Politik

Türkei: Abtreibungsrecht auf der Kippe

Viele Frauen hier sind schockiert", sagt Diba Nigar Göksel, Chefredakteurin des Politik-Journals Turkish P­olicy Quarterly, wenn man sie auf das geplante Gesetz anspricht: Die konservativ-islamische Regierungspartei AKP von Recep Tayyip Erdogan will das Recht auf Abtreibungen beschränken. Bald soll es nur mehr bis vier Wochen nach Empfängnis möglich sein, eine Schwangerschaft abzubrechen. Ausnahmen soll es nur in Notfällen geben. Bisher waren es zehn Wochen, Gründe musste man keine nennen.

Die geplante Regelung käme einem Verbot gleich, da Schwangerschaften oft erst später entdeckt werden, heißt es seitens der Frauenverbände. Ob eine Abtreibung nach einer Vergewaltigung gestattet sein soll, ist Gegenstand heftiger, emotional geführter Debatten.

"Das Thema kam ganz plötzlich und ohne jeden Anlass aufs Tapet", so Göksel. Tatsächlich glaubten viele nur an ein Ablenkungsmanöver. Erdogan stand unter Druck, nachdem im letzten Dezember in Uludere 35 Schmuggler mit kurdischen Extremisten verwechselt und getötet worden waren. "Was redet ihr von Uludere? Durch Abtreibungen in unserem Land finden täglich Morde statt", sagte der Premier. Erdogan meinte seinen Vorstoß ernst und macht nun Tempo: Schnell gab es einen Gesetzesentwurf, noch vor der Sommerpause soll die Regelung stehen.

Dass Tausende Frauen allein am Wochenende in Ankara, Istanbul und Eskisehir auf die Straße gingen, um das seit 1983 bestehende l­iberale Gesetz zu erhalten, interessiert die Regierung Erdogan nicht. Stattdessen sagt sein Gesundheitsminister Recep Akdag: "Der Staat kann sich ja um die ungewollten Kinder kümmern."

 

Führungsanspruch

"Das ist Teil eines regionalen Führungsanspruchs der Türkei. Sie will international, besonders aber in der arabisch-muslimischen Welt eine prominentere Rolle spielen", sagt Nigar Göksel. "Im politischen Leben ist der Konservativismus auf dem Vormarsch. Das hat auch Auswirkungen auf das soziale Leben. Ob die Konservativen mehr geworden sind, weiß ich nicht, aber sie sind jetzt selbstbewusster", so die Journalistin.

"Erdogan empfiehlt jeder Türkin, mindestens drei Kinder zu haben. Zudem hat er mehrmals gesagt, Abtreibungen seien Teil einer ausländischen Verschwörung, um die Türkei zu bremsen", sagt Göksel. Die Annahme der AKP, durch mehr Geburten werde die Türkei wirtschaftlich erstarken, ist für sie kein Argument: "Die Abtreibungen werden ja nicht weniger, sie werden nur illegal. Die Frauen werden Kurpfuschern in die Hände getrieben. Außerdem werden so immer mehr aus dem Arbeitsleben gedrängt. Die Wirtschaft gewinnt daran nicht.