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Der Hai von Messina hat Hunger

Wenn es derzeit einen Radsportler gibt, der in die Rubrik Klassementfahrer passt, dann ist es mit Sicherheit Vincenzo Nibali. Die Vuelta, die Spanien-Rundfahrt, hat der Italiener 2010 gewonnen – ohne einen einzigen Etappenerfolg. Zweiter war er dort im vergangenen Jahr, doch außer nach einem Mannschaftszeitfahren hat der "Hai von Messina" in Spanien noch nicht über einen Tagessieg jubeln dürfen.

Nun würde man Vincenzo Nibali Unrecht tun, würde man seine Karriere auf dieses kuriose Detail reduzieren: Natürlich hat der 29-Jährige schon enorme Erfolge gefeiert, so den Sieg beim Giro d’Italia 2013, und dort stand er auch nach zwei Etappen zuoberst auf dem Podest. Heuer aber schickt sich der 1,80 Meter große Süditaliener an, sein sportliches Schaffen zu krönen: Drei Tagessiege hat er heuer bislang bei der Tour de France geholt, den letzten auf der ersten Alpen-Etappe am Freitag, in der Gesamtwertung liegt er schon 4:37 Minuten vor dem ersten Verfolger, dem Spanier Alejandro Valverde.

"Ich bin vielleicht in der Form meines Lebens, weil ich in diesem Jahr einen guten Saisonaufbau hatte", sagt Nibali. "Ich habe zwar im Frühjahr nicht die großen Resultate erzielt, aber alles war auf das große Ziel Tour de France ausgerichtet."

Werdegang

Schon im Alter von 16 Jahren hat Nibali seine Heimatstadt Messina verlassen, um seine Karriere in der Toskana bei Carlo Franceschi voranzubringen. Das zahlte sich aus: 2002 holte er Bronze bei der Junioren-WM im Zeitfahren, 2004 legte er in der U-23-Klasse nach. 2005 unterschrieb er bei Fassa Bortolo seinen ersten Profivertrag, von 2006 bis 2012 fuhr er für Liquigas, seit vergangenem Jahr ist Nibali beim kasachischen Team Astana engagiert – und verdient nun kolportierte drei Millionen Euro pro Jahr, die er 2013 mit seinem Giro-Sieg mehr als gerechtfertigt hat.

Der zweite Vuelta-Sieg schien im letzten Herbst aufgelegt zu sein, allerdings pfuschte ein 41-jähriger (!) Amerikaner in die großen Pläne: Christopher Horner feierte im Spätherbst seiner Karriere den größten Erfolg derselben, suchte danach lange ein neues Team und fand es mit Lampre-Merida; nach 2708 Kilometern ist der inzwischen 42-Jährige auf den Alpenetappen im Gesamtklassement der Tour auf den Top 10 gefallen.

Vincenzo Nibali hingegen ist – wenn er nicht gerade das Gelbe Trikot über Frankreichs Straßen fährt – seit zwei Jahren in der Schweiz zu finden. Nicht nur, weil’s schön ist, wohnt er in Lugano, auch die Steuersätze sind im Tessin attraktiver als in Italien. Im Herbst 2012 hat Nibali seine Freundin Rachele geheiratet, und am 28. Februar des heurigen Jahres machte Emma Vittoria das Paar zur Familie.

Auch wenn die Dopingdebatte derzeit so weit aus der Berichterstattung rund um den Radsport verschwunden ist wie schon lange nicht mehr, geführt wird sie natürlich nach wie vor. Auch dem in Sachen unerlaubte Mittel und Methoden unauffälligen Vincenzo Nibali bleiben die Fragen nach den düsteren Jahren nicht erspart, was auch daran liegt, dass sein Teammanager bei Astana Alexandre Winokurow ist, der vor sieben Jahren als Blutdoper erwischt worden ist – bei der Tour de France übrigens.

Nibali hofft, dass der x-te Neuanfang dieses Mal ein echter ist: „In der Vergangenheit sind von vielen Fahrern viele Fehler gemacht worden, es ist gut, dass die Vergangenheit hinter uns liegt und wir mit einer neuen Generation nach vorne blicken können. Wir müssen den jungen Fahrern die Chance geben, zu zeigen, dass sie einen wirklichen Wechsel wollen.“