Rugby-WM, Tag 32: Wales und Südafrika im Semifinale
Von Stefan Sigwarth
Nachdem sich am Samstag England und Neuseeland fürs Semifinale der Rugby-WM qualifiziert hatten, wollten am Sonntag Wales und Frankreich um nichts nachstehen. Der Wille war stark, die Nerven aber konnten da nicht so ganz mithalten - es entwickelte sich eine flotte, aber auch nervöse Partie.
Schon nach dem walisischen Kick-off leisteten sich die Dragons einen ersten Ballverlust und sahen sich gleich einmal unter Druck. Und wie: Sébastien Vahaamahina rollte über die rechte Seite und legte den Try zu Frankreichs 5:0 (6.), Romain Ntamack brachte die Conversion aber nicht ins Ziel. Aus französischer Sicht kein Problem: Virimi Vakatawa passte zu Ntamack, der zu Antoine Dupont und Charles Ollivon vollendete diese schöne Passstaffette zum 10:0. Jungstar Ntamack (20) erhöhte dieses Mal per Conversion auf 12:0 (10.).
Doch Wales wusste um die Schwächen der Franzosen bei flotten Gegenstößen: Der aufmerksame Aaron Wainwright (21) legte nach Ballverlust von Kapitän Guilhem Guirado seinen ersten Karriere-Try für Wales zum 5:12 (13.), Dan Biggar stellte auf 7:12 und verkürzte in der 20. Minute nach einem Penalty auf 10:12 (20.). Vahaamina hatte sich ein High Tackle gegen Jake Ball geleistet, Wales war wieder auf Augenhöhe.
Es blieb turbulent: Ross Moriarty, gerade erst für Josh Navidi ins Spiel gekommen, leistete sich in der 28. Minute in seiner ersten Aktion ein High Tackle gegen Gaël Fickou - Gelbe Karte, zehn Minuten Unterzahl für die Waliser. Und Vakatawa bestrafte die Dragons nach feinem Offload von Damian Penaud umgehend mit dem Try zum 17:10 (31.). Ntamack traf zum 19:10 ins Ziel, setzte in der 38. Minute allerdings einen Penalty-Kick an die Stange und musste wenig später mit Verdacht auf eine Kopfverletzung nach hartem Kontakt vom Feld.
Frankreich blieb auch nach dem Seitenwechsel offensiv, konnte aber nicht anschreiben, weil der eingetauschte Camille Lopez mit seinem Dropkick aus 30 Metern die Torstangen verfehlte. Und den nächsten Angriff stoppte Sébastien Vahaamahina - erst riss er im Gedränge in der walisischen Hälfte Wainwright mit dem Arm am Hals, dann knallte er dem Waliser den Ellbogen gegen den Kopf, eine klare Rote Karte in der 48. Minute.
Ein Weckruf für die Dragons, deren Angriffe aber noch nicht bis in die französische Malzone vordringen konnten, so mussten sie sich zunächst mit dem 13:19 durch einen Penalty-Kick von Dan Biggar begnügen. Die Bleus konterten mit Pick and Go in der walisischen 22-Meter-Zone, nach zwölf Phasen verlor Penaud an der rechten Seitenlinie nach Pass von Wakatawa den Ball nach vorn.
Ab der 58. Minute spielte Wales einige Minuten vor allem gegen den starken Maxime Médard, der ihre langen Bälle immer wieder abfing und zurückkickte und ihnen somit schon im Ansatz die Angriffe vermieste. 64. Minute: Wales mit Passspiel im Vorwärtsgang, bis sich der aufmerksame Yoann Huget einen Pass von George North griff. Es ging nun hin und her, die Fehlerquote auf beiden Seiten stieg, womit die Aktionen Stückwerk blieben. Wales hätte gern, doch die aufmerksame französische Defensive hatte die Partie im Griff.
In der 73. Minute kamen die Waliser immerhin bis an die Fünf-Meter-Zone der Bleus, George North verlor aber den Ball nach vorn, Scrum - und dann gelang ihnen doch der Try zum 18:19 durch Ross Moriarty (74.). Dan Biggar kickte zum 20:19. Und nun flatterten auch die Nerven von Maxime Médard: Einen Kick setzte der Routinier so weit, dass er hinter dem walisischen Malfeld vom Feld rollte, damit gab es Scrum auf der Mittellinie, den Franzosen lief die Zeit davon. Und nach 80:05 Minuten stand Wales im Semifinale.
Im letzten Viertelfinale wollten die erstaunlichen WM-Gastgeber nach Irland und Schottland auch Südafrika auf ihrer To-Do-Liste abhaken. Damit es nicht zu einfach wird, leistete sich Yu Tamura nach einem Scrum gleich einmal ein Schläfchen, verpasste das Tackle gegen Makazole Mapimpi an der Seitenlinie – und schon stand es 0:5 (5.), Handre Pollard vergab die Conversion. Japan fand nun allmählich in die Partie, konnte sich aber noch nicht entscheidend über das inzwischen bekannte flinke Passspiel vorarbeiten.
Dennoch ging es voran: Springbok Tendai Mtawarira sah nach einem regelwidrigen Tackling die Gelbe Karte (10.) und musste zehn Minuten zuschauen – er hatte seinen Gegner Pieter Labuschagne mit dem Kopf voran zu Boden gebracht, der daraufhin zur Untersuchung musste.
Südafrika sah sich zusehends unter Druck und hatte seine liebe Müh’ mit den flinken Händen, Füßen und Körpertäuschungen der Tapferen Kirschblüten, die sich in der gegnerischen Hälfte festsetzten und ihr brillantes Spiel zeigten. In der 19. Minute konnte Südafrika – von der Papierform her körperlich überlegen – im Scrum den Druck nicht halten und kassierte einen Penalty, Tamura kickte aus 26 Metern zum 3:5 zwischen die Stangen (20.).
Labuschagne durfte danach wieder mitspielen, das Head Injury Assessment durch einen offiziellen und einen Teamarzt hatte den Verdacht auf eine Kopfverletzung nicht bestätigt. Südafrika hatte inzwischen wieder 15 Mann auf dem Feld, arbeitete sich nach vorn, zeigte aber Nervosität, verlor Bälle und wurde zurückgedrängt.
Bis zur 29. Minute hatten die Gastgeber 81 Prozent Ballbesitz, ähnlich viel waren sie auch in Südafrikas Hälfte. Und es schien nur eine Frage der Zeit zu sein, wann sie endlich mit der Führung belohnt werden.
Als die Springboks nach einem Kick ins Aus endlich einmal in Japans 22-Meter-Zone wenigstens ein Line-out erzwungen hatten, schenkten sie den Gastgebern durch Körperkontakt in der Luft gleich den nächsten Penalty (32.). Lukhanyo Am versuchte ein Offload auf Mapimpi an der linken Seite, der Pass geriet so unglücklich, dass der Ball von Mapimpis Fuß ins Aus kullerte (34.). Und der Versuch eines Pick and Go endete mit einem Penalty wegen Behinderung (36.).
Viel Positives zeigten die Südafrikaner allenfalls in der Defensive, die sich inzwischen auf die flinken Gegner eingestellt hatte. Ein vermeintlicher Versuch in der Nachspielzeit fand keine Anerkennung, Damian De Allende war zuvor beim Tackling längst zu Boden gebracht, gab den Ball aber nicht frei und robbte stattdessen über die Mallinie – da hatte er wohl die Regeln, das Rugby Law, vergessen.
Südafrika begann nach der Pause stürmisch und kam in der 44. Minute zum Penalty durch Handre Pollard, der zum 8:3 kickte. Wenig später wurde Tamura ausgetauscht, der beileibe nicht seinen besten Tag erwischt hatte, und das Pendel schlug weiter zugunsten der Springboks aus. 49. Minute, Penalty-Kick durch Handre Pollard, 11:3. Und weil sie wesentlich früher und aggressiver attackierten, konnten die Tapferen Kirschblüten nun auch kaum mehr ihr Passspiel aufziehen.
Ohne Tempo konnten die Japaner ihre gefährlichen Flügel (Kotaro Matsushima!) nicht einsetzen, im direkten Duell zogen sie meist den Kürzeren, es wurde getauscht, um mit frischen Kräften vielleicht die Partie doch noch einmal zu wenden. Zumindest die Hoffnung blieb: Nach einem Fehler im Scrum vergab Handre Pollard einen Penalty aus 47 Metern (58.), der Acht-Punkte-Rückstand hatte weiter Bestand.
Das änderte sich in Minute 63, als Pollard knapp aber doch aus 34 Metern ins Ziel kickte, 3:14. Und es kam noch dicker, Faf de Klerk krönte zwei Minuten später seine Leistung mit dem Try zum 3:19, nachdem die Springboks zuvor im Paket übers halbe Spielfeld marschiert waren. Die Entscheidung. Japan fand nicht mehr statt, Pollard stellte per Conversion auf 3:21.
In der 69. Minute stellte Mapimpi mit seinem zweiten Try nach einem rasanten Gegenstoß über Pollard und Le Roux auf 3:26, Pollards folgender Kick ging am Ziel vorbei. Damit war auch das Ergebnis fixiert.
Was bleibt? Die Gastgeber haben – bis auf die zweite Halbzeit bei diesem Match – eine beeindruckende WM gespielt und eine ungeheure Begeisterung entfacht. Und man darf gespannt sein, wie sich ihr spektakuläres Spiel in den kommenden Jahren entwickelt und verbreitet. Und Südafrika dürfte mit Wales am kommenden Sonntag einige Freude haben.
Semifinale, Samstag, 10.00: England - Neuseeland. Sonntag, 10.00: Wales - Südafrika.