Sport

"Es ist fast unmöglich, ohne Doping vorne mitzumachen"

Im Herbst 2008 brach das Lügengebäude um Bernhard Kohl zusammen. Der Dritte der Tour de France gab zu, jahrelang Blutdoping betrieben und unter anderem mit EPO gedopt zu haben. Er beendete seine Karriere und führt heute in der Triesterstraße in Wien das größte Fahrradgeschäft Österreichs. Der 32-Jährige spricht im KURIER offen über seine Doping-Erfahrungen.

KURIER: Überrascht Sie die positive Dopingprobe von Johannes Dürr?

Bernhard Kohl: Das Leistungsvermögen an der Weltspitze wird immer noch größer. Da ist es schon sehr schwierig, fast unmöglich, ohne Doping ganz vorne mitzumachen. So gesehen war es für mich nicht überraschend.

Ist einem jungen Sportler bewusst, dass er erwischt werden kann?

Ich war jahrelang Teil eines Doping-Systems. Für mich war Doping Alltag, es war wie ein Teil meines täglichen Trainings. Johannes Dürr hat natürlich genau gewusst, was er tut. Und er wird wohl gedacht haben, dass er nicht erwischt wird.

Weil EPO in Mikrodosen nur sehr schwierig nachweisbar ist?

Vermutlich. Man ist sich seiner Sache schon sehr sicher. Aber eines ist mir schon suspekt vorgekommen: Dass er zwischen dem Skiathlon und dem 50-Kilometer-Bewerb wieder nach Hause geflogen ist. Da habe ich mir schon gedacht: Was macht er da?

ÖSV-Präsident Schröcksnadel behauptet, dass "heutzutage eh niemand mehr mit EPO dopt". Ist EPO im Sport überhaupt noch Stand der Dinge?

Absolut. EPO funktioniert. EPO ist im Ausdauersport noch immer das A und O, ein echter Schnellmacher. Ich habe natürlich keine Ahnung, ob Johannes Dürr auch Eigenblutdoping betrieben hat, so wie ich es getan habe. Aber bei mir hat die Kombination aus beidem sehr gut funktioniert.

Wie geht es einem Sportler, wenn er von der positiven Dopingprobe erfährt?

Da bricht eine Welt zusammen. Es ist ein fürchterlicher Moment. Bei ihm ist das noch schwieriger als es bei mir war, da ich nicht mehr vor Ort war, sondern längst zu Hause. Außerdem hat sich mein Fall ein bisschen angekündigt. Aber bei Olympia zu sein und dort von einer positiven Probe zu erfahren, muss schrecklich sein.

Was bedeutet das für eine Sportler-Karriere?

Diese Frage muss er sich selbst stellen. Ich habe gestanden und einen Schlussstrich gezogen. Aber es gibt eine Auswirkung, die viele andere vergessen: Er kann jetzt seinen Beruf nicht ausüben, mit dem er das Geld für sich und seine Familie verdient hat. Da kann man schon Existenzängste bekommen.

Ist es glaubhaft, dass Dürrs Trainer und Teamkollegen nicht gemerkt haben, dass er dopt?

Das halte ich sogar für sehr wahrscheinlich. Im Radsport war Doping bis zum Fall Ullrich von den Teams organisiert, also bis ungefähr zum Jahr 2006. Bei den Langläufern wird Doping wahrscheinlich bis Turin 2006 organisiert gewesen sein. Doch seitdem wird sich das niemand mehr trauen. Da ist jeder Sportler auf sich alleine gestellt und niemand darf etwas erfahren. Nicht einmal der Zimmerkollege oder der Teamarzt.

Wie kommt ein Einzelsportler überhaupt zu EPO?

Das Internet eröffnet da sehr große Möglichkeiten. Aber man braucht Geld. Ich habe beim Team Gerolsteiner in zwei Jahren 60.000 bis 70.000 Euro in Dopingmethoden investiert.