Schule in Not: "Wir brauchen vor allem für die Kleinsten mehr Lehrer"
"Reform-Rückwärtsgang": So nennt Bildungsministerin (SPÖ) Sonja Hammerschmid das, was die türkisen und blauen Verhandler in Sachen Bildung bislang besprochen haben. Wie der KURIER berichtet hat, wollen ÖVP und FPÖ jedenfalls eines nicht, nämlich: Mehr Geld für das Bildungssystem ausgeben oder neue Lehrer anstellen.
Die Frage ist nun: Braucht das heimische Bildungssystem, wie die Noch-Ressort-Chefin argumentiert, dennoch mehr Geld?
Oder müssen die 8,6 Milliarden Euro, die dem Bildungsministerium zur Verfügung stehen, einfach nur besser eingesetzt werden?
Der Ausgangspunkt ist folgender: 83 Prozent des Bildungsbudgets sind die Lehrer-Gehälter, wobei das Bildungsressort grundsätzlich um 600 Millionen Euro unterdotiert ist (siehe Kasten). Auffallend ist, dass Österreich im internationalen Vergleich hohe Ausgaben pro Schüler hat, dass das vergleichsweise teure System aber tendenziell eher schwache Schüler hervorbringt.
Dem Verhältnis zwischen Lehrern (119.884) und Schülern (1.124.633) kann dies nicht geschuldet sein, denn: rein arithmetisch kommen auf einen Pädagogen 9,38 Schüler (Grafik).
Im "echten Leben", also in den Klassen, sind im Durchschnitt rund 20 Schüler in jeder Klasse.
Und das wirft die naheliegende Frage auf: Wo sind eigentlich die vielen Lehrer?
"Wir wissen schlichtweg nicht, wo das Geld versickert und wo sie angestellt sind", sagt Bildungsexpertin Heidi Schrodt. Nichteinmal das Bildungsministerium kann diese Frage beantworten.
Klingt paradox? Ist es auch. Denn der Bund weiß seit Jahrzehnten nicht, wo bzw. wofür genau die Bundesländer ihre Pädagogen einsetzen. Das sollte sich erst durch die im Juni beschlossene Bildungsreform ändern, die die Bundesländer ab 2018 zum Offenlegen verpflichtet.
Ein offenes Geheimnis ist, dass eine große Zahl an Pädagogen – anstatt zu unterrichten – in den Landesschulräten- und -regierungen arbeitet oder in der Lehrerausbildung und in der Schulverwaltung tätig ist. Niemand weiß, wie viele Lehrer das sind.
Werden ÖVP und FPÖ, die heute in der Bildungsgruppe erstmals substanziell diskutieren, künftig also das Personal transparent umverteilen?
Schwierig dürfte zudem werden, dass sich FPÖ und ÖVP für verpflichtende Deutschklassen (Stichwort: Deutsch vor Schuleintritt) ausgesprochen haben. Das wird ohne zusätzliche Mittel und auf Sprachunterricht geschulte Pädagogen kaum möglich sein. "Wenn wir sagen, es gibt kein zusätzliches Geld, aber verpflichtende Deutschklassen, dann frage ich mich: Wer bezahlt dann die Lehrer, die in diesen Klassen unterrichten?", sagt Expertin Schrodt.
Noch-Bildungsministerin Hammerschmid warnt davor, an den "falschen Stellschrauben" zu drehen. Müssten Lehrer zwei Stunden mehr pro Woche unterrichten, brächte das dem Staat rund 370 Millionen Euro.
Die Ministerin lehnt das ab: "Den Lehrern auszurichten, sie müssen mehr arbeiten, weil bei der Bildung gespart werden muss, halte ich für den falschen Weg." Noch weniger hält sie davon, das "Team-Teaching" (zwei Lehrer in den Klassen) in den NMS wieder abzuschaffen – auch wenn das rund 170 Millionen Euro einsparen würde.
Verdächtig ruhig verhält sich in der Debatte die Lehrergewerkschaft. Sprecher Paul Kimberger will die laufenden Verhandlungen nicht kommentieren, bestätigt aber gegenüber dem KURIER die Forderung nach zusätzlichen zwei Milliarden Euro pro Jahr. "Wir brauchen sicher mehr Pädagogen in den Volksschulen, weil die Klassen durch Zuwanderung immer heterogener werden."
Astrid Pany, Leiterin des Schulcampus Donaufeld (Kindergarten plus Volksschule):
„Wie ich heute den KURIER-Artikel gesehen habe, dass die neue Koalition kein frisches Geld ins Schulsystem stecken will, dachte ich mir nur: Das wird leider eine massive Qualitätsverschlechterung bedeuten, jedenfalls im urbanen Bereich. Denn wir haben hier stark steigende Schülerzahlen, da brauch es klarerweise mehr Lehrer. Es nutzt uns auch wenig, wenn es in den ländlichen Regionen Klassen mit nur 14 Schülern gibt, bei uns gibt es praktisch nur Klassen mit 25 Schülern oder mehr. Außerdem gab es im Wahlkampf doch die Forderung nach mehr Lehrern, das habe ich voll unterstützt. Die Herausforderungen sind heute ganz andere als noch vor 25 Jahren, das muss allen klar sein. Früher konnten die Eltern noch mithelfen, das ist heute selten, weil meist beide Elternteile berufstätig sind. Was wir daher brauchen, sind die besten Pädagogen in Ganztagsschulen wie meiner.“
Andrea Walach, Direktorin der NMS Gassergasse:
„Das Problem ist nach wie vor die Sprachförderung. Wir haben inzwischen die Situation, dass fast hundert Prozent unserer Zehnjährigen zu uns kommen, ohne sinnerfassend lesen zu können. Für mich braucht es deshalb Änderungen vor allem im Volksschulbereich. Es wäre sicherlich vernünftiger, in den Volksschulen deutlich kleinere Klassen zu machen, damit die Volksschullehrer sich mehr um jeden einzelnen Schüler kümmern können. Es braucht, vor allem in den stark heterogenen Schulen in den Ballungsräumen, deutlich mehr Sprachunterricht. Also wenn die Politik der Gesellschaft etwas Gutes tun will – und das ist ja ihr Anspruch –, muss sie rasch Maßnahmen setzen, denn die Wirtschaft klagt schon lange, dass sie für Lehrstellen keine geeigneten Schüler findt, die über ausreichend Kompetenzen und Fähigkeiten verfügen.“
Heidi Schrodt, frühere AHS-Direktorin und Vorsitzende der Bildungsinitiative „Bildung grenzenlos“:
„In bestimmten Bereichen der Schule sind nicht zu viel oder ausreichend, sondern dramatisch zu wenig Ressourcen vorhanden. Konkret meine ich etwa die Brennpunktschulen. Hier ist es nicht damit getan, wenn 2 Lehrer mit 25 Schülern in der Klasse stehen. Wir brauchen dringend einen Chancen-Index, der die finanziellen Mittel zu den besonders schwierigen Klassen und Schulen umleitet. In Großbritannien hat die konservative Regierung Cameron 2013 genau das gemacht. Das hat dazu geführt, dass Londoner Schulen mit besonders förderungswürdigen Kindern um bis zu 60 Prozent mehr Budget haben als andere. Manche der nun geäußerten Ansagen verstehe ich nicht. Wenn es etwa heißt, im Bildungssystem gibt es nicht mehr Geld, aber wir wollen verpflichtende Deutsch-Klassen, so frage ich mich: Wer bezahlt die Lehrer, die in diesen Klassen unterrichten?“
Hannes Androsch, Ex-Minister und Initiator des Bildungsvolksbegehrens:
„Bei der Frage, ob im Bildungssystem genug Geld vorhanden ist, muss man genau differenzieren. Die Elementarpädagogik, also die vorschulische Bildung im Kindergarten, ist unterdotiert. Das Personal ist unterbezahlt, sollte noch besser qualifiziert werden, etc. Österreich braucht eine durchgängige vorschulische Ausbildung, damit unsere Kinder gut in die Schule starten. Das selbe gilt für die Universitäten. Städte wie Zürich, München, Karlsruhe und Heidelberg lassen heimische Unis weit hinten, da braucht’s mehr Geld. Im eigentlichen Schulbetrieb stimmt es, dass wir viel Geld ausgeben, aber nicht entsprechend gute Ergebnisse erzielen. Meines Erachtens kümmern sich die Lehrergewerkschaft und die Länder immer noch zu viel um ihre Befindlichkeiten und zu wenig um den Unterricht – also um die Kinder.“
Christoph Neumayer, Generalsekretär Industriellenvereinigung:
„Wo keinesfalls gespart werden darf ist die Elementarbildung. Hier muss sogar mehr investiert werden – etwa bei der Ausbildung und Bezahlung der Kindergarten-Pädagogen. Das ist analog zur Gesundheit: Jeden Euro, den man in die Prävention steckt, spart man sich später mehrfach bei der Akutbehandlung. Wir geben derzeit 0,6 % des BIP für die Elementarpädagogik aus. Ich meine, wir sollten zumindest den OECD-Schnitt von 0,8 Prozent erreichen. Wenn wir im Bildungssystem insgesamt nicht mehr ausgeben wollen, dann müssen wir Geld umschichten. Generell warne ich aber davor, das im Zuge der Bildungsreform nun Erreichte wieder infrage zu stellen oder gar rückgängig zu machen. Dazu gehört auch, dass wir uns der verschränkten Ganztagesschule annehmen. Sie ist in unserer Gesellschaft eine Notwendigkeit.“