Sennas Tod: Newey gesteht Fehler
Von Florian Plavec
Fast 20 Jahre lang galt es als nahezu sicher, dass ein Bruch der Lenksäule verantwortlich war für Ayrton Sennas tödlichen Unfall am 1. Mai 1994. Doch nun gestand der damalige Williams-Chefdesigner Adrian Newey der Online-Ausgabe von auto motor und sport, dass wohl die kritische Aerodynamik des Williams FW16 Auslöser für die Katastrophe von Imola war. Der heutige Red-Bull-Motorsportingenieur sprach über Fehler bei der Konstruktion des Autos.
Der dreifache Weltmeister Ayrton Senna war 1994 zu Williams gewechselt, im Glauben, das beste Auto zu haben. Doch der Wagen machte Probleme, der Brasilianer klagte über Unter- und Übersteuern. "Ich habe mich bei der Aerodynamik des Autos verrechnet", sagte Newey. "Das Fenster an Bodenfreiheiten, in dem das Auto funktionierte, war zu klein. Wir hatten Mühe, eine einigermaßen akzeptable Bodenfreiheit zu definieren." Deshalb soll Senna in der welligen Tamburello-Kurve in Imola die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren haben.
Die problematische Aerodynamik des Williams war Newey bereits zuvor bei einem Test aufgefallen: "Ich stand an der Strecke und habe unser Auto beobachtet. Mir wurde sofort klar, was das Problem war: Die Seitenkästen waren zu lang."
Die Fahrer mit den meisten GP-Siegen
Zu wenig Zeit
Dadurch riss beim Einfedern des Autos vorne der Luftstrom im Diffusor ab. "Aus heutiger Sicht hört sich das lächerlich an", sagt Newey. "Aber wir hatten damals noch nicht die Werkzeuge, um das Problem vorher im Windkanal zu erkennen." Bis zum Rennen in Imola konnten die Seitenkästen am Williams nicht rechtzeitig verkürzt werden. Dass das falsch konstruierte Auto trotzdem in allen drei Rennen auf der Poleposition stand, habe man allein Senna zu verdanken: "Kein anderer Fahrer hätte das mit dem Auto geschafft."
Mitte April 1994 erfüllt sich Roland Ratzenberger einen seiner größten Träume: Der Salzburger kauft eine schmucke Wohnung im Stadtteil Maxglan. Der damals 33-Jährige kommt nur nicht mehr dazu, sie einzurichten. Am 30. April ist Ratzenberger tot.
Der Formel-1-Pilot verunglückt im Qualifying zum Großen Preis von San Marino in Imola. Sein Simtek-Ford kracht nach einem Bruch des Frontflügels bei einer Geschwindigkeit von rund 300 km/h in die Mauer. Der an die Unfallstelle herbeigeeilte Rennarzt Sid Watkins kann ihm nicht mehr helfen.
Allgegenwärtig
Es ist der tragische Beginn eines tragischen Rennwochenendes: Nur einen Tag später kommt der dreifache brasilianische Weltmeister Ayrton Senna ebenfalls ums Leben.
Heute leben die Eltern von Roland Ratzenberger, Margit und Rudolf, in dessen Wohnung. Ein Besuch zeigt, dass ihr Sohn allgegenwärtig ist. Fotos, Pokale und Modelle seiner Rennwagen zieren das Wohnzimmer. "Roland wird immer mit uns leben", sagt Vater Rudolf, der in der Pensionsversicherungsanstalt gearbeitet hatte und nun den Ruhestand genießt.
Der heute 81-Jährige ist im Stress, wie er sagt. Journalisten aus dem In- und Ausland rufen ihn an, um über seinen Sohn zu berichten. "Ich spreche gerne mit den Journalisten. Für mich ist das eine Art der Trauerbewältigung." Seine Frau und er besuchen regelmäßig das Grab auf dem Maxglaner Friedhof, das auch zwanzig Jahre nach dem Unfall Fans anzieht.
Als der in Obergnigl aufgewachsene Roland Ratzenberger seinen Eltern sagt, dass er Rennfahrer werden wolle, sind diese alles andere als begeistert. "Ich wollte, dass er die HTL absolviert und einen technischen Beruf erlernt. Er musste aber in der vierten Klasse die Schule verlassen", sagt Vater Rudolf.
Der Junior habe sich nicht von seiner Idee abbringen lassen. "Er war sehr ehrgeizig, zielstrebig und geschäftstüchtig. Er wollte sich von uns nicht helfen lassen."
Roland Ratzenberger arbeitet unter anderem als Instruktor und Mechaniker in der Rennfahrerschule von Walter Lechner. "Er schraubte oft bis zum Umfallen. Er nahm sich nicht einmal die Zeit, um etwas Vernünftiges zu essen", erinnert sich der Vater. In Italien lehrt Ratzenberger Bodyguards von reichen Leuten, Autos in Grenzsituationen zu beherrschen. Mit dem verdienten Geld finanziert er sich seine Leidenschaft: das Rennfahren.
Im Jahr 1980 macht Roland Ratzenberger das erste Mal auf sich aufmerksam. Der damals 20-Jährige gewinnt die Jim Russell Trophy. Drei Jahre später folgt der erste Sieg in der Formel Ford auf dem Nürburgring. 1986 gewinnt er als bisher einziger deutschsprachiger Rennfahrer beim Formel-Ford-Festival im englischen Brands Hatch. Seine Eltern verfolgen das Geschehen von Salzburg aus. "Ich war nur bei einem Rennen in der Formel Ford dabei", sagt der Vater.
1989 erfolgt der nächste Karriereschub: Roland Ratzenberger wird der erste europäische Werksfahrer bei Toyota. Er pendelt zwischen Japan und Europa, in einer japanischen Bar kommt es zu einer brenzligen Situation: Ein Mann bedroht Ratzenbergers Rennfahrerkollegen Heinz-Harald Frentzen mit einem Messer. Der Salzburger entschärft die gefährliche Angelegenheit.
Erfüllung
Seinen großen Plan von der Formel-1-Karriere hat er damals fast aufgegeben, schließlich ist er bereits über 30 Jahre alt. Erst über Beziehungen zu Barbara Behlau, der Inhaberin einer Kultur- und Sportagentur in Monaco, erfüllt sich sein Traum: Sie finanziert ihm den Formel-1-Einstieg beim Team Simtek – vorerst für fünf Rennen in der Saison 1994. Im unterlegenen Wagen des englischen Rennstalls verpasst er die Qualifikation für das Rennen im brasilianischen Interlagos. Beim zweiten Rennen in Japan schafft Ratzenberger den Sprung ins Starterfeld – und wird Elfter.
Das dritte Rennen findet in Imola statt, die fatalen Ereignisse nehmen ihren Lauf. "Ich habe mich immer damit getröstet, dass Roland bei dem gestorben ist, was er am liebsten gemacht hat. Meine Frau hat das Ganze mehr mitgenommen", sagt Vater Rudolf.
Ironie des Schicksals: Auf dem Toyota, mit dem Roland Ratzenberger beim 24-Stunden-Rennen in Le Mans hätte starten sollen, steht noch sein Name. Ersatzfahrer ist Jeff Krosnoff. Der Amerikaner wird beim Langstrecken-Klassiker Zweiter. Zwei Jahre später verunglückt auch er auf der Rennstrecke tödlich.