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Barbara Pachl-Eberhart über das Leben

freizeit: Frau Pachl-Eberhart, vor vier Jahren haben Sie Ihre Familie verloren. Haben Sie jemals mit dem Leben abgeschlossen?
Barbara Pachl-Eberhart: Nein. Ganz am Anfang habe ich gerne geschlafen, weil ich meiner Familie damit viel näher war. Ich hatte natürlich auch dunkle Stunden, aber erst kürzlich habe ich mir gedacht, dass ich weniger die klassische Trauerexpertin, als viel mehr Expertin für das Leben bin. Ich habe positiven Dingen immer mehr Bedeutung beigemessen als negativen, auch in schwierigen Zeiten.

freizeit: Bei einem derartigen Schicksalsschlag ist das eine große Leistung. Wie haben Sie das geschafft?
PachlEberhart: Was heißt schon schaffen. Ein Freund meinte einmal, er würde sehr bewundern, dass ich nicht an meinem Schicksal zerbrochen bin. Bin ich zerbrochen, wenn ich fünf Wochen im Bett liege und mir die Decke über den Kopf ziehe? Auch das habe ich gemacht. Was ich heute bin, ist das Ergebnis eines langen Prozesses. Das Buch oder die Eröffnung meiner Praxis waren erst der 187. Schritt. Ich musste klein anfangen.

freizeit: Was hat Sie anfangs am Leben erhalten?
Pachl-Eberhart: Zu Beginn war jeder Atemzug für mich ein Erfolgserlebnis. Es gab Tage, da habe ich mir sogar fürs Zähneputzen gratuliert. Das war eine enorme Leistung und der erste Hinweis darauf, dass es bergauf geht.

freizeit: Viele Menschen verbinden mit Trauer vor allem Schmerz. Ihr positiver Zugang hat Ihnen auch Kritik eingebracht. Wie gehen Sie damit um?
Pachl-Eberhart: Ich wurde lange davon verschont. Die Kritik kam erst mit meiner Entscheidung, in die Öffentlichkeit zu gehen. Ich breche Tabus, was Menschen erst einmal stutzig macht. Viele lassen sich dann aber doch ein bisschen auf meine Welt ein. Wieder andere Trauernde geben sich komplett dem Schmerz hin.

freizeit: Wo liegen die Gründe für die unterschiedlichen Zugänge?
Pachl-Eberhart: Es gibt ein Phänomen in der Trauer, bei dem Menschen die Liebe zum Verstorbenen nur über den Schmerz spüren. Deshalb ist es für sie schwierig, die Trauer loszulassen. Biologen haben das auch in der Tierwelt festgestellt. Wenn bei Elefanten ein Teil des Rudels auf Jagd geht, trauern die Zurückgebliebenen und bleiben den Jägern so über Monate treu. Der ganze Hormonhaushalt stellt sich um. Aber der Mensch ist nicht nur biologisch, sondern auch ein Geisteswesen. Es muss also mehrere Wege geben, mit Trauer umzugehen. Das ist das, was ich suche.

freizeit: In unserer Gesellschaft wird der Tod weitgehend aus dem Leben verbannt. Das macht den Umgang mit Trauernden schwierig. Wie verhält man sich am besten?
Pachl-Eberhart: Zuerst einmal muss man sich fragen, ob man bereit dazu ist, sich einer Hochschaubahn zu stellen. Wer die Frage ‚Bin ich gut genug bei mir, dass ich neugierig auf mein Gegenüber sein kann?‘ mit Ja beantwortet und sich wie ein gut verwurzelter Baum fühlt, kann für trauernde Menschen da sein.

freizeit: Und wie geht es weiter?
Pachl-Eberhart: Sie müssen sich einen Trauernden wie einen Säugling vorstellen. Man ist wie neugeboren, alte Rollen wie die der Mutter fallen weg. Es braucht weniger Trost, als viel mehr praktische Hilfe. Man sollte einen Brauch einführen, wo zum Begräbnis nicht nur Kränze mitgebracht werden, sondern auch Gutscheine für die, die zurückbleiben. Rasenmähen, einkaufen, Regale schleppen. Für mich war sogar das Einschlagen von Nägeln anfangs ein Meilenstein.

freizeit: Und, hat es geklappt?
Pachl-Eberhart: Beim ersten Mal hatte ich ein Riesenloch in der Wand, jetzt kenne ich mich aus. Wussten Sie, dass es dann klappt, wenn Dübel und Bohrer dieselbe Breite haben?

freizeit: Das hätten Sie mir sagen müssen, bevor ich vergangenes Wochenende meinen IKEA-Kasten zusammengeschraubt habe. Jetzt ist er hin.
Pachl-Eberhart: Spannend, dass Sie das erzählen. Im normalen Leben sagt man: ‚Mist‘ und die Sache ist gut. Wenn Ihnen kurz vorher Ihr Lebensgefährte wegstirbt, werden banale Dinge zur Katastrophe. Das Problem ist dasselbe, aber die Trauer legt eine Riesenlupe drauf. Wie ein Brennglas.

freizeit: Als Trauerbegleiterin kennen Sie viele Schicksale. Macht es einen Unterschied, ob jemand um seine Kinder trauert oder um die 90-jährige Mutter, die ein langes Leben hatte?
Pachl-Eberhart: Die Art, zu trauern hängt von der Persönlichkeit ab und nicht nur davon, wer gestorben ist. Entscheidend ist auch die Art der Beziehung, die man zur verstorbenen Person hatte. Wenn jemand zu seiner 90-jährigen Mutter eine intensive oder schwierige Beziehung hatte, kann durch ihren Tod das eigene Leben ins Wanken geraten. Man kann gewisse Dinge nicht mehr klären. Es gibt Fälle, wo Trauerarbeit schwierig ist, weil das Umfeld nicht versteht, warum jemand trauert. So wie bei der Mutter, die eh schon alt war. Die Beziehung dahinter sieht keiner.

freizeit: Man hört immer wieder, dass Trauern in klassischen Trauerstufen verläuft. Ist das wirklich so?
Pachl-Eberhart: Man kann nicht sagen, dass eine Stufe nach der anderen kommt. Die Themen gehen ineinander über. Mir ist aufgefallen, dass die meisten Trauernden den Tod akzeptieren und irgendwann auch wieder Gefühle zulassen können. Der Knackpunkt bei den meisten ist die Neuorientierung. Da bleiben viele stehen und sagen: ‚Ich habe keine Ahnung, wie ein neues Leben geht.‘ Um diesen Punkt wird es auch in meinem neuen Buch gehen. Wie kann man das Ja zum Leben wieder finden, auch wenn man sich dieses Leben nicht freiwillig ausgesucht hat?

freizeit: Sie sind auch Lebensberaterin. Was machen Sie, wenn jemand mit einem banalen Problem zu Ihnen kommt. Erscheint Ihnen das nicht lächerlich?
Pachl-Eberhart: In der Zeit nach dem Tod meiner Familie war ich sehr intolerant. Ich erinnere mich an eine Szene, in der eine Frau im Supermarkt stand und sich sehr aufgeregt hat, weil sie nicht mit Kreditkarte bezahlen konnte – obwohl es auf einem Schild stand. Ich wollte meinen Joker ausspielen und sagen: „Mein Mann und meine beiden Kinder sind vor zwei Wochen gestorben. Ist Ihr Problem so schlimm?“ Ich habe es nicht getan, weil es unfair ist. Man darf nicht glauben, man habe das Leid für sich gepachtet.

freizeit: Regt Sie selbst nichts auf?
Pachl-Eberhart: Man kann es nicht zu 100 Prozent verhindern, aber ich bin schon ein friedlicherer Mensch geworden. Ich war zwei Jahre ein Engel auf Erden, ehe ich es geschafft habe, einen Konflikt auszutragen. Mein Therapeut hat damals gesagt: ‚Es ist schön, wenn du heilig sein willst. Aber manchmal ist es besser, nicht heilig zu sein als scheinheilig zu werden.‘ Das hat mich wachgerüttelt. Konflikte sind wichtig, weil man nur so Grenzen setzen kann. Die hohe Schule ist es, sie so lösen, dass sie nicht im Hass enden.

freizeit: Was halten Sie vom Satz: „Zeit heilt alle Wunden“?
Pachl-Eberhart: Lustig, dass Sie mich das fragen. Den Satz habe ich gerade erst gestern in mein Manuskript geschrieben. Heute, nach vier Jahren, sage ich: Ja, die Zeit ist klüger als unser Hirn. Gleichzeitig konnte ich mit dem Sprichwort nie etwas anfangen. Ich habe mir geholfen, in dem ich die anonyme, nicht greifbare Zeit in kleinere Teile zerlegt habe. Das habe ich entdeckt, als es mir sehr schlecht ging. Ich habe nach Momenten gesucht, in denen es mir ein klein wenig besser ging, als gerade eben. Sie werden nicht glauben, wie schnell man fündig wird, zum Beispiel wenn man ein Stück Kuchen isst. Es geht einem zwar auch dann nicht unbedingt gut, aber zumindest besser als vorher.

freizeit: Doch gerade in unserer Gesellschaft ist der Blick auf Kleinigkeiten verloren gegangen.
Pachl-Eberhart: Wir könnten von Trauernden viel lernen, wenn sie in unserer Highspeed-Gesellschaft nicht so schnell wieder in ein Korsett gepresst würden. Manche Menschen müssen ja kurz nach einem Trauerfall gleich wieder arbeiten. Trauer gilt als Emotion der Wandlung, sagt die Psychotherapeutin Verena Kast. Man kehrt zurück zum Ursprünglichen, zur Langsamkeit, zur Dankbarkeit. Bei Trauer geht es ja nicht nur um den Tod. Wir trauern um zerbrochene Beziehungen oder verloren gegangene Träume. Man kommt in diesen Momenten sehr schnell an die wesentlichen Punkte des Lebens. Leider hat man keine Zeit dazu, weil einen die Schnelligkeit des Lebens einholt.

freizeit: Hätten Sie zum Schluss noch einen Tipp, wie man Menschen helfen kann, die, aus welchem Grund auch immer, gerade nicht so gut drauf sind?
Pachl-Eberhart: Ich habe in einer Spielegruppe etwas ganz Banales gelernt. Meine eineinhalbjährige Tochter saß mit sechs Kindern, Turngeräten und Spielzeug in einem Kreis, rundherum saßen die Eltern. Wir durften uns bei einem Streit nicht einmischen. Es ist eine harte Lernerfahrung, vor allem, wenn sich ein Kind weh tut. Aber wir waren ja da und die Kinder konnten zur Mama kommen. In diesem Fall sollte man dem Schmerz des Kindes Worte geben. „Jetzt bist du da runtergefallen und das hat sehr weh getan. Jetzt musst du laut schreien.“ Das wirkt Wunder. Die Kinder beruhigen sich, lernen sich selbst zu regulieren und sehen, dass sie trotzdem ein Gegenüber haben. Sie lernen, ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Bei Erwachsenen funktioniert das genauso. Wenn jemand einen Tunnelblick hat, reicht oft ein: „Ich sehe, dass es dir gerade nicht gut geht. Kann ich etwas für dich tun?“ Es ist oft so simpel. Mensch sein ist viel simpler, als wir oft glauben.

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