Sport/Fußball

Lehmanns Rat an Götze: "Nimm Ohrenstöpsel"

Jens Lehmann wirkt fit wie in besten Profi-Tagen. Auf Einladung von Sky traf der KURIER den ehemaligen deutschen Team-Torhüter in München. Dass er die Handschuhe mittlerweile gegen das Mikrofon eingetauscht hat, ist ihm nicht anzusehen. Dem Fußball ist der heute 44-Jährige als TV-Experte erhalten geblieben. Gut gelaunt und entspannt plaudert er als solcher bei Kaffee und Muffins über das anstehende Schlagerspiel der Deutschen Bundesliga zwischen Borussia Dortmund und Bayern München sowie die brisante Rückkehr von Mario Götze an die alte Wirkungsstätte. Lobende Worte hat er für David Alaba, dem österreichischen Nationalteam wirft er hingegen Mutlosigkeit vor.

Jens Lehmann ...

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... über den Titelkampf in der Deutschen Bundesliga
"Die Bundesliga ist ohnehin schon langweilig, eine Niederlage der Dortmunder am Samstag käme aber bereits einer Vorentscheidung im Titelkampf gleich. In dieser Liga kann nur der BVB die Bayern gefährden."

...über den verletzungsbedingten Total-Ausfall der Dortmunder Viererkette
"Da wird sich jetzt irgendwann der finanzielle Vorteil der Bayern durchsetzen, die ihre Mannschaft so verstärkt haben, dass sie mit solchen Ausfällen locker umgehen können. Der BVB hat zwar in den letzten Jahren einen weiten und sehr erfolgreichen Weg zurückgelegt, der Unterbau ist da aber nicht ganz mitgekommen. Jetzt haben sie zum ersten Mal Personalprobleme in dieser Größenordnung, worunter sie mit Sicherheit leiden werden. In den Duellen der letzten Jahre hat vor allem die physische Überlegenheit der Dortmunder die Bayern immer wieder vor Probleme gestellt. Mit zu vielen Spielern ohne Rhythmus wird das aber schwierig. Und die Münchner wissen natürlich schon, dass es dadurch angenehmer wird."

... über das Fehlen von Franck Ribéry und Bastian Schweinsteiger
"Was zerstört jede Taktik? Ein Dribbling. Und darin ist Ribéry Weltklasse. Dass er fehlt, ist natürlich gut für Dortmund. Den Ausfall von Schweinsteiger würde ich vor allem auf internationaler Ebene als großen Nachteil sehen. Mit seiner Erfahrung und seiner Fähigkeit, ein Spiel zu lenken und zu lesen ist er in großen Spielen kaum zu ersetzen. Da brauchst du die besten Spieler. Auf nationaler Ebene werden die Münchner diesen Ausfall aber kompensieren können."

... über die Favoritenrolle
"Ich würde Bayern nicht unbedingt als Favorit sehen. Da müssten bei Dortmund noch mehr Spieler fehlen. Zwar spielt die Dortmunder Verletzungsmisere den Bayern in die Karten, durch das Fehlen von Ribéry ist dieser Vorteil aber kleiner geworden."

... über eine mögliche Dortmunder Not-Variante mit Dreierkette
"Während meiner Zeit in Mailand haben wir mal mit der Dreierkette experimentiert, haben das zuvor aber mit Sicherheit in 30 bis 40 Trainingseinheiten eingeübt. Man kann nicht einfach eine Dreierkette spielen, wenn die Spieler das nicht gewohnt sind. Spätestens nach 30 Minuten checkt der Gegner, wo die Schwächen liegen und dann wird man in der Regel dafür bestraft."

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... über Mario Götze
"Er ist nach seiner Verletzung noch nicht wieder in der Lage, locker an einem Spieler vorbeizugehen. Langsam nähert er sich aber seiner gewohnten Stärke an. Was er braucht, ist Spielpraxis, deshalb wird er von Guardiola behutsam an die Mannschaft herangeführt. Die Dortmunder wären froh, wenn sie ihn noch hätten, bei Bayern sitzt er möglicherweise nur auf der Bank. Dort ist er noch kein Führungsspieler. Das ist ein Transfer für die nächsten Jahre."

... über Götzes Rückkehr nach Dortmund
"Er wird beeindruckt sein. Er ist 21, kommt zum ersten Mal wieder 'nach Hause' und weiß, dass er dort viele Leute enttäuscht hat. Der Empfang, der ihm blüht, wird nicht angenehm sein. Selbst wenn 20.000 Leute klatschen, kann man die anderen 60.000 nicht ignorieren. Einen Rat kann man einem Spieler für so eine Situation aber nicht geben, das ist unbeschreiblich, das muss man erleben. Man kann ihn höchstens darauf vorbereiten: ,Nimm dir Ohrenstöpsel mit, mach’ keine Einwürfe, tret’ keine Eckbälle, bleib’ im Mittelkreis.“ (lächelt) Als Trainer würde ich ihn wohl nicht aufstellen. Für uns Zuschauer wär's aus Unterhaltungsgründen natürlich schöner, wenn er spielen würde."

... über David Alaba
"David hat eine tolle Entwicklung genommen. Er spielt unbekümmert und selbstbewusst und das auch in Situationen, in denen es drauf ankommt. Er ist sowohl technisch als auch taktisch gut. Ich wüsste nichts, was schlecht an ihm wäre."

... über die Torhüter Roman Weidenfeller und Manuel Neuer
"Roman macht das super, spielt sehr konstant, macht kaum Fehler und war ein Garant für den Erfolg der letzten Jahre. Manuel Neuer hat sich in München sehr verbessert und ist von beiden der mutigere Torwart mit dem größeren Potential."

... über die Ansetzung des Topspiels zwischen Länder- und Champions-League-Spielen
"Ich kann die Sorgen des BVB in dieser Hinsicht nachvollziehen. Es gibt Situationen, in denen man sich als Spieler fragt, warum man so viele wichtige Spiele innerhalb weniger Tage bestreiten und immer an die Belastungsgrenze gehen muss. Ich hab das auch bei Arsenal miterlebt. Damals mussten wir innerhalb von zehn Tagen zweimal gegen Chelsea, einmal gegen Liverpool und dann zusätzlich auch noch gegen Manchester United ran. Das haben wir dann psychisch einfach nicht hinbekommen und sind sowohl aus dem FA-Cup als auch aus der Champions League geflogen, wobei wir die eigentlich hätten gewinnen müssen."

... über die Entwicklung des österreichischen Nationalteams
"Ich glaube, das Schwierigste für einen Trainer, der die Österreicher trainiert, ist es, die Mentalität zu ändern. Bei euch heißt es schnell: 'Wir sind jetzt viel besser und können es schaffen'. Wenn’s dann drauf ankommt, ist man aber meist mutlos. So auch in München gegen Deutschland. Da hätte man sich wenigstens gewünscht, dass sie es mal probieren. Die Entwicklung ist aber dennoch als positiv zu bewerten. Ihr habt bessere Spieler als noch vor einigen Jahren und sie verhalten sich taktisch klüger. Aber ein Land wie Schweden hat auch nicht viel mehr Einwohner als Österreich und ist dennoch oft bei Großereignissen dabei."

... über die Wahl zum Weltfußballer
"Aufgrund der letzten Saison hätten es auch deutsche Spieler verdient. Nur, es gibt Ronaldo. Im Gesamtpaket ist er der wahrscheinlich beste Fußballspieler aller Zeiten. Er ist physisch extrem stark, könnte wahrscheinlich auch Innenverteidiger spielen. Neben seinem Talent und seinem Körper, den er immer noch weiter ausbaut, ist er auch der beste Profi. Er spielt immer und macht viele entscheidende Dinge. Ich glaube, dass er gewählt werden wird. Ribery ist mit der Auszeichnung als "Europas Fußballer des Jahres" reich beschenkt worden. Ich finde aber, dass es in der letzten Saison selbst bei Bayern wichtigere Spieler gab. Er hat in der Champions League nicht so gut gespielt wie so mancher Teamkollege".