Sport/Fußball

Schulte: „Rapid war als ganzer Verein vergiftet“

Heute sitzt Helmut Schulte beim Spiel gegen Wiener Neustadt (19 Uhr) zum letzten Mal als Sportdirektor im Hanappi-Stadion. Bevor der 56-jährige Deutsche nach Düsseldorf wechselt, lässt er im Interview sein turbulentes Jahr bei Rapid Revue passieren – in aller Offenheit. Nur über seinen Nachfolger (Andreas Müller und ein zweiter Kandidat sind im Finale) spricht Schulte nicht.

KURIER: Sie bezeichnen sich als Fußball-Romantiker. Wie passt das zu Düsseldorf und einer Liga, in der mehr bezahlt wird?

Helmut Schulte: Entscheidend waren menschlich-romantische Gefühle: Ich gehe dorthin zurück, wo ich herkomme. Und dann finde ich die sportliche Herausforderung um eine Spur reizvoller.

Warum haben Sie so lange mit sich gerungen?

Unterschrieben wurde der Vertrag erst bei der Veröffentlichung meines Abgangs. Davor habe ich mir alle Vor- und Nachteile klargemacht. Das war eine echt enge Kiste.

Was wird Ihnen an Wien fehlen?

Die Großartigkeit dieser Stadt. So schöne Bauwerke habe ich noch nie gesehen. Ich bin ja in Hamburg verliebt, aber bei Nacht ist Wien noch genialer.

Zu Wien passt auch, dass Sie nun die besten Kritiken bekommen: Das passiert, wenn man tot ist, oder, so wie Sie, weggeht.

Ja, eine österreichische Freundin hat mir schon erklärt, dass du in Wien am beliebtesten bist, wenn du nicht mehr da bist. Ich hab’ meiner Frau gesagt, sie soll mir Bleischuhe kaufen, damit ich nicht zu schweben beginne durch die viele Zuneigung, die ich jetzt bekomme.

Was hat Düsseldorf, was Rapid nicht hat?

Ein voll funktionsfähiges, modernes, großes Stadion. Dazu kommt das Potenzial, das da ist und ich nutzen kann, weil ich den deutschen Fußball besser kenne als den österreichischen.

Was konnten Sie bei Rapid in einem Jahr nicht fertigbringen?

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Die Scouting-Abteilung neu aufzustellen und zu optimieren. Und den Kader so zu entwickeln, dass den Herausforderungen noch besser entsprochen werden kann.

Wo wird Rapid 2015 stehen?

Auf Platz zwei hinter Salzburg, nach einer Überwinterung im Europacup. Und in Hütteldorf werden die Bagger fahren, weil gerade das neue Stadion entsteht.

Wovon haben Sie sich bei Rapid überraschen lassen?

Mein Plan zu Jahresbeginn war: Ich stabilisiere den Trainer und die Mannschaft so, dass Erfolge wie der Vizemeistertitel oder der Europa-League-Einzug 2012 auch wieder als Erfolge wahrgenommen werden. Dieses Quälende, was Rapid ausstrahlte, sollte weggehen. Das hat nicht funktioniert, weil ich die Lage unterschätzt habe. Ich nehme daraus eine Lehre mit nach Düsseldorf.

Und zwar?

Wenn du neu bist, neigst du zu übertriebenem Optimismus. Dabei müsstest du noch genauer zuhören, bevor du so viele Entscheidungen triffst, wie ich das gleich zu tun hatte. Ich habe nicht alle Probleme erkannt, vielleicht wollte ich sie auch nicht sehen. Erst als der Schnee geschmolzen ist, kam die Kacke zum Vorschein.

Wie hat sich Rapid im Frühjahr für Sie angefühlt?

Rapid war als ganzer Verein vergiftet. Ich wollte die schlechte Atmosphäre aus dem Stadion vertreiben. Da war ich von St. Pauli, wo es nie Stress gab, verwöhnt. Das ist mit meiner Quatscherei nach hinten losgegangen.

Sie meinen den von den Fans missverstandenen Spruch über die Unterstützung im Stadion ...

... und rausgekommen ist „Schulte zurück an die Waterkant“. Das war ein Missverständnis, meine Lehre lautete: Rapid ist ohne Helmut Schulte 114 Jahre alt geworden. Ich als Neuer kann doch nicht so wie bei St. Pauli für alles die Verantwortung übernehmen. Also konzentriere ich mich auf das, wofür ich geholt wurde: Die Verantwortung für sportliche Belange. Ab da ist es Rapid und mir viel besser gegangen.

Wie sind Sie persönlich mit der Kritik der Fans umgegangen?

Ich habe mich unverschuldet in ein Mahlwerk geworfen gefühlt. Schlimm war, als aus Deutschland Anrufe kamen: Leute, die mich kennen, konnten sich nicht vorstellen, dass tatsächlich „Schulte raus“ gebrüllt wird. Jetzt kann ich’s sagen: Da war mein Rücktritt nahe. Es hat nicht viel gefehlt und ich wäre im April im Flieger nach Deutschland gesessen.

Wie fühlt sich Rapid jetzt an?

Ich freue mich total, dass die Atmosphäre im Stadion wieder passt. Es ist für die vielen jungen Spieler unglaublich wichtig, dass sie unterstützt werden, auch wenn sie mal versagen. Und: Die bleierne Zeit ist vorbei. Viele im Klub haben zu mir gesagt, wir erleben gerade das schlimmste Jahr überhaupt. Es gab so viele Brandherde, auch angefacht durch den Misserfolg. Man wollte was ändern, aber es ging nicht. Jetzt kann endlich Ruhe in diesen Verein einkehren.

Werten Sie es als persönliche Auszeichnung, dass Sie noch Ihren Nachfolger mitaussuchen?

Ich leiste mir diese Egomanie und sage: Ja, das ist eine Auszeichnung, die mich sehr stolz macht. Mehr Vertrauen geht ja gar nicht.

Sie lassen Journalisten nie Infos zukommen, dementieren Gerüchte aber auch grundsätzlich nicht. Haben Sie das immer schon so gehalten? Oder durch Ihre Zeit als Journalist gelernt?

Ich als spröder Sauerländer rede nicht gerne über ungelegte Eier. Aber das ist auch ein Produkt meiner Erfahrungen. Ich weiß, dass ich damit langfristig bei Journalisten höheres Ansehen genieße als jene Kollegen, die dem einen Reporter was stecken und andere deshalb anlügen müssen. Vor solchen Menschen verlieren Journalisten mit der Dauer ja den Respekt. Und der ist mir ganz wichtig.

Sie betonen immer, durch Erfahrungen dazuzulernen. Bekommt Düsseldorf den besten Helmut Schulte aller Zeiten?

Das müsste dann so sein. Die bekommen jetzt sogar einen, der Österreichs Fußball kennt und ein Jahr Rapid überlebt hat (lacht).

Können Sie versprechen, als Düsseldorf-Manager keine Rapid-Spieler abzuwerben?

Nein. Aber es braucht sich niemand zu fürchten: Es gibt keinen einzigen Spielervertrag mit einer festgeschriebenen Ablösesumme. Ich könnte aus meinem Wissen über Rapid also keinen Vorteil ziehen. Wenn ich irgendwann einmal meinen Nachfolger wegen einem möglichen Transfer anrufen sollte, würden das die fairsten Gespräche überhaupt werden.

Der am 14. September 1957 geborene Sauerländer wurde bereits als 30-Jähriger Trainer von St. Pauli. Zu seinem Herzensklub kam der ehemalige Verteidiger später als Manager und Geschäftsführer zurück. Bei Schalke war der verheiratete Familienvater Trainer und später Nachwuchs-Chef (in seine Ära fiel der Durchbruch von Neuer und Özil). 2007 verletzte während des Orkans Kyrill eine Buche den Buchautor und Ex-Journalisten schwer. Am 19. Dezember 2012 wurde er Rapid-Sportdirektor und nutzt seine Ausstiegsklausel, um 2014 zu Düsseldorf zu wechseln.