Top-Klubs jagen Talente im Kindergarten
Die Aufregung hat sich etwas gelegt. Der deutsche Teamspieler Lukas Podolski hatte sich in einem Interview im Playboy darüber aufgeregt, dass drei Klubs seinen siebenjährigen Sohn Louis zum Probetraining haben wollten. Mönchengladbach und Leverkusen dementierten das Interesse am Bambini-Poldi. Und beim 1. FC Köln, wo Papa Podolski groß geworden ist, geht man gelassen an das Thema heran. "Louis hat an zwei Gruppentrainings teilgenommen", erklärte Nachwuchsleiter Schäfer. "Wir sichten bei uns in der Umgebung." Dazu zählt derzeit aber nicht der Vorortklub von Mailand, wo Louis dem Ball nachläuft, weil der Papa bei Inter kickt.
Kinder spielen mit sieben oder acht Jahren schon in Nachwuchsmannschaften. Auch große Klubs stehen auf kleine Talente, haben U-7- und U-8-Teams. Der Niederländer Bernard Schuiteman ist seit dieser Saison Chefscout von Rapid. "Bei uns geht es mit der Talentesuche ab der U-8 los. In diesem Alter sind Prognosen ganz schwer. Es macht Sinn, dass die Talentiertesten möglichst früh mit den Besten auf möglichst gutem Niveau trainieren. Aber ob sie dann auch Profis werden, ist nicht garantiert. Ich schätze, dass rund zwei Prozent der größten Talente bei den Buben dann auch Profis werden."
Frühstarter
Was aus Claudito wird, wird sich zeigen. Laut Schuiteman kann man eine Entwicklung seriös abschätzen erst ab "16 oder 17 Jahren. Ganz selten gibt es außergewöhnliche Burschen wie Tino Lazaro, wo alle Scouts einig waren, dass der damals 14-Jährige den Durchbruch schaffen wird."
Bernard Schuiteman siedelt den Faktor Ehrgeiz, Charakter und Willen, also die "Arbeit" über dem Talent an: "Meiner Meinung nach sind 70 bis 80 Prozent des späteren Erfolgs darauf begründet, wie diese Talente zu ihrem möglichen Beruf stehen, welche Einstellung sie mitbringen und wie viel Herz sie mitbringen."
Voraussagen
Wichtig für eine Sport-Karriere ist vor allem das soziale Umfeld. Ginge es nur nach denen Genen, müssten die Kinder von Steffi Graf und Andre Agassi die kommenden Superstars im Tennis sein. Doch die Eltern kennen die Härte des Profisports, wollen ihre Kinder nicht in eine Ecke drängen, die diese nicht wollen. Graf sagte: "Genaues über unsere Karrieren kennen sie nicht, denn wir sprechen selten darüber." Tochter Jaz Elle (11) spielt ein paar Mal in der Woche Tennis, das Reiten ließ sie, nachdem sie einmal vom Pferde gefallen war. Sohn Jaden Gil (13) hat sich ganz und gar dem Baseball verschrieben.
In manchen Sportarten zählt aber nicht nur Talent, sondern auch der Körper. Deutschlands Star-Basketballer Dirk Nowitzki wurde mit 16 Jahren laut Handwurzel-Untersuchung eine Größe von 2,07 Metern vorausgesagt. Es wurden gar 2,13.
Bei Michael Drga zeigten die Prognosen nicht einmal 1,80 Meter. Der Niederösterreicher war damals Tormann in der Salzburger Fußballakademie und auch in Österreichs Nachwuchsauswahlen. Drga, technisch gut ausgebildet und pfeilschnell, hängte die Tormannhandschuhe an den Nagel und spielt mit 20 Jahren bei SKN St. Pölten. Als Stürmer – er ist 1,75 Meter groß.
Marietta Sengeis arbeitet am IMSB Austria Institut in der Südstadt, wo österreichische Sportler seit 1982 beraten und betreut werden. Im Interview spricht die Sportwissenschafterin über die Früherkennung von Talent bei Sportlern.
KURIER: Kann man bei einem siebenjährigen Fußballer bereits Talent erkennen?
Marietta Sengeis: Da stellt sich einmal die Grundsatzfrage. Was ist Talent?
Ja, was ist Talent?
In der Fachliteratur spricht man von Talent, wenn jemand zu Höchstleistungen fähig ist. Das heißt, man hat hohe Erwartungen, dass dieser Sportler einmal große Erfolge erreichen wird.
Und wie ist das nun bei einem Siebenjährigen?
Talent ist vorerst einmal nur eine Momentaufnahme. Es wird der Körperbau analysiert, die Sprungkraft, das Spielverständnis. Und dann kann man von Talent sprechen – oder auch nicht.
Warum wird im Fußball schon so früh nach Talenten gesucht?
Weil sich Fußballer schon sehr früh spezialisieren und sich demnach auch schon früh Tendenzen abzeichnen. Ein siebenjähriger Fußballer hat vermutlich schon drei Jahre Training hinter sich mit je drei Einheiten pro Woche – im Gegensatz zu Handball oder anderen Sportarten. Man kann schon erkennen, ob das Kind körperlich gut entwickelt ist, ob es taktisch und technisch gut ist und ob es Spielintelligenz hat. Soll heißen: Man kann analysieren, ob das Potenzial für zukünftige Spitzenleistungen vorhanden ist. Man kann aber keinesfalls davon ausgehen, dass diese auch erreicht werden.
Weshalb?
Weil dafür, wie bereits erwähnt, sehr viele Faktoren zusammenspielen müssen, damit sich der Sportler linear weiterentwickelt. Auch die Förderung durch das Umfeld spielt eine große Rolle. Aber da mache ich mir beim Sohn eines deutschen Teamspielers keine Sorgen.