Extremsport: "Jedes Land hat seine Spinner"
Von Niki Nussbaumer
Der nächste Rekord – und wieder steht Austria dahinter: Am Mittwoch absolvierte Christian Redl im eisigen Wasser der Goyko-Seen auf 5000 Meter im Himalaja den höchsten, jemals absolvierten Freitauchgang. Der Abenteurer aus Wien verzichtete auf eine Sauerstoffflasche und blieb drei Minuten unter Wasser.
Lang ist die Liste gefährlicher Gratwanderer:
Felix Baumgartner sprang am Sonntag aus 39 Kilometer Höhe und stürzte mit 1342 km/h in Richtung Erde.
Gerlinde Kaltenbrunner bestieg als erste Frau alle 14 Achttausender ohne zusätzlichen Sauerstoff.
Christian Stangl lief in 58 Stunden und 35 Minuten auf den jeweils höchsten Gipfel jedes Kontinents inklusive Antarktis und Ozeanien.
Herbert Nitsch tauchte vor Santorin als erster Mensch mit nur einem Atemzug 244 Meter tief – und ist seither auf Rehabilitation.
Tradition
Österreich, ein Land der Extremsportler? Oder, anders gefragt: Haben wir ein bisschen einen Klopfer? Der Sportpsychologe Alois Kogler entscheidet sich für Variante eins. "Österreich ist ein Land der Extremsportler", sagt der 63-Jährige, der zahlreiche heimische Spitzensportler betreut. Es gebe hierzulande eine lange Tradition des Bergsteigens – von Heinrich Harrer bis hin zu Hermann Buhl, Kurt Diemberger und Peter Habeler – "und Bergsteigen ist ja Verrücktheit pur". Diese Tradition liege auch an der alpinen Lage Österreichs. "Aufsteigen und runterstürzen war schon immer ein Thema bei uns", sagt Kogler.
Laut dem Sportpsychologen gebe es auch in den USA wilde Typen, wie etwa Joe Kittinger, den jetzigen Mentor von Felix Baumgartner. Bloß: Die USA haben mehr als 300 Millionen Einwohner, Österreich hat acht Millionen. "Wir sind ein Volk mit einer Lust an der Grenzüberschreitung. Das kann etwas mit Minderwertigkeitskomplexen zu tun haben. Wir sind ein kleines Land und wollen das kompensieren. Unser ganzes Nationalbewusstsein ist ja zwischen Größenwahnsinn und Verzweiflung angesiedelt."
Mittlerweile würde auch ein sogenannter "Sog-Effekt" entstehen: Ein erfolgreicher Apnoe-Taucher findet bald Nachahmer. Um da als Sportler noch mediale Aufmerksamkeit zu erlangen, müssten die Rekordversuche immer spektakulärer und waghalsiger werden.
Egomanen und Extremisten
Wer Spitzenleistungen wie Baumgartner oder Kaltenbrunner erzielen wolle, müsse zum Einzelgänger werden, meint der Sportmediziner Kurt Moosburger. "Für diese Sportarten braucht es extreme Egomanen."
Dass es hierzulande mehr Extremsportler gebe, verneint der Experte. "Jedes Land hat seine Spinner, seine Egomanen und Extremisten. In Österreich wird diese Szene nur sehr gut inszeniert. Wir haben ja außer Skifahren nicht viele sportliche Bewerbe, in denen wir uns brüsten könnten. Daher haben wir so ein starkes Geltungsbedürfnis."
Die Geschichte der Menschheit sei eine Geschichte der Auseinandersetzung mit Grenzen – von Landesgrenzen bis Zeitgrenzen, erklärt der Soziologe Roland Girtler. "Wir wollen Grenzen überwinden." In Österreich hätten wir die Zeit dazu und müssten uns bei der Arbeit körperlich nicht mehr verausgaben. "Ein Bauer in Afrika würde nicht auf die Idee kommen, einen Berg zu besteigen."
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