Sexuelle Grenzen überschreiten
Von Gabriele Kuhn
Die dunkelhaarige, sehr aparte 48-jährige Leonie (Name geändert) sitzt mir einem Wiener Kaffeehaus gegenüber. Sie ist schön, sie ist erfolgreich - sie wirkt sehr glücklich. Auf gewisse Weise wirkt sie auf mich "leicht". Wir reden darüber, wie viele Menschen schockiert reagieren, wenn sie mit den Themen Submission/Dominanz konfrontiert sind. Beides wird häufig mit Perversion gleichgesetzt. Ein völliger Blödsinn - im Grunde handelt es sich nur eine von vielen Facetten der Sexualität.
Wichtige Prämisse: So lange beide Partner damit glücklich sind, einverstanden sind, Spaß daran haben, ist nichts dagegen einzuwenden. Die Dunkelziffer scheint hoch - so hat mir etwa Evelyn Bründl, Geschäftsführerin des Erotik-Lifestyle-Portals Magnolias (www.magnolias.at) erzählt, dass ihre Domina-Workshops extrem nachgefragt sind: "Ich war selbst sehr erstaunt. Und als ich das erste Mal dabei war, habe ich mir auch gedacht: Was machen die alle?" Jetzt weiß sie es - und freut sich über gute Geschäfte. Auch mit Accessoires - bei Magnolias gibt es zwar keine Hardcore-Sachen, aber sehr edle und geschmackvolle Handschellen, Peitschen. Und Bücher. "Bücher zum Thema BDSM sind sehr beliebt."
Interview mit Leonie
Erst ein ganz "biederes Sexualleben", dann plötzlich die Entdeckung und Lust an der Submission. Wie kam es dazu? Hattest du das schon vorher geahnt, oder musste das erst durch den Richtigen in dir wachgeküsst werden? Oder hattest du schon früher Fantasien in diese Richtung?
Konkrete Submissionsfantasien hatte ich nicht. Doch als ich im Alter von 45 Jahren nach langjähriger Ehe den Wunsch in mir spürte, endlich sexuelle Grenzen zu überschreiten, begegnete mir ein Mann, der mich dazu wachküsste. Ich war immer sehr kontrolliert und Phantasien, die mit Kontrollverlust spielten, turnten mich an. Doch erst als der Mann mich mit seinen Anweisungen dahin führte, entdeckte ich, welche Befreiung es für eine Power-Frau ist, sich vertrauensvoll auszuliefern.
Was konkret bedeutet das Prinzip der "Unterwerfung" für dich? Welche Lust, welches Gefühl beziehst du daraus, dass du dich jemandem unterordnest? Du sprichst ja sehr oft von "Befreiung". Was genau meinst du damit? Und wie fühlt es sich an?
Im Alltagsleben mit Familie und Beruf bin ich die „Checkerin vom Dienst“. Alles läuft unter meiner ständigen Rundum-Beobachtungen. Doch wenn der Mann mir schon weit vor unseren Treffen schriftliche Anweisungen gab, was ich genau zu tun hatte, dann setzte bei mir eine Art Trance ein mich zu ergeben, zu fügen, mich dem Schicksal vollkommen auszuliefern. Es ist eine Mischung aus Aufgeregtheit und totaler Entspannung, wenn du mit verbundenen Augen an einen Ort gebracht wirst, den du nicht kennst. Ich brauchte nichts aktiv zu tun, werde geführt, gebe die Verantwortung ab. Ich ergab mich einfach und willigte ein, dass der Mann die 100%ige Verfügungsmacht über mich hat. Als ich mich bei einem der ersten Rituale dieser Art komplett nackt, bis auf ein Halsband mir Leine auf Anordnung meines „Meisters“ vor ihm niederkniete, die Stirn auf den bloßen Boden gepresst, die Hände nach vorne gesteckt mit geöffneten Handflächen nach oben, durchströmte mich ein Gefühl totaler Befreiung. Ich spürte förmlich, wie ich trotz meiner Blöße ganz in meiner Würde war. Niemand konnte mich demütigen. Mit meiner ganzen Hingabe und Ergebenheit bot ich mich willig dar. Der Mann reagierte auf diese Demutsbekundung mit überwältigender Respektsbekundung mir gegenüber, denn er spürte dadurch eine Bestärkung seiner Männlichkeit.
Viele Menschen haben ja hier sehr viele Vorurteile: Was würdest du jemandem erklären, der meint, Menschen mit S/M-Prägung sind pervers, nicht normal, abwegig, primitiv etc.
S/M-Praktik ist zwischen zwei reifen stabilen Persönlichkeiten ein Spiel der Hingabe. Ein Feiern des Weiblichen, das sich nach Passivität sehnt und des Männlichen, das ganz in seine aktive Kraft und Stärke kommt. Es erfordert die gleiche Augenhöhe und ist vom Mann bzw., dem Part, der den Dominanten spielt, ein Akt von Verantwortung tragen. Es gelten Stopp-Codes, die im Vorhinein vereinbart werden. Es ist nach meiner Erfahrung die sicherste Art, wie sich zwei Menschen sexuell an ihre Grenzen wagen können. Natürlich kann das auch pathologisch werden, wenn es in der Beziehung grundsätzlich ein Gefälle gibt. Sich zu beugen ist eine Herausforderung für einen gebildeten, intelligenten Menschen.
Bedeutet die Lust an der Unterwerfung auch Lust am Schmerz - oder gibt es hier ganz viele Facetten und Graubereiche?
Das Experimentieren mit Schmerz ist nur ein Part, der die Verantwortlichkeit des Dom mehr fordert. Er muss noch mehr auf das Wohlergehen des Sub achten. Für mich bedeutete es, dass ich ein Stück meiner kindlichen Ohnmacht heilen konnte. Liebe, mit Schmerz verbunden, haben sicherlich viele Menschen erlebt. Durch die Hand des Liebsten gestraft zu werden als Unterwerfungsspiel hat mir ein weiteres Stück Freiheit und Gelassenheit geschenkt. Doch natürlich ist das schwer zu verstehen, wenn man diese Erfahrung noch nicht gemacht hat. Für mich ist hier ganz besonders wichtig, dass ich als Sub es ja in meiner Macht habe, jederzeit Stopp zu sagen. Eigentlich ist ja der Sub in einer stärkeren Position, denn er gibt zwar komplett die Verantwortung für sein Wohlergehen ab, doch nichts passiert bei diesen Spielen ohne seine Zustimmung.
Wie würdest du dir das erklären, dass ausgerechnet eine schwer BDSM-angehauchte Romantrilogie in den (prüden) USA zum absoluten Bestseller wird?
Es gibt ganz viele erschöpfte Frauen, die sich in ihrem Alltagsleben total auspowern. Die sehnen sich förmlich nach einer Erlösung dieser Art. Es ist das ultimative Spiel vom Dornröschen, das im Tiefschlaf liegt und völlig ausgeliefert ist, ob und welcher Prinz es wachküsst.Dazu gibt es auch die Geschichte von Brünhilde aus dem Ring der Nibelungen, die auf einen Felsen in Tiefschlaf liegt – bestraft von ihrem Vater, dessen Anordnungen sie sich wiedersetzt hat. Der erstbeste Mann, der sie findet, darf sie zur Frau haben. Wenigstens ist es Siegfried, der ihr die Rüstung im Schlaf auszieht und sie so von der Göttin zur einfachen Frau macht. Sie muss sich nun auch ganz dem Mann ergeben. Es liegt sehr tief in uns Frauen drinnen, sich völlig hinzugeben. Doch unsere aktive, männlich orientierte Lebensweise zwingt uns neue Wege zu finden, wo wir diese tiefe Hingabe wieder in uns spüren können.
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