Politik

Wie deutlich muss die Gewalt sein?

Die Forderung der Grünen nach einer Gleichstellung von behinderten und nicht behinderten Opfern im Sexualstrafrecht hat heftige Debatten ausgelöst. Der KURIER hat berichtet: Beim sexuellen Missbrauch einer wehrlosen Person (§ 205 Strafgesetzbuch) wird davon ausgegangen, dass mangels Widerstandsfähigkeit des Opfers vom Täter gar keine Gewalt eingesetzt werden musste - weshalb das Delikt mit höchstens fünf Jahren Haft bedroht ist. Die "typische" Vergewaltigung (§ 201) ist hingegen mit bis zu zehn Jahren Haft zu bestrafen.

Populismus

Während für den Wiener Strafrechtsprofessor Frank Höpfel sehr wohl Diskussionsbedarf besteht ("man hat diesen Punkt bisher zu wenig gesehen"), versteht Sektionschef Christian Pilnacek vom Justizministerium die Aufregung nicht: Die Forderung nach einer Gesetzesänderung sei "Grüner Strafrechtspopulismus". Man werde den Antrag behandeln, aber die Vergewaltigung einer Person - ob wehrlos oder nicht - sei ohnehin mit bis zu zehn Jahren Haft bedroht, wobei zur Annahme der Gewalt schon ein bloßes Festhalten am Arm genüge.

Doch sie muss jedenfalls sichtbar sein, die Gewalt, um strengere Strafen auszulösen, und das Kriterium zieht sich durch das Strafgesetzbuch. Mit Ausnahme des sexuellen Missbrauchs von Kindern. Dieser steht (§ 206) auch ohne Gewalt unter einer Strafdrohung von bis zu zehn Jahren, ganz genau so wie die Vergewaltigung von (gesunden) Erwachsenen. Aber auch der Tatbestand "Menschenhandel" unterscheidet zwischen Opfern, die mit Gewalt oder Drohung sexuell ausgebeutet werden (bis fünf Jahre Haft Strafdrohung) und solchen, die unter Ausnützung eines wehrlosen Zustandes oder einer Autoritätsstellung dazu gebracht werden (nur bis drei Jahre). Auch hier nimmt der Gesetzgeber an, dass (geistig) beeinträchtigte Personen die Tragweite nicht erkennen und der Täter daher gar keine Gewalt einsetzen muss, wofür er mit geringerer Strafe belohnt wird.

Anderes Beispiel: der weit verbreitete Handyraub. Bei Gewalt (Drohung durch Waffe) stehen bis 15 Jahre Haft im Gesetz. Findet der Täter ein wehrloses Opfer, ein Kind, eine geistig beeinträchtigte Person, braucht er gar keinen handgreiflichen Druck, um an das Handy zu kommen = maximal fünf Jahre. Wollte man diesen Grundsatz infrage stellen, "müsste man den Begriff 'Gewalt' im Strafgesetz überhaupt aufgeben", sagt Pilnacek.

Strafausmaß

Wobei: Die wohlüberlegtesten Strafrahmen nützen nichts, wenn die Richter sie nicht ausschöpfen. Es ist immer noch so, dass bei Vermögensdelikten relativ locker strenge Urteile gefällt werden, während sie zum Beispiel bei Sexualdelikten eher die Ausnahme sind.

Der Kriminalsoziologe Arno Pilgram führt das darauf zurück, dass es bei den Vermögensdelikten klarere Beweise gibt. Bei Sexualstraftaten stehe häufig Aussage gegen Aussage, weshalb die Richter beim Ausmaß der Urteile vorsichtiger seien. Überhaupt dann, wenn es in der Familie passiert: "Der Vater bleibt ja trotzdem der Vater, und mit dem Urteil wird das Kind mit bestraft", sagt Pilgram: "Deshalb tun sich Richter schwer, hier den Strafrahmen auszuschöpfen."

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