Politik

Venezuela: Ein Land im Schönheitswahn

Schönheit ist in Venezuela ein Muss. Das südamerikanische Land gilt als "Wiege der Missen", zahlreiche Schönheitsköniginnen stammen von dort. Missen sind die großen Vorbilder vieler Frauen und Mädchen, und Eltern finden es völlig normal, ihre Töchter bereits im Kindergartenalter in Model-Schulen zu schicken.

Das Geschäft mit der Schönheit boomt. In den vergangenen Jahren entstanden in den Städten immer mehr Beauty-Schulen, die sich regen Zulaufs erfreuen. Die bekannteste ist Gisselle’s in der Hauptstadt Caracas. Die Gründerin, Gisselle Reyes, 42, war selbst einmal Schönheitskönigin. In ihrer Schule werden Missen produziert wie am Fließband; seit 1993 bereitet Gisselle alle Missen auf den nationalen Schönheitswettbewerb vor.

Missen als Stars

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Dayana Mendoza etwa, die 2008 zur Miss Universum gewählt wurde, wurde dort ausgebildet. Die heute 26-Jährige ist in Venezuela ein Star, ebenso wie Ivian Sarcos, die Miss World 2011. Sie werden gefeiert wie Olympiasiegerinnen. Unzählige Mädchen eifern ihnen nach – unterstützt von schönheitssüchtigen Müttern, die schon Vierjährige auf eine Karriere im Model-Business vorbereiten lassen wollen.

Bei Gisselle’s werden zurzeit 160 Mädchen ausgebildet. Die meisten sind zwischen vier und elf Jahren alt. Sie lernen, wie man sich schminkt, frisiert und feminin posiert. Ganz wichtig: Die richtige Haltung und Schrittsetzung auf dem Laufsteg. "Arme locker, Hüften nach vorne!", ruft Andrea Reyes, die Nichte von Gisselle Reyes, ihren Schülerinnen zu. "Ich korrigiere die Mädchen möglichst viel, damit sie femininer werden", sagt sie.

Und erläutert: "Die Haare müssen immer in Ordnung sein. Make-up ist Pflicht, es sollte aber natürlich wirken. Und man sollte immer, immer hohe Absätze tragen." Sie selbst, so erklärt die 21-jährige Andrea Reyes, sei mit 1,60 Metern zu klein für eine Model-Karriere gewesen: "Um zur Wahl der Miss Venezuela zugelassen zu werden, muss man mindestens 1,70 Meter sein." Dennoch ist Aussehen für sie das zentrale Thema. "Schönheit ist unser Familiengeschäft. "Schönheit ist unsere Sprache." Weil die Ausstrahlung ebenso wichtig ist wie die Schönheit, werden die Schülerinnen auch in Rhetorik und Auftreten unterrichtet.

Absolut salonfähig sind auch Schönheitsoperationen: Von klein auf erfahren die Mädchen, dass es ganz normal ist, sich die Nase begradigen, Silikon implantieren oder Fett absaugen zu lassen. Und sie lernen schon früh die magischen Zahlen: 50 Kilogramm bei 1,70 Meter.

Natürlich werden nur die wenigsten Mädchen, die in den Beauty-Schulen ausgebildet werden, Topmodel oder Miss World. Doch das hindert die Venezolanerinnen nicht daran, den Beauty-Kult auszuleben. Schönheit ist in dem Land, in dem mehr als ein Drittel der Bevölkerung in Armut lebt, eine Ablenkung von den Nöten des Alltags. Wer die 100 Dollar monatlich für die Kurse nicht aufbringen kann, lebt seinen Kindern vor, wie wichtig Diät ist. Und es bleibt immer noch der Weg zur Bank – für Schönheits-OPs gibt es Kredite, nicht aber fürs Auslandsstudium.

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