Laute Kritik an WM-Testlauf Confed-Cup
Dunkler Rauch legte sich über die derzeit omnipräsenten Farben Grün und Gelb. Brasilien wollte ein erstes Fußballfest feiern, bevor es in einem Jahr zur großen WM-Party lädt. Doch trotz enormer Präsenz von Sicherheitskräften kam es noch vor dem Auftaktspiel zu Protesten, die die Vorfreude trüben.
In Rio, São Paulo, Brasilia, Belo Horizonte und Natal war es vor dem ersten Anpfiff schon zu Demonstrationen und Ausschreitungen gekommen. In São Paulo wehrten sich die Menschen gegen die jüngsten Fahrpreiserhöhungen im öffentlichen Nahverkehr. Sie forderten eine Rücknahme der Erhöhung der Ticketpreise von umgerechnet 1,06 auf 1,13 Euro. Die Polizei setzte Tränengas, Gummigeschoße und Schlagstöcke ein. Es fuhren gepanzerte Fahrzeuge auf, Polizei-Helikopter ratterten durch die Luft. Proteste gab es nach Preiserhöhungen auch in Rio, Porto Alegre und Santos. Dutzende Demonstranten wurden verletzt, mehr als 200 festgenommen.
In Brasilia richteten sich die Demonstrationen gegen die „WM der Reichen“, von der der normale Bürger nichts habe. Aktivisten der „Bewegung obdachloser Arbeiter“ (MTST) versperrten die Zufahrtsstraße zum Stadion auf allen sechs Spuren mit 150 Autoreifen und steckten diese in Brand. Brasilia war wegen der Eröffnung des Confed-Cups Hochsicherheitszone. Aber die Polizei wurde von der Aktion überrascht. Auch in Rio wurden die Sicherheitsvorkehrungen in den vergangenen Tagen erhöht. Über dem Maracanã-Stadion kreisen immer wieder Hubschrauber. Zudem kommen bei Eröffnungs- und Schlussfeier Drohnen zum Einsatz.
Hohe Kosten
Die „Mini-WM“ ist nicht nur ein Testlauf für die Fußball-WM, sondern auch für Olympia 2016 in Rio. Zusätzlich zu den ohnehin eingesetzten Polizisten stehen für diese Sport-Events 54.000 Sicherheitsleute zur Verfügung, die Kosten des Sicherheitsprogramms belaufen sich auf rund 350 Millionen Euro.
„Die WM ist nicht für die Brasilianer, nur eine Minderheit aus dem Volk wird die Spiele sehen. Wir aus den unteren Schichten haben keinen Zugang“, klagte einer der Aktivisten.
Präsidentin Dilma Rousseff versuchte bei einem Besuch in Rocinha, Rios größter Favela, zu beruhigen. „Wir profitieren von der WM – nicht nur durch Freude am Fußball, wenn wir Brasilien spielen sehen, sondern in Sachen Sicherheit und Infrastruktur“, sagte sie.
Bei den Demonstrationen war auf einem Plakat zu lesen: „Während die Welt zusieht, wie Männer mit dem Ball spielen, sind mehr als 250.000 Menschen ohne Unterkunft.“ Die Demonstranten kritisierten die Zwangsräumungen im Zuge von Baumaßnahmen für die WM 2014 und die Olympischen Spiele 2016 in Rio. Die haben Brasilien auch ein Rüge der UN-Sonderberichterstatterin für das Recht auf angemessenes Wohnen, Raquel Rolnik, eingebracht.
Die Confed-Cup-Stadien
Davon lassen sich aber viele im Lande die Vorfreude auf ein Fußballfest nicht verderben. „Es wird eine große Show“, sagte Brasiliens Fußball-Ikone Pelé. Nicht weniger euphorisch klangen die Worte von FIFA-Chef Joseph Blatter: „Es wird ein großartiges Turnier. In England wurde der Fußball erfunden, aber wo der Fußball Tanz ist, wo Fußball Samba ist, das ist Brasilien.“
Für die FIFA ist das Turnier ein Testlauf für die WM punkto Transport, Sicherheit, Ticketing und Unterkünfte. Zumal sie immer wieder die Verzögerungen bei den Bauten kritisiert hatten. Die letzten Arbeiten an mehreren der sechs Stadien wie in Brasilia oder Salvador bezeugen die knappe Zeitkalkulation der Organisatoren. Auch am Maracanã wird noch bis zum ersten Anpfiff gehämmert und gestrichen. Nur in Belo Horizonte und Fortaleza waren die Stadien rechtzeitig fertig.
Kritik aus Brasilien gibt es am Verteilungssystem der personalisierten Karten durch die FIFA: Tickets können nur in den Spielorten abgeholt werden, Fans mussten weite Reisen in Kauf nehmen. Allein für das Spiel Italien gegen Mexiko am Sonntag im Maracanã waren 20.000 Karten noch nicht bei ihren Besitzern. Insgesamt hat die FIFA 731.000 Tickets für die 16 Spiele verkauft.
Hohe Erwartungen
Wichtig für die Stimmung im Land wird sein, dass die brasilianische Nationalmannschaft gut spielt. Die Euphorie ist groß, die Skepsis aber auch: Das Team von Trainer Luiz Felipe Scolari steckt mitten im Neuaufbau. „Wir alle kennen unsere Verantwortung und werden alles tun, um den Titel beim Confed-Cup und, viel wichtiger, bei der WM zu gewinnen“, sagt Brasiliens Jungstar und Hoffnungsträger Neymar.
Er und Lucas von Paris SG sind die Idole der Teenager, die letzte Woche die Schule geschwänzt haben, um die Spieler in Brasilia zu sehen. Doch sie sahen nur den Mannschaftsbus, zum Trainingsplatz auf dem Gelände der Militär-Feuerwehr gab es keinen Zutritt. „Die wollen nur unser Geld. Wir sollen sie hier und bei der WM unterstützen, aber wir dürfen nicht einmal zum Training“, schimpfte ein junger Fan.
Das berührt die Verantwortlichen aber nicht. Die Spieler sollten sich in Ruhe auf die schwere Aufgabe vorbereiten. „Unser größtes Problem ist die Generationslücke“, sagt Carlos Parreira, der Brasilien 1994 zum Titel geführt hat und jetzt technischer Direktor des Verbandes ist. Brasilien ist in der Weltrangliste auf Rang 22 abgerutscht. Daher dämpft sogar Pelé die hohen Erwartungen beim Confed-Cup: „Wir sind noch nicht so weit.“
Jahrelang konnte sich Joseph Blatter mit der Einführung von technischen Hilfsmitteln nicht so recht anfreunden. Jetzt preist sie der FIFA-Boss als Heilsbringer für den Fußball: „Es ist die Lösung, es ist nicht irgendeine Lösung“, sagte der Schweizer über die Torlinientechnologie. Diese kommt beim Confederations-Cup erstmals hochoffiziell zum Einsatz.
Die Firma GoalControl aus Deutschland hat die Technik entwickelt. Das System kann mit jedem Ball arbeiten, auch an den Toren sind keine Um- oder Anbauten nötig. 14 Hochgeschwindigkeitskameras, die unter dem Stadiondach angebracht werden, erfassen die Position des Balles in drei Dimensionen – das gesamte Spiel über. Überquert der Ball die Torlinie komplett, empfängt die Uhr des Schiedsrichters in weniger als einer Sekunde ein Signal.
In Würselen bei Aachen hatte sich Dirk Broichhausen schon vor dem fatalen Fehlpfiff in Südafrika über eine Schiedsrichter-Entscheidung echauffiert. Sein damaliges Unternehmen, spezialisiert auf kamerabasierte Systeme, die Fehler bei der Produktion von Gummi- und Kunststoffteilen erkennen, war in der Lage, mit viel Enthusiasmus die Entwicklung von Torkameras voranzutreiben. Im April folgte nach einer aufwendigen Test- und Genehmigungsphase der Zuschlag durch die FIFA.
„Alle Schiedsrichter sind glücklich, dass sie diese Hilfe haben. Ich bin sehr gespannt, wie es funktioniert“, sagte Joseph Blatter, der zugab, dass er auf den Ernstfall hofft.
Das komplett neu sanierte Maracanã-Oval von Rio de Janeiro erlebt mit dem Spiel zwischen Italien und Mexiko am Sonntag (21 Uhr/live ORF Sport +) seine Pflichtspielpremiere. Beide Teams setzen bei ihrem ersten Antreten im Rahmen des Confederations-Cups auf ihre Stars in der Offensive. Mario Balotelli auf der einen und Javier Hernandez auf der anderen Seite wollen ihren imposanten Torquoten gerecht werden.
Acht Tore in 19 Spielen hat Balotelli für Italien erzielt, Hernandez bringt es in 46 Partien für Mexiko auf beachtliche 27 Treffer. „Die Gegner haben Angst vor ihm“, meinte Defensivspieler Andrea Barzagli über Balotelli. Dabei war dessen Antreten einigermaßen unsicher: Balotelli brach das Training am Freitagabend wegen muskulärer Probleme im Oberschenkel ab.
Zwei Remis in der WM-Qualifikation gegen Panama und Costa Rica, die sogar die WM-Teilnahme 2014 gefährden, haben die Stimmung bei den Mexikanern gedrückt.
Im zweiten Spiel am Sonntag wird Spanisch gesprochen. Spanien trifft in Recife (Montag um Mitternacht/live ORF eins) auf Uruguay. „Wir kommen in guter Form nach Brasilien. Wir vertrauen auf unsere Stärke. Aber wir haben auch Achtung vor den Rivalen“, warnte Spaniens Teamchef Vicente del Bosque. Sorgen bereitet dem erfahrenen Teamchef der Spanier vor allem Uruguays Offensive mit Edinson Cavani (Napoli), Luis Suárez (Liverpool) und Diego Forlán (Internacional Porto Alegre).