Morgenstern: Weltmeister im Zweifeln
Wie ein Weltmeister sieht er ja eigentlich nicht aus. Vielmehr gleicht Thomas Morgenstern dieser Tage einem Häufchen Elend. Mit seiner rinnenden Nase und seinen glasigen Augen, mit denen er in Val di Fiemme durch die Gegend rennt.
Reißleine
Es war Mitte Jänner, als der 26-Jährige die Reißleine zog und freiwillig einen Abflug vom Weltcup machte. Seine Akkus waren leer, Form und Freude verflogen, sein Körper schrie förmlich nach einer Auszeit. "Es war wichtig, dass ich eine Auszeit genommen habe", erklärt Thomas Morgenstern, "ich habe diese Zeit benötigt, um wieder zur Ruhe zu finden."
Ruhe – das war nur allzu oft ein Fremdwort für das Energiebündel aus Lieserbrücke. Lange Zeit seiner Karriere war dieser Thomas Morgenstern ein Getriebener, seine Erfolgsbesessenheit war fast krankhaft, "ich war früher oft übermotiviert", erinnert sich der 26-Jährige, der in diesem Winter die Alarmzeichen richtig deutete.
Hadern und Kopfzerbrechen
"Ich war in Engelberg krank und konnte mich nicht wirklich erholen. Irgendwann hat es mich körperlich zusammengedreht", berichtet der zweifache Weltcup-Gesamtsieger. "Das hat das Fass zum Überlaufen gebracht."
Formtief
Dabei hatte die Saison so gut begonnen. Morgenstern war sogar im Trikot des Weltcupführenden von der ersten Station in Lillehammer abgereist, doch dann begann der Abwärtstrend – und damit das Hadern und Kopfzerbrechen. "Es ist dann sportlich nicht mehr wirklich berauschend gelaufen", erinnert sich der Österreicher, "das war der Grund, warum ich aus dem Weltcup ausgestiegen bin."
Fixplatz
Sonst wäre es ihm möglicherweise wie seinem Teamkollegen Andreas Kofler ergangen, der nach zwei Saisonsiegen ebenfalls in ein hartnäckiges Formtief gefallen war. Der Tiroler, 2011 in Oslo immerhin noch hinter Morgenstern Vizeweltmeister auf der Normalschanze, scheiterte schon in der teaminternen Qualifikation und muss beim ersten WM-Bewerb zuschauen.
Zumindest diese Enttäuschung bleibt Thomas Morgenstern erspart. Aber dafür hat er nach seiner wochenlangen Wettkampfpause plötzlich ein anderes Problem. "Ich weiß nicht, wo ich stehe. Es ist, als würde ich in eine neue Saison starten", berichtet der Routinier.
Vaterglück
Trotzdem übt sich Thomas Morgenstern in Zweckoptimismus – etwas anderes bleibt ihm in seiner Situation auch nicht übrig. "Ich weiß, dass ich nicht der Topfavorit bin, aber bei einer WM muss man sich eine Medaille zum Ziel setzen."
Bei dieser Mission vertraut er seiner jahrelangen Wettkampf-Erfahrung – vor allem aber dem privaten Aufwind durch die Geburt von Töchterchen Lilly. "An ihr sehe ich, was wirklich wichtig ist. Lilly zaubert mir immer ein Lächeln ins Gesicht."
Es ist nicht wirklich leicht, ein freies Plätzchen im österreichischen Adler-Horst zu ergattern. Die rot-weiß-roten Super-Adler, wie sich die fünf heimischen Top-Springer seit Jahren nennen, verteidigten ihr Revier in den vergangenen Wintern unerbittlich gegen Eindringlinge und ließen erst gar keine potenziellen Nachfolger aufkommen.
Gregor Schlierenzauer, Thomas Morgenstern, Andreas Kofler, Martin Koch und Wolfgang Loitzl treten als Super-Adler nicht nur seit Jahren in der TV-Werbung gemeinsam in Erscheinung, dieses Quintett hatte seit 2007 bei den Großereignissen auch stets die Startplätze sicher und gewann auch alle Medaillen Österreich.
Hattrick
Die WM in Val die Fiemme erlebt nun eine Premiere und einen ersten leichten Generationswechsel. Durch das Fehlen von Koch, der überhaupt zu Hause bleiben musste, und Kofler, der heute auf der Normalschanze zuschauen muss, wurden die Super-Adler gerupft. Dafür dürfen auf dem kleinen WM-Bakken heute Manuel Fettner (27) und Stefan Kraft (19) ihr WM-Debüt geben. "Ich glaube, es wird ganz lustig", meint Team-Kücken Kraft. "Wenn ich schon die Chance bekomme, will ich sie auch nützen."
Für Österreich geht’s in Val di Fiemme auch um den WM-Hattrick auf der Normalschanze. 2009 in Liberec hatte Wolfgang Loitzl gewonnen, 2011 in Oslo Thomas Morgenstern.