Trotz Verbots: Immer mehr Bettler in Städten
Es ist alles schlimmer geworden. So viele Bettler hatten wir noch nie." Pfarrer Wolfgang Pucher zieht Bilanz, was das seit einem Jahr gültige Bettelverbot in Graz gebracht hat. "Die Befürworter dachten, sie sind die Roma los. Das Gegenteil ist passiert."
Es gebe quasi die "guten" Roma aus Hostice, Ostslowakei. Die 50 bis 70 Männer und Frauen werden in Graz von der Vinzenzgemeinschaft umsorgt. Sie verkaufen das Magazin Global Player. Vinzi-Roma helfen in Pfarren aus, nur wenige finden einen Job, wie Tomas. Und es gibt ungebetene Gäste. "Die sind zäh, die sind aggressiv. Die sitzen nicht still am Boden. Sie gehen von Tür zu Tür. Manche haben ganz kleine Kinder mit", sagt Pucher. Heuer gab es in Graz laut Polizei 20 Anzeigen.
In Wien hat das Phänomen "Betteln" eine weit größere Dimension. Das zeigt die Anzeigenstatistik. Vor zwei Jahren waren es 1100 Anzeigen. "Einschließlich April hatten wir heuer bereits 555", erklärt Josef Koppensteiner, der stellvertretende Leiter der sicherheitspolizeilichen Abteilung in Wien. Rechnet man die Zahl hoch, wird es zu Jahresende einen Anzeigen-Rekord geben. Dazu kommen noch jährlich 300 Festnahmen in Wien – zumeist wegen offener Verwaltungsstrafen. In NÖ gab es im Vorjahr 43 Anzeigen, in OÖ 113 und 171 Organstrafverfügungen.
Die Bedürftigen sind deshalb nicht verschwunden. Viel dürfte die Verbotspolitik also nicht bringen – außer viele Anzeigen, Verwaltungsstrafen und Festnahmen.
Und wie geht es den Bettelnden in Wien? "Die Situation der Menschen hat sich massiv verschlechtert", sagt Ferdinand Koller von der Wiener Bettellobby. Es tue sich ein Teufelskreis auf: Um die Geldstrafen zu bezahlen, müsse noch mehr gebettelt werden. "Es wird sehr hart vorgegangen. Man sieht aber, dass es nichts bringt."
Beschwerden
Er fordert die Aufhebung der Verbote und unterstützt jene Wienerin, die vor dem Verfassungsgerichtshof (VfGH) das Gesetz zu Fall bringen will. Den Höchstrichtern bescheren die Regelungen viel Arbeit: Auch jene aus OÖ, Salzburg, der Steiermark und Kärnten werden vor dem VfGH bekämpft. Sie müssen drei Fragen klären: Ist ein solches Gesetz Landes- oder Bundeskompetenz? Wird in das Recht auf freie Erwerbsfreiheit oder in jenes auf ein Privatleben eingegriffen? Eine Entscheidung für OÖ und Wien soll im Herbst fallen.
In Salzburg kommen trotz Verbots mehr Bettler in die Stadt. "Seit einigen Wochen sind Gruppen mit Kindern unterwegs. Ein bis zwei Mal pro Monat heben wir mit der Polizei ein Zeltlager mit 10 bis 15 Personen aus", erzählt ÖVP-Vizebürgermeister Harald Preuner. Unter der Situation leiden auch Verkäufer der Salzburger Zeitung Apropos. Wie in Graz und Wien läuft das Geschäft schlecht. Der Kunde unterscheide nicht zwischen Apropos-Verkäufern und stigmatisierten Roma. "Die Leute weichen allen aus", sagt Vertriebsleiter Hans Steininger.
Angesichts des zahnlosen Gesetzes denkt Preuner über eine weitere Verschärfung nach: "Wir bräuchten eine österreichweite Bettler-Datenbank." Dass organisierte Banden am Werk sind, leitet er daraus ab, dass Vortrupps ihre Lager ausstatten.
Banden? Kriminell? Ferdinand Koller hält die Rede von der Bettel-Mafia in den meisten Fällen für ein Märchen. "Ja, viele sind organisiert, aber familiär." Für Koller ist die Mär von Banden paradox: Man erkläre immer, mit dem Verbot gegen Menschenhändler vorzugehen, bestrafe aber die Bettler. Koller: "Für Kriminalfälle hat das Strafgesetz richtige Instrumente. Dafür braucht es kein Bettelverbot."
Übrigens: In Graz versprachen Politiker mit der Einführung des Bettelverbots Finanzhilfe für das slowakische Hostice. Gebracht hat auch das wenig bis nichts.
Rettung für den Augustin naht
Die Rettungsaktion der finanzmaroden Wiener Straßenzeitung Augustin scheint zu gelingen: Bis zum Wochenende fanden sich bereits mehr als 200 Unterstützer, die das Projekt mit 25 Euro pro Monat finanzieren. Nötig sind laut Betreiber 333.
Wie berichtet fehlen der von Obdachlosen verkauften Zeitung über das Jahr 100.000 Euro. Damit ist der Fortbestand des 1995 gestarteten Projekts massiv gefährdet. Ursache der Krise: Die Zeitungsverkäufe gingen zuletzt um zehn Prozent zurück. Augustin-Sozialarbeiter Andreas Hennefeld macht dafür unter anderem die wachsende Stimmung gegen Roma und Sinti in Österreich verantwortlich. Rund ein Drittel der Augustin-Kolporteure gehört dieser Gruppe an. "Sie werden oft mit Bettlern gleichgesetzt."
"Massiv schaden uns auch Menschen, die die Zeitung verkaufen, ohne eine Berechtigung dafür zu haben", sagt Hennefeld. "Leider können wir nicht mehr als 500 Verkäufer aufnehmen. Seit Herbst müssen wir Bewerber wegschicken."
Manche davon würden sich über inoffizielle Wege mit Zeitungen versorgen, dann tatsächlich aber oft mehr betteln als verkaufen. "Wobei es sich auch bei ihnen um Menschen handelt, die massiv von Armut betroffen sind."
Roma: Erst ein Job – "und jetzt eine Frau"
Tomaš hat’s geschafft. Der 35-jährige Slowake hat bei der Firma Saubermacher einen Job bekommen, er sortiert Elektromüll. "Alles super", freut sich der Rom. "Meine ältere Tochter geht ins Gymnasium", sagt er. Die jüngere sei leider blind. 1000 Euro bekommt Tomaš für den Vollzeitjob. Das Geld schickt er nach Hause, alle paar Wochen besucht er seine Familie in Hostice. Apri ist auch bei Saubermacher. Zwei Kinder und die Verwandtschaft hat er zu versorgen. Roman, der Dritte im Bunde, ist ledig. Noch. "Jetzt suche ich mir eine Frau."
Nicht allen geht’s so gut wie diesen Roma. Hostice hat 980 Einwohner. 90 Prozent der Roma sind arbeitslos. "Viele wissen nicht, wie sie ihre Familien ernähren sollen", sagt Nora Musenbichler vom Vinzi-Werk.
Soziologie: "Niemand vertreibt Clochards"
Durch die lange Zeit liberale Politik in Graz gegenüber Bettlern akzeptiert ein Teil der Bevölkerung ihre Anwesenheit. Es stört die Leut’ nicht massiv. Sie gehen hin, geben regelmäßig Geld. Manche haben sogar spezielle Förderfreunde." Der Grazer Soziologe Christian Fleck bezeichnet diese Entwicklung als merkwürdiges Phänomen, Graz als interessantes soziologisches Experimentierfeld. "Touristen sind vielleicht verwundert, ihnen dürfte Graz wie eine Bettlerhauptstadt vorkommen." Das relativ freundliche Klima führt Fleck auch auf Initiativen prominenter Grazer zurück, die aktionistisch in die Rolle von Bettlern geschlüpft waren.
Das Bettelverbotsgesetz habe keine gravierende Meinungsänderung bewirkt. "Eine restriktive Politik ist nicht wirklich zukunftsfähig." Vor der FPÖ, die sich am meisten aufgeregt habe, sei wohl ein Kniefall gemacht und diese Quasibestimmung erlassen worden. In Graz herrsche ein Traditionsbild über Bettler vor, das vergleichbar mit den Clochards in Paris sei. "Niemandem an der Seine wird es in den Sinn kommen, die Obdachlosen zu vertreiben."