Sport

Der überlegene Querdenker

Als Model für die Modemarke G-Star hängt Magnus Carlsen als Poster in so manchem Mädchenzimmer; der Norweger ist topfit, spielt Fußball, Squash, Tennis und Tischtennis und ist ein guter Skifahrer. Der 22-Jährige war ein Wunderkind und ist mittlerweile ein Millionär. Carlsen ist Schachspieler.

Mit 13 Jahren, drei Monaten und 27 Tagen wurde er Großmeister; mit 19 war er die jüngste Nummer 1 der Weltrangliste; seine Elo-Zahl, die die Spielstärke angibt, betrug im Februar 2872 Punkte – noch nie hatte ein Schachspieler einen höheren Wert. Am vergangenen Wochenende gewann Carlsen in London das Ausscheidungsturnier für die Weltmeisterschaft. Im November wird er gegen den Inder Viswanathan Anand (43) um die Krone kämpfen. Der Spielort steht noch nicht fest.

Fans und Medien sind alarmiert, das WM-Duell wird ein Spektakel. Schon in London war Carlsen der Besuchermagnet. Fotoreporter, Fernsehanstalten und Radiosender interessierten sich vorrangig für das Schachgenie, dem so selten ein Lacher auskommt.

Verehrt

Als „Justin Bieber des Schach“ bezeichnen ihn englische Medien. In Norwegen ist er einer der größten Sportstars des Landes. Er selbst sieht sich eher als Kämpfer. „Ich bin ein völlig normaler Kerl“, sagte er einmal in einem Interview mit dem Spiegel. „Mein Vater ist wesentlich intelligenter als ich.“

Carlsens Gegner stammen vorwiegend aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion, durchliefen die russische Schach-Schule, wurden zu Könnern gemacht. Carlsen hat einen völlig anderen Background, eine schachbegeisterte Familie, mit der er bereits als Zwölfjähriger durch Europa tingelte, Turniere spielte – und gewann.

Als der frühere Weltmeister Garri Kasparow (49) im Jahr 2009 vorübergehend Carlsens Training übernahm, stellte er entsetzt fest, dass der junge Mann gar nicht wisse, wie man systematisch arbeitet. Das Talent seines Schützlings hielt Kasparow aber für einzigartig: „Wenn er einmal abtritt, wird er unser Spiel grundlegend verändert haben.“

Intuition

Im Gegensatz zu seinen Gegnern aus dem Osten verlässt sich Carlsen mehr auf seine Intuition, sein phänomenales Gedächtnis und seine analytische Gabe. Was den Norweger zudem auszeichnet, ist seine Kampfkraft. Viele sehen Schach als Spiel, für manche ist es Kunst, Wissenschaft oder Arbeit. Für Magnus Carlsen ist Schach Sport. „Ich bin jung, ich habe Energie, ich habe viel Kraft – und ich bin motiviert“, sagt der Absolvent einer Sportschule.

Auch in scheinbar ausgeglichenen Stellungen ringt Carlsen die Gegner nieder, vor allem, wenn eine Partie über sechs oder sieben Stunden geht – und damit auf die Kondition.

Groß ist die Hoffnung, dass Schach durch einen unkonventionellen Typen wie Carlsen zu einer Popularität verholfen wird wie vor 40 Jahren. Als sich Bobby Fischer (USA) und Boris Spasski (UdSSR) während des kalten Krieges heiße Duelle lieferten. Vielleicht kann schon das Match AnandCarlsen (in dem es um etwa eine Million Euro geht) Erinnerungen wecken. „Bis dahin ist es noch eine lange Zeit“, sagt Carlsen und weiß doch genau: „Das wird ein großes Event.“

Schach ist ein Spiel. Und Schach ist Sport und erfüllt entsprechende Kriterien. So müssen Spieler trainieren sowie Wettbewerbsbedingungen und Doping-Regeln einhalten, seitdem der österreichische Schachverband 2005 von der BSO aufgenommen wurde. Nach einer deutschen Studie ist die körperliche Belastung eines Schachspielers vergleichbar mit jener eines Sportschützen oder eines Stocksportlers.

„Man muss bedenken, dass man beim Schach viele Stunden lang hochkonzentriert sein muss“, sagt Robert Zsifkovits, der Vizepräsident des Österreichischen Schachbundes. „Deshalb sind die Top-Spieler durchwegs junge Leute. Weltmeister Anand ist mit seinen 43 Jahren schon ein echter Oldie.“ Dieser wurde in Indien bereits zum Sportler des Jahres gewählt, ebenso Anatoli Karpow und Garri Kasparow in Russland.

Mehrmals gab es schon Bemühungen, Schach als Disziplin bei den Olympischen Spielen einzuführen. Zwar blieben die Initiativen ohne Erfolg, allerdings hat das Internationale Olympische Komitee Schach als Sportart anerkannt. Der Weltschachverband FIDE veranstaltet alle zwei Jahre eine „Schacholympiade“.

In Österreich sind etwa 10.000 Spieler von 460 Vereinen in der Schach-Datenbank mit ihrer Spielstärke erfasst. Bester Profi des Landes ist der Kärntner Markus Ragger (25), die Nummer 78 der Weltrangliste.