Politik

Senioren besetzen Berliner Villa

Solche Hausbesetzer hat die Welt noch noch gesehen," titelte die Süddeutsche Zeitung. Mitten im schönsten Villenviertel von Berlin-Pankow, da wo die alte DDR-Elite gewohnt hatte, in der Stille Straße besetzen an die 50 Rentner im Alter von siebzig Jahren aufwärts eine Villa. Früher hat auf Nummer 10 Ex-Stasi-Chef Erich Mielke mit Familie gewohnt, seit 14 Jahren heißt die Villa des im Jahr 2000 verstorbenen Staatssicherheitschefs Villa Kunterbunt und ist Treffpunkt von rund 300 Senioren. 39 Gruppen gibt es hier, in ihnen wird Spanisch gelernt, Canasta, Schach und Bridge gespielt, gesungen und getanzt. Im Keller fanden Turnübungen statt und Computerkurse. Doch der Bezirk Pankow will die 60.000 Euro, die die Erhaltung der Villa pro Jahr kostet, einsparen und die Liegenschaft verkaufen. Mit der rüstigen Rentnergang hat niemand gerechnet.

"Wir bleiben", skandieren die Hausbesetzer seit fast zwei Wochen. Auf Campingliegen schlafen sie "sehr unruhig und mit einer Schlaftablette", sagt die 77-jährige Renate Kelling. In DDR-Zeiten war sie Lehrerin für Mathematik und Technisches Zeichnen. Heute macht sie mit anderen Senioren Gymnastik, vor allem Dehnübungen. Seit der Hausmeister den Keller abgesperrt hat, wird oben geturnt, geschlafen und gegessen.

Auf Listen werden die Hausbesetzer zum Nachtdienst eingeteilt. Jeder soll schließlich auch nach Hause gehen dürfen, sich gut ausschlafen und duschen. Doch die Damen und Herren denken nicht daran, ihre Hausbesetzung so schnell aufzugeben. Mittlerweile sind sie fast schon Kult in Berlin.

Vor allem junge Leute kommen vorbei und bekunden der Rentnergang ihre Solidarität. Die Seniorenchefin Doris Syrbe, 72, berichtet in Spiegel Onlinevon der Hausbesetzung: "Die Aktion wird immer größer. Wir haben weitere Leute gefunden, die uns in der Nacht mal ablösen. Es ist stressig. Wir bewundern uns selbst dafür, wie viel Kraft wir in unserem Alter noch aufbringen. Aber die Alten von heute sind nicht die Alten von vor 30 Jahren. Wir haben noch ein bisschen Power."

Damit hat der Vizebürgermeister des Bezirks Pankow, ein Grüner, nicht gerechnet: "Dass Senioren ein Haus besetzen, ist neu für uns," sagt Jens-Holger Kirchner. Der Bezirk wartet jetzt erst einmal ab.

In der Villa wird gekocht. Gastwirte und Bewohner aus der Umgebung bringen Lebensmittel vorbei, zwei 16-Jährige spendeten einen Kuchen. Die 84-jährige Helga Will erklärt, warum sie für den Seniorentreff kämpft: "Es ist einfach wunderschön zu sehen, wie manche Menschen, die eigentlich traurig sind, weil sie Angehörige verloren haben, beim Singen wieder zu lächeln beginnen. Es darf sich nicht alles ums Geld drehen."