Wenn Schule plötzlich keinen Spaß mehr macht
So stolz ist Oskar am ersten Schultag. Endlich gehört auch er zum erlauchten Kreis der Schüler! Doch wenig später tauchen erste Wolken am Schulhimmel auf. Oskar merkt, dass er beim Anziehen nach dem Turnen immer der Letzte ist. Während er seine Schuhe bindet, spürt er alle Blicke auf sich gerichtet. "Kindern ist so etwas sehr unangenehm", sagt Elisabeth Fuchs, ehemalige Volksschullehrerin und jetzt Bezirksschulinspektorin im Wiener Stadtschulrat. Es seien "eher die überbehüteten" Kinder, die eine gewisse Selbstständigkeit und Routine beim An- und Ausziehen, dem Packen der Schultasche oder dem Essen vermissen lassen. Leon hat ein anderes Problem. Er war von der Kindergartenpflicht ausgenommen, weil dieser zu weit weg war. Jetzt hat er Schwierigkeiten, sich in der Gruppe zurechtzufinden. "Taferlklassler, die keinen Kindergarten besucht haben, wollen teilweise keine Regeln akzeptieren, andere wiederum trauen sich nichts sagen", weiß Fuchs. Zwei klassische Einstiegsprobleme, aber längst nicht die einzigen. "Prinzipiell gilt: "Wer sich sprachlich schwertut, ist klar im Nachteil. Überhaupt, wenn noch ein bildungsfernes Milieu dazukommt", so der Wiener Interdisziplinär-Pädagoge und Lernberater Robert Moritz.
Abgesehen davon sind sechs Jahre nicht gleich sechs Jahre. Innerhalb einer ersten Klasse gibt es stolze elf Monate Altersunterschied und mehr. Außerdem divergieren die individuellen Reifungsprozesse stark. Die Folge ist eine enorme Heterogenität in der Klasse. Das Vorwissen verstärkt diese nochmals: Die einen haben schon Addieren bis 10 und die Buchstaben gelernt, für andere ist beides Neuland. "Das kann bei Schuleintritt leicht einen Kulturschock der Leistungskultur auslösen: Den schwächeren Kindern wird dies schnell schmerzlich bewusst", so Moritz.
Tal der Tränen
"Bis zu acht Schulanfänger pro Klasse weinen oft bis in den November hinein regelmäßig", weiß Moritz, der einst selber zu dieser Gruppe gehörte. "Solche Kinder bauen die Bindung zur Lehrerin nur sehr zögerlich auf und vermissen die Eltern daher stark." Das treffe entwicklungsbedingt doppelt so häufig auf Buben zu. Das Finden neuer Freunde sollte helfen. "Bei hartnäckigeren Fällen wissen Schul- und Kinderärzte Rat. Gröbere Konzentrationsschwierigkeiten haben laut Moritz vor allem jene, "deren Aufmerksamkeitsspanne wesentlich unter zwölf Minuten liegt." In der Schulstunde und bei der Hausübung kurz abzuschweifen, ist dagegen normal. Bei drei bis fünf Prozent gehen die Probleme in Richtung Zappelphilipp-Syndrom, im Fachterminus ADHS (Aufmerksamkeitdefizit-/Hyperaktivitätsstörung). "Eine Diagnose, die zu oft und zu schnell erfolgt", betont Moritz allerdings. Es gibt nämlich einen wichtigen Unterschied zum lebhaften Lauser: die große Rastlosigkeit. "Solche Kinder sind oft nicht in der Lage auf die Frage: "Was tust du gerade?" eine vernünftige Antwort zu geben." Moritz rät, "das Verhalten über Wochen zu beobachten und bei Verdacht sowohl Kinderärzte als auch Kinderpsychiater und andere Pädagogen und Betreuungspersonen zu konsultieren."
Vergleichsweise harmlos sind da verdrehte Buchstaben oder deren Verwechslung. "Erst wenn sich das nach ein paar Wochen trotz Üben nicht bessert, kann eine Lese-/Rechtschreibschwäche dahinterstecken", sagt Inspektorin Fuchs. Sie rät Eltern, die den Eindruck haben, ihr Kind bleibe zurück, sofort die Lehrerin zu konsultieren und nicht zu warten, bis diese sich an sie wendet. Denn das könne angesichts von 24 anderen Schülern länger dauern. Totschweigen sollten Eltern und Verwandte hingegen ihre eigenen negativen Schulerlebnisse gegenüber dem Kind. Moritz: "Die meisten Taferlklassler freuen sich auf die Schule. Diese positive Einstellung kann man schüren, indem man die wichtige neue Rolle des Schulkinds betont."