Politik

Staat setzt Sparstift bei Justizopfern an

Wie viel ist ein Tag in Freiheit wert? Die Frage müssen sich jene stellen, die unschuldig in Haft saßen. Der Staat knausert seit jeher, wenn es um die Entschädigung von Justizopfern geht. Nicht nur das: Er setzt bei Entschädigungszahlungen auch den Sparstift an. Opfer sind machtlos. Rechtsanwälte kritisieren die Wiedergutmachung als "mickrig".

Wie nun aus der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage der SPÖ durch die Justizministerin hervorgeht, wurden im Vorjahr 1.035.289,78 Euro an 145 Justizopfer ausbezahlt. Das waren um 107.546 Euro weniger als im Jahr 2010. Teilweise lässt sich dies mit einem Rückgang der Fälle – es waren um fünf weniger – erklären. Aber auch durch Kürzungen. Im Budget-Begleitgesetz wurde mit 1. Jänner 2011 der Haftentschädigungsbetrag von maximal 100 Euro pro Tag auf 20 bis 50 Euro gesenkt. Schon damals hagelte es Kritik, die bis heute nicht verstummt ist. "Die Beträge erlauben keinen würdigen Neueinstieg ins Leben", schimpft Josef Weixelbaum, Vizepräsident der Rechtsanwaltskammer.

Irren ist menschlich, und es kann jeden treffen. Das hat Elmar Völkl, 35, erfahren. Er ist einer jener acht Tierschützer, die im Mai 2008 verhaftet und erst jetzt rechtskräftig freigesprochen wurden (Anm.: gegen fünf Aktivisten läuft noch ein Verfahren) . Dazwischen lagen U-Haft und ein Marathon-Prozess. "Dein altes Leben hört auf, und du musst ein neues Leben führen", erzählt er. Er ist pleite, musste seine Promotion verschieben. Sein Anwalt Josef Phillip Bischof wird nun den Staat auffordern, eine Entschädigung zu zahlen. "Das ist ein Feilschen wie auf einem Bazar", sagt Bischof, der die Novelle für verfassungswidrig hält. "Es ist ein unsachlicher Ansatz, aus Sparwillen den Betrag so drastisch zu reduzieren."

"Ohnmächtig"

Völkl hat nachgerechnet. Einen Schaden von 50.000 Euro kann er klar belegen, etwa durch entgangenen Verdienst. Vieles wird aber zur Streitsache: etwa Spesen oder Therapiekosten. Der 35-Jährige fiel um sein Erbe um. Sein Vater überschrieb es vor seinem Suizid einem Verein, aus Angst, dass im Falle einer Verurteilung möglichen Geschädigten das Geld zustehen würde. Völkl: "Man ist hilflos und ohnmächtig."

Genauso fühlt sich Franz Ambrosi. Er saß 711 Tage wegen Mordversuchs unschuldig in Haft; er verlor seinen Job; wurde schuldig geschieden; sein Hab und Gut wurde verkauft. "Man hat mein Leben ausgelöscht", sagt er. Auch er ist in Therapie. "Für die seelische Grausamkeit sollte der Staat Schmerzensgeld zahlen." Eine Haftentschädigung erhält er erst, wenn sein Freispruch rechtskräftig ist. Fest steht vorab: Der Betrag wird nicht einmal seine Anwaltskosten decken. 145 Personen ging es im Vorjahr ähnlich. Standesvertreter Weixelbaum: "Die Beträge sind für eine vernichtete Existenz zu wenig. Da sollte sich der Staat mehr leisten."
Das ist laut einer Sprecherin des Justizministeriums nicht geplant: "Es gibt Sparzwänge und deshalb auch keine Novelle."