Sport

Ein Knockout, der drei Leben kostete

Am 13. November 1982 standen sich in Las Vegas die beiden Leichtgewichtler Ray Mancini und Kim Duk-koo im Ring gegenüber, um den Weltmeistergürtel der WBA auszuboxen. Was folgte, war eine der größten Tragödien in der Historie des Sports.

Mancini gewann den unglaublich intensiv geführten Kampf durch K.o. in der 14. Runde und verteidigte seinen Titel. Kim wurde noch im Ring bewusstlos und fiel auf dem Weg ins Krankenhaus in ein Koma, aus dem er nicht mehr aufwachen sollte. Er verstarb vier Tage später am 17. November, am Donnerstag vor 29 Jahren. Dies ist die Geschichte des Kampfes, der weitreichende Folgen haben sollte.

Ray Mancini kam 1961 in der boomenden US-Stahlstadt Youngstown (Ohio) als Sohn des ehemaligen Profiboxers Lenny "Boom Boom" Mancini zur Welt. Wie sein älterer Bruder Lenny Jr. trat er in die Fußstapfen des Vaters, der in den `40ern bereits vor einem Titelkampf stand, doch einen Monat vor seiner Chance auf den WM-Gürtel eingezogen wurde. Im Zweiten Weltkrieg schwer verwundet, konnte er nie mehr in den Ring zurückkehren.

Ray übernahm den Kampfnamen seines Vaters - "Boom Boom" - und ging als 18-Jähriger nach New York, um es als Profi bis ganz nach oben zu schaffen. Sein älterer Bruder war der talentiertere Boxer, Lenny Jr. mangelte es aber an der richtigen Einstellung. Sein von Affären geprägter Lebenswandel führte dazu, dass er am Valentinstag 1981 von seiner Freundin im Streit erschossen wurde. Der erste große Schock im Leben von Ray Mancini.

Bereits in den `70ern hatte in Youngstown der Niedergang der Stahlindustrie begonnen und die Stadt bot den Menschen immer weniger Jobs und Perspektiven. Ray Mancini wurde zum letzten Symbol einer zu Ende gehenden Epoche, weil er sich zwischen den Seilen nicht durch Finesse oder Grazie auszeichnete, sondern mit großem Kämpferherz, eiserner Moral und unermüdlichem Willen bestach. Er ließ sein wachsendes Publikum nie im Stich, was Trainer David Wolf und der Fernsehsender CBS früh erkannten.

Mancini wurde zum Helden der US-amerikanischen Arbeiterklasse stilisiert, wozu auch seine irisch-italienische Abstammung ihren Teil beitrug. Außerdem sollte er endlich den Titel holen, der laut der Marketingstrategie schon seinem Vater zugeständen wäre. Hätte es Sylvester Stallones erster "Rocky"-Film nicht schon 1976 in die Kinos geschafft, "Boom Boom" wäre die perfekte Vorlage dafür gewesen. In einer Zeit, als mit Marvin Hagler, Thomas Hearns, Larry Holmes und Sugar Ray Leonard bessere US-Boxer aktiv waren, konnte es in Sachen Popularität keiner der vier Afroamerikaner mit dem weißen Mancini aufnehmen.

Mancini unterlag in seinem ersten WM-Kampf 1981 der Boxlegende Alexis Arguello aus Nicaragua durch K.o. in der 14. Runde. Er hielt dabei aber zehn Runden lang bravourös mit dem um ein Vielfaches erfahreneren Arguello mit und verdiente sich Respekt.

Sieben Monate später sollte Mancini dann endlich den Weltmeistergürtel umschnallen können, auf den seine Familie schon so lange gewartet hatte. Gegen Arturo Frias gewann er nach einem spektakulären, aber äußerst kurzen Duell noch vor dem Gong zum Ende der ersten Runde durch K.o. Nur 17 Monate nach dem Tod seines Bruders war er WBA-Leichtgewichtsweltmeister. Die erste Titelverteidigung gegen Ernesto Espana ging glatt.

Der ärmlichsten Verhältnissen entstammende Südkoreaner Kim Duk-koo hatte sich durch seine Kampfstatistik von 17 Siegen und einer Niederlage an die Spitze der möglichen Herausforderer gesetzt. Er war Ostasien-Meister und hatte seinen Titel bereits drei Mal verteidigt, allerdings nur einmal außerhalb Südkoreas geboxt.

Für das Lager von Mancini war er zunächst ein großer Unbekannter, über den man kaum etwas wusste und den man nicht als ernstzunehmenden Gegner ansah. Vor dem auf 15 Runden angesetzten Kampf hatte Kim erst zwei Mal über zwölf Runden gehen müssen.

Kim war sich bewusst, dass dies seine einzige Chance auf einen WM-Titel und die großen Börsen im Westen sein würde. Er setzte alles daran, als Sieger und Volksheld nach Südkorea zurückzukehren.

Nach einem Interview vor dem Kampf sah Royce Foure, ein Journalist aus Las Vegas, dass Kim koreanische Schriftzeichen auf einen Lampenschirm im Hotelzimmer gemalt hatte und fragte nach deren Bedeutung. Ein Übersetzer erklärte ihm, dort stehe "leben oder sterben", was später fälschlicherweise mit "Töte, oder du wirst getötet" wiedergegeben wurde. Den US-amerikanischen Beobachtern wurde zunehmend klarer, dass dieser Mann es ernst meinte. Wie ernst, sollte sich erst auf tragische Art und Weise zeigen.

Mancini und Kim traten sich an einem Samstagnachmittag in einem Freiluftring vor den Toren des Caesars-Palace-Hotel gegenüber. Sobald der Kampf freigegeben war, stürzten die beiden aufeinander zu und schon der erste Schlag - ein harter Haken Kims zum Körper - machte klar, wie grenzwertig diese Ringschlacht verlaufen sollte.

Die Boxer legten enormes Tempo an den Tag und bestritten einen Großteil des Duells im Infight oder der gefährlichen Halbdistanz. Sie kämpften Stirn an Stirn, ein Kräftemessen der Willensstärke. Kim machte seine martialischen Ankündigungen wahr und gewann einige der frühen Runden. Nach einer Serie Mancinis in der Dritten riss er die Hände in die Höhe um auszudrücken, wie wenig er von den Schlägen des Champions beeindruckt war.

Mit Fortdauer des Gefechts ließen bei beiden die Kräfte nach, doch Mancini dominierte die Runden und hielt die Ringmitte. Weil aber Kim Runde für Runde kurz vor dem Gong seinerseits Attacken setzte, blieb der Kampf offen und niemand zweifelte an der Fähigkeit des Boxers, sich verteidigen zu können.

Zu Beginn von Runde 14 stürmte Mancini auf Kim zu, erwischte ihn mit zwei linken Haken und brachte ihn mit einer rechten Geraden auf die Bretter. Kim landete auf dem Rücken und schlug mit dem Hinterkopf auf. Nach wenigen Sekunden kam er wieder hoch, doch der Kampf war zu Ende. Das brutale Schauspiel, bei dem beide Akteure über ihre Grenzen gegangen waren, hatte ein Ende gefunden.

Wenige Minuten später verlor Kim noch im Ring das Bewusstsein und wurde umgehend ins Krankenhaus gebracht. Bereits auf dem Weg dorthin fiel er in ein Koma, die Mediziner stellten eine Hirnblutung fest. Seine Mutter wurde eingeflogen und als man ihr glaubhaft versichert hatte, dass der 23-Jährige nicht mehr zurückkehren würde, ließ sie die lebenserhaltenden Maßnahmen nach vier Tagen einstellen. Kim Duk-koo erlag am 17. November 1982 den erlittenen Verletzungen.

Kims Tod schockierte nicht nur die Boxwelt, sondern forderte in den folgenden Monaten zwei weitere Leben. Seine von Trauer gezeichnete Mutter ertrug die innerfamiliären Streitereien um die Kampfbörse von 30.000 US-Dollar nicht und beging Suizid. Weil er den Kampf nicht früher gestoppt hatte, fügte sich der von Selbstvorwürfen geplagte Ringrichter Richard Green unter nie exakt geklärten Umständen selbst eine tödliche Schusswunde zu.

Mancini kehrte zwar in den Ring zurück, war aber nie mehr der Fighter von zuvor. Von acht späteren Duellen verlor er vier und beendete seine Karriere 1992. Vor dem Kampf ein beliebter Werbeträger, war er auf einen Schlag toxisch geworden und viele distanzierten sich von ihm.

Der Sport erlitt eine Imagekrise, von der er sich bis heute nicht wirklich erholt hat. Allerdings führte die Tragödie zu signifikanten Regeländerungen. Allen voran die Reduktion der Rundenanzahl von 15 auf 12 wurde von den Akteuren dankbar aufgenommen, wie sich Österreichs Boxexperte Sigi Bergmann erinnert. Die WBC reagierte schon 1982 mit der Regelanpassung, WBA und IBF folgten 1987, die WBO mit Gründungsdatum 1988. Außerdem wurden medizinische Untersuchungen wie EKG-, Hirn- und Lungentests vor den Kämpfen zur Pflicht erklärt. Bergmann: "Ich glaube schon, dass diese Änderungen Sinn gemacht haben."

20 Jahre nach dem schrecklichen Ereignis wurde Kim in Südkorea 2002 mit dem Film "Champion" von Kwak Kyung-Taek ein Denkmal gesetzt. Ray Mancini war bei der Premiere vor Ort und wurde vom Publikum freundlich empfangen.