Politik

Urteil: Duschen ist Privatsache

Die Brausetasse steht auf Stelzen, ist außen 32,7 cm und innen 9,5 cm hoch. Für europäische Verhältnisse ungewöhnlich. Das Ein- und Aussteigen erfordert also ein ziemliches Quantum an Geschicklichkeit. Dazu kommt: Vor der Dusche befindet sich ein glatter Bodenbelag ohne Vorleger.

Das ist halt offenbar so üblich, in St. Petersburg. Dorthin war die Wiener Volksschullehrerin F. im Auftrag der Schulbehörde für ein Migrationsprojekt gereist. Sie konnte sich ihre Unterkunft nicht aussuchen, sondern musste dankbar die Gastfreundschaft der ortsansässigen Bildungsbeauftragten annehmen. Und in deren Wohnung steht besagte Brausetasse samt wackeliger Duschwand.

Am ersten Tag ging F. gar nicht duschen. Zu gefährlich. Am zweiten Tag war es nicht mehr zu vermeiden. Als die Lehrerin barfuß aus der Dusche stieg, rutschte sie aus und stürzte. Sie erlitt einen Bruch des Rabenschnabelfortsatzes der rechten Schulter und ist fortan zu 20 Prozent invalide. Nach ihrer Heimkehr begehrte F. Versehrtenrente. Immerhin war sie ja dienstlich nach Russland gefahren, also ist das wohl auch ein unter Unfallversicherungsschutz stehender Dienstunfall.

Persönlich

Irrtum. Das Duschen ist - ganz egal, wo - "eine dem persönlichen Lebensbereich zuzurechnende Verrichtung, der jeder Mensch unabhängig von seiner beruflichen Tätigkeit nachzugehen pflegt", sagt das Oberlandesgericht Wien. Der Oberste Gerichtshof bestätigte diese Ansicht.

Es wird zugegeben, dass von dieser Brausetasse wegen ihrer ungewöhnlichen Höhe zwar eine größere Gefahr ausgegangen sei. Aber nasse Fliesen in Badezimmern seien ein allgemein bekanntes Risiko, so dass man nicht von einer besonderen Gefahrenquelle am Ort der Dienstreise sprechen könne.

Man lernt daraus: Nicht jedes Unglück, das einem auf Dienstreisen oder dem Weg zur Arbeit widerfährt, ist ein Dienstunfall. Das musste auch ein Lkw-Fahrer erfahren, der unterwegs in einer Autobahn-Raststätte ein Cordon Bleu verzehrt, den darin verborgenen Zahnstocher verschluckt und sich den Darm perforiert hatte. Auch das Essen ist eine "eigenwirtschaftliche Tätigkeit zur Befriedigung der lebensnotwendigen Bedürfnisse", erklärte der OGH und wies die Klage auf Versicherungsleistungen ab. Mit dem Schlafen verhält es sich im Prinzip nicht anders. Einer Schülerin, die beim Schulskikurs aus dem Stockbett gefallen war, wurde aber sehr wohl Entschädigung der Unfallversicherung zugesprochen. Dieses Unglück wertete der OGH als eine Art Arbeitsunfall, weil das Mädchen geänderten Schlafverhältnissen ausgesetzt war.