Eine Premiere mit 27 Jahren
Mit Tränen in den Augen stand Michaela Kirchgasser im Ziel. Schon wieder. Das hatte man bei der Teamweltmeisterin doch schon einmal gesehen, vor einer Woche nach der Superkombination. Aber der Unterschied hätte nicht größer sein können, denn am Samstag trieb der 27-jährigen Salzburgerin nicht der Ärger über den vierten Platz die Tränen in die Augen. Die Freude über die Silbermedaille im Slalom hatte die aufgeweckte Filzmooserin überwältigt.
„Das ist unglaublich, die Erleichterung ist riesengroß. Ich glaube, das ist der schönste Skitag in meinem Leben“, sagte Kirchgasser, nachdem sie sich etwas beruhigt hatte und Kolleginnen, Trainer und Familie geherzt waren. Nach drei WM-Medaillen in Teambewerben wurde die Salzburgerin endlich auch als Einzelkämpferin belohnt. Nur Mikaela Shiffrin (USA) war im letzten Damen-Bewerb in Schladming schneller. Frida Hansdotter (Sd) landete nach Halbzeitführung auf Rang drei.
Das Jubeln im Zielraum hatte Michaela Kirchgasser bereits im Vorjahr geübt: Damals siegte sie beim Saisonfinale auf der Planai. Selbst nach kleinen Fehlern im ersten Lauf und Zwischenrang sechs ließ sie nichts über ihren Lieblingshang kommen: „Die Fehler sind leider schon von mir ausgegangen“, sagte Kirchgasser zur Halbzeit, lachte und fügte hinzu: „Leichte Hackler brauch’ ich wohl, damit ich schnell bin. Aber die Position ist ideal zum Angreifen.“ Sie sollte recht behalten. Zum ersten Mal stand die Rennläuferin, die sich in den letzten Jahren mitunter durch fehlendes Selbstvertrauen selbst im Weg gestanden war, bei einem Großereignis nicht knapp neben dem Siegestreppchen, sondern schaffte den Sprung unter die Top 3.
Geglücktes Comeback
Eine zweite Österreicherin stand am Samstag im Fokus, auch wenn sie keine Medaille geholt hat: Marlies Schild. Die entthronte Slalom-Weltmeisterin bestritt nach ihrer Knieverletzung (Innenbandriss) und fast zweimonatiger Pause ihr erstes Rennen. Mit Erfolg: Als Neunte war sie die zweitbeste Österreicherin im Slalom-Quintett. „Das Knie hat gut gehalten, aber das letzte kleine Bisserl fehlt schon noch“, sagte die Salzburgerin, die dennoch strahlte. Ihre jüngere Schwester Bernadette verbesserte sich durch eine guten zweiten Lauf noch von Rang 20 auf Platz zwölf.
Düsterer war die Miene von Kathrin Zettel (10.), die schlaflose Nächte hinter sich hatte: „Ich bin an meine Energiereserven gestoßen.“ Auch Nicole Hosp war beim letzten WM-Start nicht im Vollbesitz ihrer körperlichen Kräfte, die Grippewelle hatte auch vor der zweifachen Medaillengewinnerin aus Tirol (Superkombi, Teambewerb) nicht halt gemacht. „Ich bin gestern noch krank im Bett gelegen, da war es schwer, heute die Spannung aufrechtzuerhalten.“
Skifahren ist für mich wie Tanzen“, sagt Mikaela Shiffrin. „Oder wie Fliegen. Eigentlich fehlen mir die Worte, um es zu beschreiben“, fügt die 17-jährige Amerikanerin hinzu, die soeben Weltmeisterin im Slalom geworden ist. Ruhig wirkt die junge Dame, die da oben in der Mitte des großen Podiums sitzt und sich den Fragen der Weltpresse stellt.
Erwachsen für ihr Alter. Vielleicht auch ein wenig müde nach der Aufregung und den großen Emotionen, die Shiffrin im Zielraum übermannt hatten. Schluchzend war die frischgekürte Slalom-Königin im Schladminger Schnee gestanden und hatte mit der zweitplatzierten Michaela Kirchgasser um die Wette geweint. Freudentränen, versteht sich.
„Ich kann nicht beschreiben, was mir da durch den Kopf gegangen ist“, sagt Shiffrin. „Ich mache einfach, was ich mache.“ Das Ausnahmetalent aus Amerika lag schon nach dem ersten Lauf auf Rang drei, war damit aber nicht zufrieden. „Ich weiß auch nicht, meine Muskeln haben sich in der Früh müde angefühlt, irgendwie konnte ich meine Beine nicht schnell genug bewegen“, erzählt die Weltmeisterin. Eine heiße Schokolade in der Pause hat der jungen Dame, die stets von ihrer Mutter Eileen im Skiweltcup begleitet wird, aber wieder flinke Beine gemacht. Der Ehrgeiz von Mikaela Shiffrin erinnert irgendwie an Landsfrau Lindsey Vonn. Nicht zuletzt, wenn die 17-Jährige davon spricht, sich am liebsten mit den männlichen Kollegen zu messen: „Das ist ein ganz anderer Level. Mein größtes Ziel ist es immer, die Männer zu schlagen“, sagt die Weltmeisterin, lacht verschmitzt und ist plötzlich wieder Kind.
Erfolgreichstes Team
Nach der vierten Goldmedaille werden die USA auch am Ende der Bewerbe die erfolgreichste Nation der WM bleiben. Nicht zuletzt dank Ted Ligety, der in Schladming nicht müde wird, sich zu wiederholen. Der Dreifach-Weltmeister in Super-G, Superkombi und Riesentorlauf ist der Held der Ski-WM 2013.
Ein König, der auch auf die hundertste Journalistenfrage noch eine freundliche Antwort gibt. Ein Dominator, der die Ski-Fans beeindruckt und ein Vorbild für die Konkurrenten ist. „Wahnsinn! Es ist genial, wie er die WM gestaltet. Nach den Erfolgen wird das im Slalom einer, auf den man aufpassen muss“, warnt Österreichs Herren-Chef Mathias Berthold.
Mr. Schladming gibt für seinen letzten WM-Auftritt (10 und 13.30 Uhr) aber Entwarnung: „Mit dem Tempo von Leuten wie Hirscher oder Mölgg kann ich nicht mithalten.“
Es ist praktisch unmöglich, "Kirchi" nicht zu mögen. Lustig, freundlich und immer einen flotten Spruch auf den Lippen: So präsentiert sich Michaela Kirchgasser seit Jahren im alpinen Skizirkus. Aber so wie an diesem Samstag strahlte die 27-jährige Skirennläuferin aus Salzburg aber noch nie. Silber im Slalom bedeutete nach ihren drei Medaillen in Teambewerben endlich die erste Einzelplakette für die Filzmooserin. Damit war sie endlich auch alleine "wie im Himmel".
Bereits als Dreijährige hat Kirchgasser mit dem Skifahren begonnen, mit fünf wurde sie Kindergartenmeisterin und stellte erstmals ihr Talent unter Beweis. Am 9. Dezember 2001 hatte die Schladming-Schülerin und HAK-Maturantin in Sestriere als Salzburger Landeskader-Fahrerin ihren ersten Weltcup-Einsatz, mit Startnummer 77 wurde sie im Slalom 17. Die 16-Jährige rutschte ins Weltcup-Team und ließ in Lienz mit Startnummer 70 den 14. Platz folgen.
Premiere
Bei den Olympischen Spielen 2006 in Turin/Sestriere war die nach außen hin stets lustige, aber gleichzeitig sehr sensible Marketenderin der Trachtenkapelle Filzmoos bereits sehr nahe dran an den Medaillenrängen. Platz fünf im Slalom und sechs in der Kombination konnten sich sehen lassen. Ein Jahr später schaffte sie innerhalb einer Woche nicht nur mit Team-Gold bei der WM 2007 ihren ersten Medaillengewinn, sondern sechs Tage später im Riesentorlauf in Spanien auch den ersten Weltcupsieg.
Allerdings musste die Junioren-Weltmeisterin von 2004 lange warten, ehe es mit Erfolg Nummer zwei klappte. Zwar war sie 2011 auch beim Silber-Gewinn der ÖSV-Truppe beim erstmals im Parallel-K.o.-System ausgetragenen WM-Teambewerb in Garmisch-Partenkirchen mit dabei. Aber erst fünf Jahre nach ihrem Premierenerfolg gelang der konstanten Platzfahrerin im Jänner 2012 in Kranjska Gora dann endlich auch ein Weltcup-Sieg im Slalom.
Erfolgreichster Winter
Der Winter vor der Heim-WM wurde gleich auch Kirchgassers bisher erfolgreichster. Denn beim Finale in Schladming legte die Atomic-Langzeit-Pilotin mit einem weiteren Slalomsieg nach. Als Gewinnerin der WM-Generalprobe machte sie damals klar, dass auch elf Monate später bei den Titelkämpfen mit ihr zu rechnen sein wird.
Und Kirchgasser hielt Wort. Vier Tage, nachdem sie auf der Planai entscheidend zum Team-Gold beigetragen hatte, holte sich die zum bereits fünften Mal für Weltmeisterschaften nominierte Salzburgerin in Schladming endlich auch ihre erste Einzelmedaille.
Geboren am 18. März 1985 in Schwarzach/SalzburgWohnort: Filzmoos/SalzburgGröße/Gewicht: 1,67 m/64 kgFamilienstand: ledigSki: AtomicSchuhe: Atomic
Verein: Union Sportclub Raika FilzmoosHobbys: Lesen, Laufen, Schwimmen, Wandern, Klettern, Trachtenmusikkapelle Filzmoos Homepage: www.kirchi.com
Größte Erfolge:Olympia: Fünfte Slalom und Sechste Kombination 2006 Turin Neunte Super-Kombination 2010 Whistler/Vancouver
WM (4 Medaillen/2 Gold/2 Silber): Gold Teambewerb 2013 Schladming Gold Teambewerb, Vierte RTL und Neunte Slalom 2007 Aare Silber Slalom 2013 Schladming Silber Teambewerb 2011 Garmisch Vierte Super-Kombination 2013 Schladming Fünfte Riesentorlauf 2009 Val d'Isere Teilnahmen 2007, 2009, 2011, 2013
Junioren-WM: Gold Slalom und Silber Kombination 2004 Serre Chevalier Bronze Riesentorlauf 2005 Bardonecchia
Weltcup: 3 Siege (2 Slaloms: Kranjska Gora und Schladming 2012 1 Riesentorlauf: Sierra Nevada 2007) und 9 weitere Podestplätze
Geboren am 13. März 1995 in Vail/ColoradoWohnort: Eagle-Vail/ColoradoGröße/Gewicht: 1,74 m/65 kgFamilienstand: ledigSki: AtomicSchuhe: AtomicVerein: Burke Mountain AcademyHobbys: Tennis, Fußball, Lesen, Film
Größte Erfolge:WM: Gold Slalom und Platz sechs Riesentorlauf 2013 SchladmingWeltcup: 3 Siege (alle im Slalom: Aare 2012, Zagreb und Flachau 2013) und 3 weitere PodestplätzeJunioren-WM: Bronze Slalom 2011 Crans Montana
Gold (8)
Jahr | Ort | Name |
1933 | Innsbruck | Inge Wersin-Lantschner |
1936 | Innsbruck | Gerda Paumgarten |
1950 | Aspen | Dagmar Rom |
1954 | Aare | Trude Klecker |
1962 | Chamonix | Marianne Jahn |
1978 | Garmisch | Lea Sölkner |
1993 | Morioka | Karin Buder |
2011 | Garmisch | Marlies Schild |
Silber (9)
Jahr | Ort | Name |
1931 | Mürren | Inge Lantscher |
1950 | Aspen | Erika Mahringer |
1956 | Cortina | Regina Schöpf |
1958 | Badgastein | Putzi Frandl |
1987 | Crans Montana | Roswitha Steiner |
2003 | St. Moritz | Marlies Schild |
2007 | Aare | Marlies Schild |
2011 | Garmisch | Kathrin Zettel |
2013 | Schladming | Michaela Kirchgasser |
Bronze (7)
Jahr | Ort | Name |
1936 | Innsbruck | Grete Weikert |
1948 | St. Moritz | Erika Mahringer |
1962 | Chamonix | Erika Netzer |
1978 | Garmisch | Monika Kaserer |
1991 | Saalbach | Ingrid Salvenmoser |
1993 | Morioka | Elfi Eder |
2003 | St. Moritz | Nicole Hosp |
Peter Schröcksnadel (ÖSV-Präsident): "Jetzt sind die angestrebten sechs Medaillen in der Tasche. Ich habe immer gesagt, dass es daheim sehr, sehr schwierig wird. Der Druck ist halt da. Aber auch für die anderen wie Svindal oder Maze. Die spüren das genauso, weil sie bei uns in Österreich wie Helden gefeiert werden. Für die Kirchi war es ideal, dass sie nach dem ersten Durchgang Sechste war. Wenn sie weiter vorne dabei ist, hat sie nämlich immer Angst zu verlieren. Morgen im Herren-Slalom geht's noch einmal richtig auf, da wird's sehr emotional werden."
Herbert Mandl (Damen-Cheftrainer): "Die Michi (Kirchgasser, Anm.) hat einen super zweiten Lauf hingelegt. Ich habe ihr das zugetraut, vor allem aus dieser Position nach dem ersten Durchgang. Für sie ist es besser, wenn sie aus dem Hinterhalt angreifen kann. Die Piste hätte ein bisschen härter sein können, aber im Großen und Ganzen war es ein sehr guter Slalom. Es schaut so aus, als ob es meine letzte WM als Damen-Cheftrainer gewesen ist. Ich werde die Ski Austria Academy St. Christoph übernehmen, Werner Wörndle geht in Pension. Dadurch muss ich weniger reisen und kann mehr bei meiner Familie sein. Das ist eine sehr reizvolle Aufgabe, ich kann zur Nachwuchsarbeit viel beitragen. Wer mein Nachfolger wird, ist noch nicht entschieden."
Mikaela Shiffrin (USA/Gold): "Ich habe das noch nicht realisiert und weiß nicht, ob ich es jemals realisieren werde. Im ersten Lauf war ich zwar solide unterwegs, konnte aber nicht mein ganzes Potenzial abrufen, meine Beine waren schwer. Im zweiten Lauf hat es besser funktioniert. Ich war schon etwas nervös vor dem Rennen."
Michaela Kirchgasser (AUT/Silber): "Ich bin so froh, es ist einfach so geil: Bei den letzten Läuferinnen - ich bin da gestanden und habe gedacht: 'Alles, nur nicht wieder Vierte.' Im Moment geht alles noch ein bisschen an mir vorbei. Im zweiten Lauf habe ich voll riskiert und bin dafür belohnt worden."
Frida Hansdotter (SWE/Bronze): "Ich bin sehr glücklich mit dem dritten Platz und der Medaille. Ich habe zwei gute Läufe gezeigt."
Marlies Schild (AUT/9.): "Ich bin im Training besser gefahren als heute. Rennen zu fahren, ist eben etwas anderes. Gratulation an die Siegerin, ich werde weiterkämpfen. Das Problem war, dass ich das letzte Risiko, schnell zu sein, nicht eingehen konnte. Aber Neunte zu werden ist besser, als auf der Tribüne zu sitzen und zuzuschauen. Ob ich die letzten Saisonrennen fahren werde, weiß ich noch nicht."
Kathrin Zettel (AUT/10.): "Es geht mir jetzt zwar schon besser, aber mit der Kraft war es nicht perfekt. Es war nicht mehr drin für mich. Es tut ein bisschen weh, aber es nützt auch nichts. Jetzt fahre ich halt ohne Medaille aus Schladming heim."
Bernadette Schild (AUT/12.): "Vor allem im Mittelteil war es ein richtig cooles Gefühl. Ich habe gemerkt, es geht, es fühlt sich leicht an."
Nicole Hosp (AUT/15.): "Ich habe im Flachen noch einmal alles riskiert und dabei leider einen Fehler gemacht. Aber die WM war ein großer Erfolg für mich, ich komme mit zwei Medaillen nach Hause."