Sport

Die Sportnation Russland zerfällt

Noch hat das Internationale Olympische Komitee (IOC) keine Entscheidung getroffen. Noch ist nicht sicher, ob Russland nach dem Staatsdoping-Skandal an den Spielen in Rio (ab 5. August) teilnehmen wird dürfen.

Der KURIER beantwortet die wichtigsten Fragen zur Causa:

Was hat das IOC gestern beschlossen?

Nicht viel. Die russischen Leichtathleten wurden schon zuvor vom Internationalen Leichtathletikverband (IAAF) gesperrt und dürfen nicht in Rio starten, sofern der Internationale Sportgerichtshof (CAS) am Donnerstag nicht anders entscheidet. Diese Entscheidung wartet das IOC ab. Allerdings beschloss das IOC gestern bereits andere Maßnahmen: So dürften weder Offizielle des russischen Sportministeriums noch andere im Report der Welt Anti-Doping-Agentur (WADA) erwähnten Personen zu den Olympischen Spielen reisen. Zudem wird das IOC keine Sportveranstaltungen in Russland organisieren. Dies schließt auch die Europa-Spiele 2019 ein. Außerdem werden sämtliche Dopingproben der russischen Athleten, die 2014 an den Winterspielen in Sotschi teilgenommen hatten, noch einmal analysiert.

Was haben die Russen Verbotenes getan?

Die Vorwürfe im 97-seitigen Bericht der WADA sind schwerwiegend: Russland hätte jahrelang Doping im Spitzensport staatlich gestützt und gefördert. Zum Beispiel:

Das Moskauer Anti-Doping-Labor gab falsche Testergebnisse bekannt. Daran beteiligt war die russische Anti-Doping-Agentur, das Sportministerium und der Inlandsgeheimdienst FSB.

Die Entscheidung, welche Proben verschleiert wurden, traf der stellvertretende Sportminister Juri Nagornich.

Für das Labor in Sotschi wurde ein neues System entworfen. Teil davon war, Proben von russischen Athleten während der Nacht zu öffnen und "unreinen Urin mit reinem auszuwaschen". Der FSB entwickelte die Methode, die versiegelten Proben zu öffnen. Dies geschah in einem Nebenraum. Durch ein Loch in der Wand wurden die Urinproben durchgereicht.

Von 2012 bis 2015 sind 643 positive Doping-Proben russischer Athleten in rund 30 Sportarten verschwunden. Die Proben wurden damit negativ.

Betroffen sind neben Olympia in Sotschi 2014 auch die Leichtathletik-WM 2013 in Moskau und die Schwimm-WM 2015 in Kasan.

Was hat der Fußball mit dem Skandal zu tun?

Unter den 643 verschwundenen Dopingproben waren elf aus dem Fußball. Besonders heikel ist die Rolle des mächtigen Sportministers Witali Mutko. Der 57-Jährige ist Mitglied im FIFA-Council – zuvor im Exekutivkomitee. Zudem ist er Präsident des russischen Fußballverbandes und Chef des Organisationskomitees für die WM 2018 in Russland. Im WADA-Bericht wird eine Mitwisserschaft Mutkos an der Vertuschung von Doping angedeutet. Dies zeigt auch eine ARD-Doku des Doping-Aufdeckers Hajo Seppelt.

Wie reagiert Russland?

Regierungschef Dmitri Medwedew suspendierte den stellvertretenden Sportminister Juri Nagornich. Auch Wladimir Putin kündigte an: "Funktionäre, die in dem Bericht als direkt Beteiligte genannt werden, sollen bis zum Ende der Untersuchungen suspendiert werden." So wie gestern Mutkos Anti-Doping-Beraterin Natalia Schelanowa.

Putin sprach vom Rückfall in die 1980er-Jahre, als der Westen die Spiele 1980 in Moskau und die UdSSR die Spiele 1984 in Los Angeles boykottierte. Der Sport sei als Geisel genommen worden. "Jetzt beobachten wir eine Einmischung der Politik in den Sport." Zudem basiere der Report auf den Aussagen eines Mannes mit "skandalösem Ruf". Gemeint ist Grigori Rodschenkow.

Welche Rolle spielte Grigori Rodschenkow?

Der 58-Jährige leitete bis 2015 das Anti-Doping-Labor in Moskau. Danach packte er aus. Inzwischen hält er sich in den USA auf, weil er in Russland um seine Sicherheit bangt. Zu Recht, wie die Reaktion von Dmitri Swischtschjow erahnen lässt. Der Vorsitzende des Sportausschusses bezeichnete ihn als "Schurke" und "Verleumder" und sagte: "Er sollte festgenommen und an unsere Justiz ausgeliefert werden."

Was wurde aus der zweiten Whistleblowerin Julia Stepanowa?

Auch sie lebt jetzt in den USA. Die Kronzeugin ist mitverantwortlich dafür, dass das Dopingsystem aufgedeckt wird. Dafür erhielt sie nun den Anti-Doping-Preis der Opferhilfe. In Rio wird sie wohl über die 800-Meter-Strecke starten, vermutlich unter der neutralen Flagge.

Wie ist die ganze Causa einzuordnen?

Es handelt sich um einen der größten Doping-Skandale der Sportgeschichte. Größer als der Fall Armstrong, vergleichbar nur mit dem staatlichen Zwangsdoping in der DDR.

Was sagt das offizielle Österreich?

Sportminister Doskozil ist für einen Ausschluss: "Hier sollte man hart durchgreifen. Es geht um Fairness gegenüber den sauberen Athleten."

Wird jetzt alles besser?

Gegenfrage: Geht’s noch schlimmer? Der Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes spricht jedenfalls von einer Riesenchance. Dieser McLaren-Report könne der Beginn für umfassende Reformen im gesamten Sport sein.