"Conchitas Sieg ist ein Schrei nach Freiheit"
Von Maria Gurmann
Sie haben allerhand gemeinsam: Weltstar Udo Jürgens und die frisch gekrönte "Queen of Europe" Conchita Wurst. Beide sind sie Paradiesvögel, lassen sich ungern in die viel zu engen Schubladen der Musikindustrie zwängen, tragen Künstlernamen und elegante Abendkleidung. Beide sprechen Hörerschichten an, die weit über das Kernkontingent des jeweiligen Genres hinausgehen. Beiden ist die individuelle Freiheit ein unantastbares Gut. Ach ja – und dann wäre da noch eine Kleinigkeit: Beide haben ein Spektakel namens Eurovisions Song Contest für Österreich gewonnen. Was die Siege trennt sind 48 Jahre und ein Bart.
KURIER-Redakteurin Maria Gurmann ist Gemeinsamkeiten und Unterschieden auf den Grund gegangen.
KURIER: Herr Jürgens, Sie sind gerade in Portugal auf Urlaub, haben Sie den Song Contest gesehen?
Udo Jürgens: Ich habe ihn nicht gesehen, aber, was viel wichtiger ist, die Randgeräusche gehört. Ich hab am Schluss die Wiederholung des Siegerliedes gehört. Und sonst an den Tagen zuvor dort und da ein Stück.
In den Medien war die Rede davon, dass Conchita Wurst mit diesem Sieg in Ihre Fußstapfen tritt. Wie fanden Sie persönlich den Beitrag?
Jürgens: Ich hab sie ganz stark auf meiner Liste als Favoritin gehabt. Das Lied ist bemerkenswert. Es ist ein komponiertes Lied, man merkt, da hat sich ein Mensch hingesetzt und hat komponiert. Mit einem Orchester begleitet. Nicht einen Computer die Arbeit machen lassen und irgendetwas zusammen geschustert.
Dieses Gefühl einer durchdachten Komposition geht Ihnen bei anderen Beiträgen ab?
Im Fall von "Rise Like A Phoenix" war das wirklich anders. Kein Mensch auf der Bühne, nur Conchita im Scheinwerferkegel, sie hat ein Lied gesungen, das hat sie sehr souverän getan, sie hat es ernsthaft getan, sie hat es nicht veralbert. Hat nicht versucht mit ihrem Anderssein zu punkten. Sie ist ganz ruhig dagestanden und hat sich nicht verrenkt, sondern mit Würde ihr Lied vorgetragen. Sie hat mir imponiert und sie hat verdient gewonnen.
Weil sie nicht auf Show, sondern auf Stimme gesetzt hat?
Jürgens: Ja. Statt dieser schrägen Art, den ESC zu gestalten, kommt man wieder auf das zurück, was es eigentlich sein sollte. Nämlich eine Beurteilung von den Liedern und ihren Interpreten. Das war es, was mich damals groß gemacht hat. Gut, es ist eine Frau mit Bart, das hat die Aufmerksamkeit gesteigert. Sie wird eine schwere Zeit vor sich haben, sie wird angefeindet werden, auch jetzt noch. Es gibt viele Leute, die darüber entsetzt sind. Und sie müssen sich darüber klar sein, dass sie, wenn sie in Österreich eine Ausscheidung hätte machen müssen, niemals die Chance gehabt hätte, überhaupt mitzufahren. Eine Publikumswahl hätte das abgeschmettert. Eine Jury hat sie heuer nominiert. Aber es wird nicht nur die Anfeindung, sondern auch die Begeisterung weiter gehen.
Sie denken, dass die Prominenz von Conchita Wurst halten wird? Ist sie wirklich ein Phönix, keine Eintagsfliege?
Jürgens: Sie ist ein großes Fotoobjekt, welche Frau hat einen Bart? Gut, wir wissen, sie ist keine Frau. Ich vermute, sie ist ein junger Mann, der gerne die Dragqueen spielt, so wie es das vor 20 Jahren schon in New York gab. Das ist nichts Neues. Aber in dieser Form ist es neu.
So von Eurovisions-Sieger zu Eurovisions-Sieger: Welchen Ratschlag würden Sie ihr für ihren Weg mitgeben?
Jürgens: Sie hat gewonnen, sie hat das verdient. Ich gönne es ihr von Herzen und wünsche ihr alles Gute. Sie hat jetzt alle Trümpfe in der Hand und sie soll sich nicht grämen, wenn sie auch weiterhin da und dort Anfeindungen ausgesetzt sein wird. Aber das kennt sie ja. Sie wird damit gut umgehen. Es werden sich alle an ihre Seite drängen, auch die Politiker, die sie gestern noch verdammt haben, werden sich um sie bemühen. Und: Sie hat alle Chancen, auch international Erfolg zu haben, muss aber jetzt beweisen, was in ihr steckt. Die nächsten zwei Lieder sind wichtig, nicht nur dieses eine.
Wie haben Sie die internationalen Reaktion auf den Auftritt empfunden?
Jürgens: Was mir imponiert hat: Spanien, Irland, Israel – erzkatholische, erzreligiöse Länder – haben sie gewählt. Das ist ein Schrei nach Freiheit. Ich kann mir vorstellen, dass man im Vatikan verzweifelt war, als man das gesehen hat. Und erst recht in muslimischen Ländern. Die werden wieder sagen, die Dekadenten im Westen.
Auch in östlichen Ländern gibt es viele Menschen, die das gut finden, es wird aber öffentlich tot geschwiegen. Sie würde in Russland zusammengeschlagen werden und sie dürfte nicht auftreten. Aber auch für diese Länder ist es eine Lernstunde. Entweder lernen sie etwas daraus und merken, dass Europa anders, toleranter geworden ist. Oder sie sollen bleiben, wo sie sind und nicht glauben, dass sie hier dazu gehören. Wer dazu gehören will, muss anders denken lernen.
Wie stehen Sie zu den Vergleichen zwischen Ihnen und Conchita Wurst? Können Sie dem etwas abgewinnen?
Jürgens: Ich kenne Conchita Wurst ja persönlich noch nicht, werde sie aber sicher kennenlernen. Meine Karriere ist halt sehr was Eigenartiges, aber sie ist auch fantastisch. Man kann diesen Weg noch mit niemandem vergleichen, das ist einzigartig. Aber ich wünsche mir, dass es irgend jemand wieder einmal schafft. Es ist sicher sehr schwer und erfordert auch viel Ernsthaftigkeit und Stehvermögen. Als ich Conchita das erste Mal sah, war ich erschrocken. Aber ich war sofort überzeugt von ihr, als ich sie sprechen hörte, da dachte ich mir, Donnerwetter, die denkt nach, das ist ein ernsthafter Mensch. Dann hab ich das Lied gehört, dann war ich noch mehr überzeugt von ihr. Und wusste, dass sie eine ganz große Chance hat.
Hat Conchita Österreich verändert?
Jürgens: Österreich wird auch in Zukunft kein Land mit schwulen Männern in Frauenkleidern mit Bart sein. Das ist Unsinn. Aber wir sollten ein tolerantes Land sein.
Mehr über die offenen Fragen nach dem Song-Contest finden Sie hier.