Politik

Testfall Deutsch für Türken

Sowohl Unsicherheit als auch Neugier sind unter einer Gruppe von Migranten derzeit besonders groß: Es geht um in Österreich lebende Zuwanderer aus der Türkei und solche unter ihnen, die Familienmitglieder nach Österreich holen wollen. Durch höchstgerichtliche Urteile (Europäischer Gerichtshof und Verwaltungsgerichtshof) sind für sie zahlreiche Verschärfungen, die es seit Mitte der 1990er-Jahre im Fremdenrecht gab, ungültig. Hintergrund sind Abkommen der EU mit der Türkei, die schon vor Österreichs EU-Beitritt galten. Fremdenrechtsanwalt Helmut Blum, der einen Fall bis zum EuGH brachte: "Man kann sagen, dass nun die Rechtslage von 1995 der Maßstab ist."

Verbot

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Dem Prinzip nach geht es um ein Verschlechterungsverbot für engere Familienangehörige, die beabsichtigen, in Österreich zu arbeiten. Vieles, was die Politik an Erschwernis für Zuzug und an Auflagen für Integration propagiert und beschlossen hat, ist hinfällig. Etwa: Deutsch vor Zuzug; Mindestalter eines Ehepartners von 21 Jahren sowie die Integrationsvereinbarung, die jene zu einem Nachweis an Deutschkenntnissen verpflichtet, die ihren Aufenthalt verlängern wollen. Die letzte Novelle dazu trat erst im Juli 2011 in Kraft.

In einem Rundschreiben hat das Innenministerium vor Kurzem die Einwanderungsbehörden informiert, für welche Personen die Ausnahmen gelten: Daraus geht hervor, dass nicht nur – wie ursprünglich angenommen – türkische Angehörige von Österreichern betroffen sind, sondern auch Ehepartner (sowie eingetragene Partner) und deren Kinder, die zu einem hier lebenden türkischen Staatsbürger ziehen wollen. Wer als reiner Arbeitsmigrant kommen will, für den gilt laut Ministerium – wie für alle Nicht-EU-Bürger auch – die Rot-Weiß-Rot-Card, die qualifizierte Facharbeiter anlocken soll.

Faktum ist, dass sich die Erkenntnisse der Richtersprüche herumsprechen. Auch türkische Medien haben darüber berichtet. "Es gibt bei uns viele Anrufe dazu. Die Leute wollen wissen, wie das jetzt ist – vor allem mit dem Deutschnachweis, bevor sie kommen können und mit dem Mindestalter des Ehepartners", erzählt Veli Cayci vom Beratungszentrum in Wien.

In der größten Einwanderungsbehörde des Landes, der Magistratsabteilung 35, wird seit einigen Wochen eine steigende Anzahl von Anfragen zum neuen Sachverhalt registriert. MA-35-Leiterin Beatrix Hornschall glaubt, dass wesentlich mehr Bestimmungen nicht mehr gelten, als das Innenministerium in seiner ersten Information annimmt. Hornschall: "Wir glauben, dass für die Betroffenen de facto der gesamte Rechtsbestand des Niederlassungs- und Aufenthaltsrechtes außer Kraft gesetzt wurde."

Für Hornschall ist das Gesetz, für dessen Anwendung es ein fast 300-Seiten starkes Kompendium gibt, um den Vollzugsbeamten eine Navigationshilfe zu geben, spätestens jetzt ein Reformfall. "Es ist nicht mehr so, dass jemand, der nach Österreich einreist, durch das Lesen des Gesetzes weiß, was gilt. Das ist rechtsstaatlich sehr bedenklich. Das Erteilen von Auskünften wird immer schwieriger."

Wie vielen Personen die günstigeren Bedingungen nützen und ob nun mehr türkische Zuwanderer kommen werden, kann das Innenministerium nicht sagen. Ministerin Johanna Mikl-Leitner hat sich öffentlich noch nicht zu der veränderten Rechtslage geäußert.

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