Sport/Fußball

„Wie eine Gewaltsekte“

Adelheid Kastner ist Leiterin der Abteilung für Psychiatrie mit forensischem Schwerpunkt (Betreuung im Straf- und Maßnahmenvollzug) an der Linzer Landesnervenklinik Wagner-Jauregg. Kastner zählt zu den anerkanntesten Gerichtsgutachtern in Österreich. Sie untersuchte zum Beispiel „Inzest-Vater" Josef Fritzl aus Amstetten oder die mutmaßliche Doppelmörderin Estibaliz C. Im Interview mit dem KURIER   analysiert Psychiaterin Kastner das Thema  „Gewalt im Fußball".

KURIER: Ausschreitungen auf Fußballplätzen sind an der Tagesordnung, mittlerweile auch in Oberösterreich.  Wie kann man die Gewalt in den Stadien in den Griff bekommen, Frau Dr. Kastner?
Adelheid Kastner: Ich glaube, das ist nicht so einfach. Man muss differenzieren. Es gibt zum einen professionelle Fußballrowdys, die glauben, sich in der Anonymität ausleben zu können. Sie gehen hin, um Krawall zu machen.

Warum gehen diese Leute gerade  auf Fußballplätze, und nicht woanders hin?
Sie finden dort eine ideale Situation vor, eine große Menschenansammlung. Es gibt  genügend potenzielle Kontrahenten. Darum gehen sie nicht in die Oper.

Sie haben gesagt, man müsse differenzieren?
Ja, denn es gibt zum anderen auch die Hooligan-Szene. Das sind amtsbekannte Personen. Die werden überwacht, treffen sich mit Gleichgesinnten und führen dann einen Kleinkrieg, üben Kampfhandlungen aus.

Das machen die von Ihnen als professionelle FußballRowdys bezeichnete Personen doch auch, oder?
Sie sind aber im Gegensatz zur Hooligan-Szene strukturlos. Hooligans haben einen Kodex, nach dem  sie leben. Bei der anderen Gruppe handelt es sich um junge Männer, die keine andere Möglichkeit haben, als auf dem Fußballplatz ihre Aggressionen abzubauen.

Das sind vor allem Personen, die wenig gebildet sind.
Ich sage mal so: Ein intelligenter Mensch würde das eigentlich nicht tun.

Warum sind vorwiegend junge Leute bei Gewaltaktionen im Fußball beteiligt?
Junge Männer haben eine Aggression in sich, das ist ganz normal. Bis vor 40, 50 Jahren haben sie sich bei Wirtshausraufereien ausgelebt oder bei  Schlägereien im Rahmen von Zeltfesten. Diese Rituale gibt es heute nicht mehr, wir haben sie abgeschafft, sie sind verpönt, gelten als unzivilisiert. Bei jeder kleinen Rauferei taucht die Polizei auf. Junge Männer haben  das Bedürfnis, sich mit anderen zu messen.  Es kann nicht ein jeder Marathonläufer werden.  Das Ausleben  findet nun halt auf den Fußballplätzen statt.

Und wenn diese Leute älter werden, hören sie damit auf?
Ja, im Normalfall schon – wenn sie reifer werden und ihren Platz in der Gesellschaft gefunden haben. Viele junge Rowdys werden später keine Schläger. Ein kleiner Prozentsatz bleibt hingegen aggressiv, der hat ganz klar eine Störung.

Wie beurteilen Sie die Hooligan-Szene?
Sie ist  für mich eine Art Gewaltsekte, vergleichbar mit den Motorradklubs. Das sind Männerbünde, die nach eigenen Regeln leben. Die haben eben Nachahmer gefunden, Rowdys, die sich auch auf den Fußballplätzen austoben.

Müsste man nicht härter gegen die Chaoten im Fußball vorgehen?
In Deutschland  werden  Hooligans von Extraeinheiten der Polizei begleitet, die sind bei Spielen nie alleine unterwegs. Es ist gelungen, diese Leute vom Fußballplatz wegzubringen. Die treffen sich jetzt außerhalb, auf Parkplätzen, um ihre Handlungen zu setzen. Man müsste auch in Österreich  rigider kontrollieren.

Gehen die Vereine  in Österreich zu mild mit „ihren" Hardcore-Fans um?
Jeder Klub, der öffentlich anerkannt werden will, muss sich klar von solchen Fans distanzieren. Kein Verein hat etwas davon, mit solchen Leuten in Verbindung gebracht zu werden.

Sind Sie eigentlich selbst ein Fußball-Fan?
Ich schaue mir gelegentlich Spiele im Fernsehen an. Mir gefällt die Eleganz, mit der mehrere Leute zusammenspielen, ich kann dem etwas abgewinnen. Die Mischung aus Kraft, Taktik und Ästhetik in diesem Sport fasziniert mich. Aber ich bin kein Fan einer bestimmten Mannschaft. Mir gefällt jenes Team besser, das schöner spielt.

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