habe.

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1866 wurde er im Auftrag der Royal Geographical Society in London erneut nach Afrika entsandt. Er sollte einen Streit zwischen John Speke und Richard Burton lösen, zwei weiteren Afrika-Reisenden. Der eine meinte, der Victoria-See sei die Quelle des Nils, der andere sagte, es wäre der Tanganjika-See. Livingstone stieß bis zum Lualaba-Strom in der Demokratischen Republik Kongo vor, den er für den Schlüssel zum Rätsel der Nilquellen hielt – ein Fehler, wie sich erst später herausstellte (siehe Geschichte rechts).

Reisen in Zentral-Afrika bedeutete Marschieren bei Temperaturen um die 50 Grad Celsius, gepiesackt von Moskitoschwärmen, heimgesucht von blutigem Durchfall. Livingstone schleppte sich mit letzter Kraft und Geschwüren an den Beinen bis zu einem Handelsposten, wo ihn Henry Stanley später aufspürten sollte.

„Diese Pioniere müssen eine unheimliche Selbstdisziplin gehabt haben“, sagt Wissenschafts-Autor Kurt Schmutzer („Der Liebe zur Naturgeschichte halber. Johann Natterers Reisen in Brasilien“, ÖAW, 59,50 €). Und räumt mit einem Irrtum auf: Das, was man gerne „weiße Flecken auf der Landkarte“ nannte, existierte nicht. Überall, wo Livingstone hinkam, gab es Königreiche oder kleine Herrschaftsgebiete, die von Häuptlingen beherrscht wurden, oft auch Handelsniederlassungen. Dort wurde mit Gold und Elfenbein gehandelt – und mit Sklaven.

Menschenjäger

Immer wieder wurde Livingstone Zeuge von Massakern der Menschenjäger. Ausweichen konnte er nicht, denn er war wie die meisten Reisenden entlang etablierter Handelsrouten unterwegs. Wagte man sich über diese Gebiete hinaus, konnte es passieren, dass man für immer verschwand, wie der Amazonas-Forscher Percy Fawcett um 1925. Livingstone zog dank Stanleys Hilfe weiter. Schließlich, 1873, 60-jährig, und völlig entkräftet, starb er am Ufer des Bangweulu-Sees (Sambia), in seinem Zelt. Seine Diener fanden ihn in betender Haltung. Sie balsamierten seinen Körper ein und brachten ihn nach Europa zurück. Sein Herz begruben sie in Afrika.

Entbehrungsreiche Suche

Zu den Nilquellen

Reisen in Afrika sind gewagte Unternehmungen. Neil McGrigor überlebte die Suche nach den Nilquellen 2005 / 06 nur knapp. Interessante Vergleiche mit der Ära der viktorianischen Forscher. Maja Nielsen: David Livingstone. Das Geheimnis der Nilquellen. Gerstenberg. 13,40 €.

Reisen ins Unbekannte

„Früher musste man vor die Tür, wenn man Antworten auf exotische Fragen haben wollte, heute genügt dafür ein Blick ins Internet.“ Das sagt Beate Hitzler. „Outdoor Legenden“ (Pietsch, 20,60 €) erinnert auch an mutige Frauen, wie die Sahara-Forscherin Isabelle Eberhardt.

Livingstone gefunden
Entdeckerliteratur von Henry Morton Stanley

Der Reporter Stanley wird 1869 zu seinem Verleger ins Grandhotel Paris zitiert, der ihm im Bademantel aufträgt: „Finden Sie Livingstone!“ Einen Zwischenstopp macht er in Suez, wo er über die Kanaleröffnung berichtet. Henry M. Stanley: Wie ich Livingstone fand. Edition Erdmann. 24,70 €.

Reisebericht aus erster Hand

Durch Livingstone bekamen die Europäer eine Vorstellung von Zentralafrika. Durch ihn erfuhren sie auch, dass trotz Verbots des Sklavenhandels immer noch Jagd auf Menschen gemacht wurde. David Livingstone: Reisen und Entdeckungen im südlichen Afrika. Edition Erdmann. 24,70 €.