"Bei vielen tritt ein Sättigungsgefühl ein"
Das Unter-17-Team schaffte es bis zur WM in den Emiraten, die Unter-19 der Austria bis ins Achtelfinale der Junioren-Champions-League und die Unter-21-Nationalmannschaft ist auf Kurs Richtung EM 2015. Das Jahr 2013 war ein gutes für Österreichs Nachwuchs. Der KURIER bat die Ausbildungsleiter der Wiener Großklubs an einen Tisch, um mehr zu erfahren.
KURIER: Welche Schwerpunkte gibt es aktuell in der Entwicklung von Fußballspielern?
Ralf Muhr: Wir orientieren uns daran, was der moderne Fußball vorgibt. Traditionell war es immer unser Ziel, technisch herausragende Spieler für den Erwachsenenbereich vorzubereiten. Der Trainer der Kampfmannschaft sollte keine Ausrede haben, wenn er einen Spieler von der Akademie bekommt, dass dieser in irgend einem Bereich so defizitär beinand’ wäre, dass er nicht spielen kann.
Peter Grechtshammer: Der Schwerpunkt liegt auf der technischen Ausbildung, aber es gibt auch Eckpfeiler wie die Umschaltphasen – ein großes Thema im modernen Fußball. Wichtig ist eine Durchgängigkeit. Eine Philosophie, die von oben vorgegeben ist. Es geht aber auch um eine schulische und berufliche Ausbildung und Persönlichkeitsentwicklung.
Welche Beobachtungen finden auf internationaler Basis statt?
Muhr: Durch die Youth League haben wir derzeit gute Möglichkeiten. Ich hab’ mir vorgenommen überall zu schauen, wie gearbeitet wird. Auch Atletico hat sich bei uns in der Akademie alles angeschaut.
Grechtshammer: Wir nehmen an vielen Turnieren im Ausland teil. Da werden meistens Abende organisiert, an denen die Trainer zusammensitzen und sich austauschen. Da erfährt man viel.
Welche Erkenntnisse konnten Sie dabei bisher gewinnen?
Grechtshammer: Wir sind durchgehend auf einem sehr guten Weg, was die Art und Weise betrifft, wie wir spielen. Wir spielen einen technisch sehr guten Fußball im internationalen Vergleich.
Muhr: In St. Petersburg habe ich mir Trainings angeschaut. Das war nicht mein Ding. Die legen schon bei den Kleinen viel Wert auf Physis.
Die Youth League wurde in Deutschland kritisiert, weil die Spieler viel unterwegs sind und der Spagat zwischen Fußball und Schule noch größer wird.
Muhr: Ich würde es auch infrage stellen, wenn ich so wie die Bayern gegen ManCity mit 0:6 untergehe. Ich verstehe diese Bedenken, aber da ist jeder gefordert, entsprechend zu steuern. Wir haben mit Unter-19-Teamchef Heraf vereinbart, dass er bei einem Lehrgang auf drei unserer Spieler verzichtet, weil es in Summe zu viel geworden wäre. Wir schaffen auch die Möglichkeit, dass die Spieler ihre schulischen Verpflichtungen nachholen.
Grechtshammer: Dieser Bewerb ist gerade für kleine Länder wie uns interessant. Die Austria hatte enorme mediale Präsenz und mehr als 2000 Zuseher. Das sind große Erfahrungen für diese jungen Spieler.
Austrias Top-Talent Sascha Horvath ist 1,68 Meter klein. Wie wichtig ist heutzutage noch die Körpergröße?
Muhr: Überhaupt nicht. Entscheidend ist das Gesamtpaket. Er muss kicken können und seine 1,68 so einsetzen, dass er Gegner aufhalten kann und sich durchsetzt. Keiner darf in Panik verfallen, wenn ein Spieler kleiner ist. Auch nicht die Eltern. Da gibt es ja auch die wildesten Geschichten mit Hormonspritzen. Soll auch bei Messi angewandt worden sein.
Grechtshammer: Körperliche Vorzüge sind gut, aber ohne einem gewissen fußballerischen Level kann keiner mehr mithalten. Die große Herausforderung für uns ist die Einschätzung des jeweiligen Potenzials. Da gibt es gewaltige Unterschiede in der biologischen Entwicklung. Wir hatten bei Spielern eines Jahrgangs schon Unterschiede von bis zu vier Jahren. Das richtig einschätzen zu können und auch zu berücksichtigen, ist entscheidend.
Wie tut man das?
Grechtshammer: Man muss einem, der noch nicht so weit ist, vermitteln, dass er noch viel mehr Entwicklungspotenzial hat, dass seine Zeit noch kommen wird, auch wenn er sich aktuell schwerer tut. Da müssen wir Geduld haben und dem Spieler die Zeit geben, die er braucht.
Gern diskutiert wird das Format der Profiligen. Sind die Zehnerligen ideal für ein kleines Ausbildungsland?
Muhr: Für mich nicht. Eine aufgestockte 2. Liga mit Amateurteams wäre gut. Die Regionalliga ist okay als erster Schritt im Erwachsenenfußball. Aber für all jene, die keine Ausnahmetalente sind wie z. B. ein Schaub bei Rapid, fehlt der Zwischenschritt. Leider sind die Amateurteams überall unerwünscht. In der Landesliga und der Regionalliga genauso wie in der Bundesliga. Das ist extrem schade, weil die meisten Teamspieler über diese Schiene kommen. Und dass ich die Lücke mit einem Kooperationsklub schließen kann, ist eine Mär. Wen soll ich mir da angeln? Gerade in Wien. Sportklub? Vienna? Da nimmst du das ganze Umfeld und die Probleme mit.
Woran hapert es in Österreich, wenn die Jungen auf allerhöchstem Niveau gewinnen?
Muhr: Die erste Schuld, wenn es einer nicht schafft, würde ich immer beim Spieler selbst suchen. Bei vielen tritt ein Sättigungsgefühl ein, wenn sie bei den Profis sind. Ein Mentalitätsproblem. Und es gibt viele Wohlstandskinder.
Grechtshammer: Es rücken viele gute Spieler nach. Das Ziel muss sein, dass sie noch einen Schritt weiter gehen und sich vom jungen Spieler zum Führungsspieler entwickeln. Daran arbeiten wir intensiv. Die Entwicklungsarbeit hört nicht auf, wenn der Spieler in der Kampfmannschaft angekommen ist.
Muhr: Darum wäre es auch wichtig, dass auch Trainer die Perspektive haben, oben zu arbeiten. Rapids Barisic war Amateur- und Individualtrainer. Er kennt seine Spieler auswendig und weiß, welches Potenzial wo vorhanden ist. Ein externer Trainer muss sich erst damit auseinandersetzen.
Grechtshammer: Ein Trainer mit diesem Know-how kann auch nach unten hin beeinflussen, weil er den Betrieb, die Voraussetzungen kennt und weiß, in welchem Rahmen man optimieren kann.
So gesehen müsste bei jeder Trainer-Entlassung der Coach der Amateure nachrücken?
Muhr: Wenn man von seiner Qualität überzeugt ist, dann ja. Obwohl es bei uns mit Ivica Vastic auch schon einmal schief gegangen ist, würde ich mich zuerst immer im eigenen Stall umschauen. Generell ist es wichtig, dass ein Trainer im Nachwuchs gearbeitet und den Job von der Pike auf gelernt hat. Viele namhafte Trainer, die in der Jugend begonnen haben, bestätigen das.
Nach welchen Kriterien suchen Sie Ihre Nachwuchstrainer aus?
Grechtshammer: Die Anforderungen sind extrem hoch. Vor allem im zwischenmenschlichen Bereich. Er braucht pädagogisches Gespür. Es darf nicht darauf vergessen werden, dass Fußball nur ein Teil des Lebens ist und auch eine Ausbildung absolviert werden muss.
Muhr: Der Trainer muss unter unseren Strukturen und Philosophien arbeiten wollen und auch dazu bereit sein, sich weiterzuentwickeln.
Welche Vor- und Nachteile bringen Ex-Profis mit?
Muhr: Der Spieler-Erfahrungsschatz ist ein riesiger Start-Vorteil. Aber sie müssen sich mit dem modernen Fußball auseinandersetzen und das Pädagogische mitbringen. Da orte ich bei den Ex-Profis ein gutes Gespür. Sie haben oft eine gute Kommunikationsebene, auch zu Spielern, die nicht so einfach sind. Das Wichtigste ist aber, dass sie hackeln wollen. Dass manche nur den Namen spazieren tragen wollen, kommt auch vor. Das ist zu wenig.
Grechtshammer: Es muss jedem bewusst sein, dass Spieler und Trainer zwei unterschiedliche Jobs mit unterschiedlichen Anforderungen sind. Mit diesem Bewusstsein kann es zu einem sehr guten Gesamt-Paket kommen. Es gibt aber auch sehr gute Trainer, die nicht auf höchstem Niveau gespielt haben.
Welche Maßnahmen ergreifen Sie, um Spieler, denen früh eine große Karriere prophezeit wird, am Boden zu halten?
Grechtshammer: Wir legen generell großen Wert auf Persönlichkeitsentwicklung und versuchen, Spieler darauf vorzubereiten, dass irgendwann der Erfolg kommt. Es gibt fixe Einheiten mit einem Sportpsychologen.
Muhr: Es lässt sich schwer verhindern, dass es kommt, wie es kommt. Wenn einer extrem gut ist, gibt es einen Hype wie einst bei Alaba oder Dragovic. Es ist ganz schwierig für den Burschen wie zuletzt für den Horvath, wenn er am Sonntag sein Bundesliga-Debüt gibt und am Montag dem Physikprofessor lauschen muss. Da sind die Eltern sehr gefragt.
Zur Person
Ralf Muhr - Austrianer seit 1994
Geboren 1970 in Linz, war als Spieler in St. Valentin in NÖ tätig, begann schon mit 16 Jahren als Trainer im Nachwuchs. 1994 kam er als U10- und U8-Trainer zur Austria, coachte später auch die Amateure. Muhr hat die UEFA Pro Lizenz.
Peter Grechtshammer - Rapidler seit 2005
Geboren 1978 in Wien, spielte u. a. in Purkersdorf und Gablitz und begann schon in jungen Jahren als Trainer im Purkersdorfer Nachwuchs. 2005 übernahm er bei Rapid die U12 und später auch die U14. Seit 2013 ist er Akademie-Leiter. Grechtshammer studierte Sport & Geschichte (Lehramt), ist lizenzierter Sportmanager und hat die UEFA-A-Lizenz.