Keine Kollektivstrafen für Ultras in Deutschland
In dem festgefahrenen Streit um die zunehmenden Fan-Ausschreitungen in einigen Stadien kommen der Deutsche Fußball-Bund und auch ein erster Landes-Innenminister der umstrittenen Ultra-Bewegung weit entgegen. DFB-Präsident Reinhard Grindel kündigte an, die viel kritisierten Kollektivstrafen für Fußball-Fans zumindest vorübergehend aussetzen zu lassen.
„Bis auf Weiteres“ wolle man „keine Sanktionen wie die Verhängung von Blocksperren, Teilausschlüssen oder Geisterspielen mehr“, sagte Grindel in einer am Mittwoch veröffentlichten Erklärung des Verbandes. Der DFB werde seinem Kontrollausschuss empfehlen, „bis auf Weiteres darauf zu verzichten, Strafen zu beantragen, die unmittelbare Wirkung auf Fans haben, deren Beteiligung an Verstößen gegen die Stadionordnung nicht nachgewiesen ist“.
Eigene Bereiche für Pyrotechnik?
Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius ging in einem „Sport Bild“-Interview sogar noch weiter und regte zumindest an, die von den Ultras so geliebte Pyrotechnik zumindest in bestimmten Bereichen eines Stadions zuzulassen. Bengalos seien „gefährlich, das kann man nicht einfach mal so abfeuern“, meinte der SPD-Politiker. „Nun sage ich: Okay, wenn einige Ultras-Gruppen ganz viel Wert darauf legen, Pyrotechnik zu zünden, kann man sich darüber unterhalten, dafür bestimmte Bereiche im Stadion zu schaffen.“ Aus der Politik gab es sofort Kritik an diesem Vorstoß. „Pyrotechnik hat in unseren Fußballstadien nichts verloren. Daran gibt es nichts zu rütteln“, sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU).
Der deutsche Innenminister Thomas de Maizière forderte indes harte Bestrafungen durch die Gerichte. Der CDU-Politiker drängte auf Meldeauflagen für bekannte Gewalttäter, so dass sie sich bei einer Polizeibehörde vor und während des Spiels melden müssen. Auch mit Stadionverboten könne man laut de Maizière viel erreichen.
Fußball-Gipfel in Niedersachen
Teile der sogenannten Ultra-Bewegung auf der einen sowie Verbände wie der DFB und die Deutsche Fußball-Liga auf der anderen Seite stehen sich seit Monaten unversöhnlich gegenüber. Die Unterbrechung des Pokalspiels zwischen Hansa Rostock und Hertha BSC (0:2) am Montag hatte die Debatte um Fankrawalle in Deutschland ausgerechnet in der Woche des Bundesliga-Starts wieder einmal erhitzt.
Die Clubs stoßen dabei ihre Grenzen, vor allem im Umgang mit den gewaltbereiten Fans. Das machten die Ausschreitungen in Rostock deutlich. „Wenn man sieht, dass hier 1700 Polizisten und über 300 Ordner unterwegs waren, dass Spürhunde und HD-Kameras im Einsatz sind. Da wird im Bereich der Kontrolle alles getan, was getan werden kann. So etwas kann man sicher nur gesamtgesellschaftlich lösen, nicht allein als Drittligist“, sagte Hansa-Chef Robert Marie nach der Randale der beiden Fangruppen.
Vor allem die Kollektivstrafen und die Pyrotechnik sind in der derzeit stattfindenden Auseinandersetzung zentrale Begriffe für die Ultras. Innenminister Pistorius möchte am 11. November einen Fußball-Gipfel in seinem Bundesland abhalten, an dem sowohl Profivereine als auch Fangruppen teilnehmen sollen. Das Bündnis „ProFans“ zum Beispiel hat eine Abschaffung der Kollektivstrafen immer zu einer Bedingung für seine Teilnahme an diesem Treffen erklärt. „ProFans sieht eine Abkehr hiervon als zwingend notwendig an“, heißt es in einer Erklärung aus dem Juli.
Im Dialog mit den Ultras
Die Vorstöße von Pistorius und Grindel sind deshalb als Versuche zu werten, mit den schwer zugänglichen Ultra-Gruppen überhaupt in eine Form von Gespräch zu kommen. „Es ist Zeit zum Innehalten. Es ist Zeit zum Umdenken“, schrieb der DFB-Präsident in seiner Erklärung. „Wir wollen ein Zeichen setzen, um gemeinsam in den Dialog einzutreten.“ Der DFB ist dafür bereit, zumindest zeitweise auf die Ultra-Forderung nach der Abschaffung von Kollektivstrafen einzugehen. Der Verband fordert umgekehrt aber auch: „Verzicht auf Gewalt.“
Grindel lud Ultra-Vertreter ein, sich endlich mit dem DFB, seiner Arbeitsgruppe Fankulturen sowie anderen Fan-Organisationen an einen Tisch zu setzen. „Wir müssen Vertrauen aufbauen, Missverständnisse ausräumen und gemeinsam klare Linien und Grenzen festlegen“, sagte er. „Wir wollen gemeinsam erörtern, was wir zum Erhalt und zur Verbesserung der Fankultur in unseren Stadien tun können.“
"Miteinander statt übereinander reden"
Für diesen Vorstoß erhielt Grindel sofort die Zustimmung der Deutschen Fußball-Liga. „Die Dialog-Initiative des DFB-Präsidenten an alle Fan-Gruppen ist der richtige Schritt, um neues Vertrauen zu bilden. Miteinander statt übereinander reden - das muss die Devise sein“, sagten Ligapräsident Reinhard Rauball und DFL-Geschäftsführer Christian Seifert in einer gemeinsamen Erklärung.
Auch Michael Gabriel, der Leiter der Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS) in Deutschland, hatte bereits am Dienstag nach den Ausschreitungen von Rostock in einem Sky-Interview erklärt, eine Entspannung der Situation sei nur gemeinsam mit den Fans und nicht über ihren Kopf hinweg zu erreichen.